"Es kommen immer noch viel zu viele unter die Räder“

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Heinz Fronek von der asylkoordination Österreich analysiert, warum die Flüchtlinge immer jünger werden - und ob sie in Österreich den Schutz bekommen, den sie brauchen.

Seit 1995 ist der Psychologe Heinz Fronek Mitarbeiter der asylkoordination Österreich. Er beschäftigt sich intensiv mit den Lebensbedingungen von unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen.

Die Furche: Die Zahl der Asylanträge von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen steigt derzeit massiv. Woran liegt das?

Heinz Fronek: Da gibt es mehrere Ursachen, internationale Entwicklungen spielen dabei sicher eine Rolle. Seit es im Jänner durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verboten wurde, Asylwerber nach Griechenland zurückzuschicken, wird de facto niemand mehr abgeschoben. Möglicherweise wird in Griechenland momentan nicht so genau kontrolliert, man denkt sich eher: "Wenn er weiterfährt, ist er nicht mehr da“: Auch in Italien, vermute ich, werden derzeit eher die Augen zugemacht. In Österreich hingegen wird sehr streng kontrolliert. Deshalb bleiben viele bei uns hängen.

Die Furche: Und sie werden immer jünger. In den ersten acht Monaten des heurigen Jahres haben schon mehr unter 14-Jährige um Asyl angesucht als im gesamten Jahr 2010.

Fronek: Ein Grund dafür könnte sein, dass es jetzt rascher geht, eben weil die Kontrollen in manchen Ländern weniger streng sind. Mir haben oft Burschen erzählt, dass sie ein Jahr in Griechenland gehangen sind, bevor sie die Fähre nach Italien nehmen konnten. Jetzt scheint die Flucht schneller zu gehen - und sie sind damit jünger, wenn sie ankommen. Was aber viel schwerwiegender ist: Immer öfter werden immer jüngere Kinder losgeschickt. Das hat mit der Altersfeststellung zu tun. Weil nicht mehr klar ist, ob ein 17-Jähriger bei der Altersfeststellung durchkommt, schicken die Familien, die es sich leisten können, einen Sohn nach Europa zu bringen, eben den jüngeren.

Die Furche: Braucht man nicht ein Verfahren der Altersfeststellung, um Missbrauch zu vermeiden?

Fronek: Der erste Schritt wäre ein multiprofessionelles Verfahren, das nicht ausschließlich medizinische Parameter einbezieht. Die beiden Wiener Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger und Max Friedrich haben bereits einen Zugang skizziert, der sich an Reife orientiert. Das derzeitige Verfahren ist auch medizinisch sehr umstritten und hat fatale Folgen für die Betroffenen: Wenn ein Asylwerber für volljährig erklärt wird, hat er keine Berufungsmöglichkeit dagegen. Im selben Augenblick fällt sein Rechtsbeistand weg, er verliert die Betreuung als Minderjähriger. Eine Zeit lang hatte man den Eindruck, dass es dem Staat ganz recht war, wenn jemand für volljährig erklärt wurde und man ihn schnell wieder los war. (Anm.: Eine EU-Verordnung schreibt vor, dass der EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Bewerber erstmals EU-Boden betritt. Für minderjährige Flüchtlinge gilt das nicht.) Nachdem momentan niemand nach Griechenland geschoben wird, wirkt das nicht mehr: Jetzt geht die Zahl der Altersfeststellungen zurück und man vergibt dafür relativ rasch negative Asylbescheide.

Die Furche: Bekommen die Jugendlichen, die es nach Österreich schaffen, bei uns den Schutz, den sie brauchen?

Fronek: Das Asylverfahren an sich und die Einvernahmesituation im Besonderen sind wahnsinnig belastend für die Jugendlichen. Von Anfang an wird ihnen mit Misstrauen begegnet, das beginnt mit der Altersfeststellung. Bei Einvernahmen werden sie nicht selten wie Kriminelle oder Lügner behandelt, der Fokus liegt darauf, sie in Widersprüche zu verstricken. Natürlich gibt es positive Ausnahmen, aber das ist vom Engagement der jeweiligen Beamten abhängig. Auch die Unterstützung durch Rechtsvertreter hängt stark von individuellen Personen ab, sowohl in der Erstaufnahmestelle als auch beim Jugendamt und bei NGOs. Für die jungen Flüchtlinge heißt das: Es hängt vom Glück ab, an wen sie geraten. Leider kommen immer noch viel zu viele unter die Räder. Dieses Bild trifft bei Kinderflüchtlingen leider die Realität: Viele kommen mit LKWs. Wie viele dabei tödlich verunglücken, ist nicht bekannt. Trotzdem muss man festhalten: Was die Betreuung betrifft, hat es in den letzten Jahren graduelle Verbesserungen und Fortschritte gegeben.

Die Furche: Gibt es denn genügend Betreuungsplätze für die vielen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die jetzt kommen?

Fronek: Problematisch ist es schon in Traiskirchen: Dort gibt es das Haus 9 für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit 78 Plätzen. Momentan sind aber 194 Jugendliche dort. Für die ist nur eine sehr eingeschränkte Betreuung möglich. Von der Erstaufnahmestelle werden die Jugendlichen dann an Betreuungsstellen in den Bundesländern verteilt. Auf der Suche nach neuen Unterkünften werden die Jugendlichen jetzt auch in privaten Pensionen untergebracht. Erst Ende September wurden 26 unbegleitete Minderjährige in einer Pension in Graz zugewiesen. Ob sie dort tatsächlich die Betreuung bekommen, die sie brauchen, ist mehr als fraglich. Denn: Es reicht nicht, wenn die Jugendlichen etwas zum Essen und zum Schlafen haben. Im Sinne der Kinderrechtskonvention, die Österreich unterschrieben hat, müssen sie in ihrer Entwicklung unterstützt werden. Und die darf nicht nur für österreichische Kinder gelten.

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