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Hochsaison in Österreichs Gefängnissen: Noch nie waren die Strafvollzugsanstalten so überfüllt. Österreich hält eine traurige Führungsposition, was die Zahl der U-Häftlinge betrifft. Und auf 100.000 Einwohner kommen 117 Strafgefangene.

Bei der Diskussion über Sinn und Unsinn des Strafvollzugs fällt meist eine Gruppe durch den Rost: die Frauen.

Frauen im Strafvollzug werden mehrfach bestraft, meint die lang-j ährige Leiterin der Frankfurter Frauenstrafanstalt Helga Einsele: „Sie werden bestraft für ihre geringe Zahl, für ihre weibliche Fügsamkeit und dafür, daß ihre Kriminalität im allgemeinen für die Gesellschaft wenig bedrohlich ist. Ihr Unvermögen, mit den Problemen des Lebens fertig zu werden, bringt sie in Haft, und dort verlieren sie, was ihnen noch blieb: den letzten Mut, den Rest an Selbstwertgefühl."

Was- Einsele über bundesdeutsche Verhältnisse schreibt, gilt auch für Österreich. Die heimischen weiblichen Strafgefangenen spüren die Benachteiligungen zum ersten Mal, wenn sie vor dem Richter stehen.

„Nicht nach dem Motiv werden die Frauen befragt, sondern die Herrschaften in den Talaren werden zu Psychologen und fragen nach der Moral", weiß Tessa Prager, eine Gerichtssaalreporterin. Frauen werden mit anderen Maßstäben gemessen als Männer, sagen Rechtsanwälte. Die Richter streiten dies ab.

Reiht man die von Frauen begangenen Delikte nach der Häufigkeit der verhängten Freiheitsstrafen, so stehen Eigentumsdelikte, Verletzung der Unterhaltspflicht sowie leichtere Formen der Körperverletzung an der Spitze.

Werden Frauen zu einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt, so wird diese, in Österreichs einziger Frauenstrafvollzugsanstalt in Schwarzau im südlichen Niederösterreich vollzogen.

90 Vollzugsbeamte und 40 teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter betreuen und beaufsichtigen rund die gleiche Anzahl gefangener Ffauen: Frauen jeden Alters, aus ganz Österreich und mit unterschiedlicher Länge der Haftdauer sind in dem Barockschloß untergebracht.

„Kampf der Unterdrückung durch Gefängnisse! Frauenfreiheit statt Frauengefängnis!" fordert eine „Arbeitsgruppe Schwarzau" auf einem Flugblatt. Die Wunschliste der ehemaligen Insassinnen ist lang: sie reicht von besserer Verpflegung, besserer ärztlicher Versorgung über Abschaffung des Arbeitszwanges, Bezahlung nach Kollektivvertrag, freie Wahl der Zellengenossin und Tragen von Privatkleidung bis zu offenen Zellentüren.

Frauen trifft eine Haftstrafe härter als Männer. „Frauen, die länger als neun Monate sitzen, haben Angst, fühlen sich beobachtet, die Haftschäden sind viel schneller als bei Männern zu beobachten", weiß Ingrid Liebe, Bewährungshelferin und Expertin für „Drogenhäftlinge" in der Schwarzau.

Das Kainsmal Haftstrafe wird Frauen stärker aufgedrückt als Männern. Die Umwelt toleriert Straffälligkeit bei Frauen noch weniger als bei Männern, wo manchmal Kavaliersdelikte erst „einen richtigen Mann" machen.

Für weibliche Gefangene bleibt nach der Entlassung aus der Haft sehr oft nur mehr die Möglichkeit, den Wohnort zu wechseln — und auch den Freundeskreis. Für viele Frauen sind die Kinder und der Ehemann „draußen" meist die einzige Hoffnung, die Haft auch psychisch zu überstehen.

Für einige Frauen wird der Traum vom intakten Familienleben „danach" aber zum Alptraum. Denn wer nimmt schon gerne eine durch die Vorstrafe Stigmatisierte wieder auf ...

Nach der Haft finden Frauen durch ihre Kontaktarmut, durch den Entlassungsschock und durch den erbarmungslosen Arbeitsmarkt, der Vorbestraften keine Chance gibt, nur schwer in die Gesellschaft zurück.

Eine ehemalige „Schwarzaue-rin" sieht nur zwei Möglichkeiten: „Der Strich — oder du gehst wieder in die Schwarzau zurück. Was anderes gibt es nicht."

Sie selbst hat es dagegen geschafft. Mit 19 Jahren für vier Jahre in die Schwarzau „gewandert", hat sie heute wieder einen Job als Sekretärin. Bekommen hat sie die Stelle aber nur mit Hilfe einer Notlüge. Denn auf die Frage nach ihren bisherigen Beschäftigungen gab sie zur Antwort: „Hausfrau".

Dabei hat das im übertragenen Sinn sogar gestimmt. Sie arbeitete vier Jahre in der Wäscherei, Schneiderei und in der Küche der Strafanstalt Schwarzau. Und wurde dafür noch bezahlt — mit drei Schilling in der Stunde.

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