„Politiker scheinen einen Sprachfehler zu haben“

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Roland Schönbauer, Sprecher des UN-Flüchtlingshochkommissariats in Österreich (UNHCR), über die derzeitige Lage der Asylpolitik in Österreich.

Die Furche: Herr Schönbauer, immer wieder kommt es zu vehementen Protesten von Österreicherinnen und Österreichern, wenn Flüchtlinge in ihrer Nähe untergebracht werden. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Roland Schönbauer: Dort wo Menschen auf Fremdes oder auf Fremde stoßen, entsteht immer auch Verunsicherung. Das Problem ist, dass Politiker Vorurteile gegenüber Asylwerbern schüren und dadurch Integration der anerkannten Flüchtlinge behindern. Die politische Diskussion ist oft auch aus einem Grund zu glatt: Es wird oft nur von „Migranten“ gesprochen, damit geht die für das Verständnis der Bevölkerung wichtige Unterscheidung von Flüchtlingen verloren. Dabei ist der Unterschied klar: Für Flüchtlinge besteht bei einer Abschiebung Gefahr für Leib und Leben.

Die Furche: Warum werden Asylwerberinnen und Asylwerber in Österreich vorschnell als kriminell abgestempelt?

Schönbauer: Das müssen Sie eigentlich die Politiker fragen, die das so in die Welt setzen. Sie scheinen einen Sprachfehler zu haben – sie können das Wort „Asylwerber“ nicht aussprechen, ohne „Kriminalität“ zu sagen. Dabei gibt es keine Statistiken darüber, wie viele oder wenige verurteilte Straftaten es gibt. So wird das Verständnis für Menschen auf der Flucht, das viele Menschen in diesem Land haben, untergraben. Die Asylwerber von heute sind ja zu einem hohen Prozentsatz die Flüchtlinge von morgen, die in Österreich zu Recht eine neue Heimat bekommen.

Die Furche: Österreich blickt auf eine lange Tradition mit Flüchtlingen zurück. Das Verhältnis zwischen Österreichern und Flüchtlingen war früher offensichtlich weniger problematisch als heute. Warum?

Schönbauer: Ich kenne keine empirischen Daten, die belegen würden, dass die Bevölkerung weniger Verständnis hat als früher. Man hat den Eindruck, dass die veröffentlichte Meinung viel schlechter ist als früher und Politiker diese Meinung fördern. Warum sie das tun, verstehe ich nicht. Ich glaube, dass gerade Integration ein ungenutztes Potential an positiven Themen bietet – konkrete Themen des Zusammenwachsens von Wohnbevölkerung, Flüchtlingen und Migranten.

Die Furche: Die Bundesländer sind verpflichtet, Asylwerbern auf ihrem Gebiet eine Grundversorgung zu bieten. In der Durchführung werden aber immer wieder Defizite beklagt.

Schönbauer: Das müsste man hauptsächlich die Länder fragen, die diese Quartiere in der Grundversorgung zu koordinieren haben. Klar ist, dass es Quartiere mit Mängeln gibt. In Kärnten soll es irgendwann Mitte Dezember einen „Betreuungsplan“ für die sogenannte „Saualm“ geben, wo Anfang Oktober schon Asylwerber hingekommen sind. Doch jeder Häuselbauer weiß, dass man den Plan zuerst macht und sich dann um die Ziegel und um weiteres kümmert. Doch hier geht es nicht um Ziegel und Häuser, sondern um Menschen, die noch immer nicht entsprechend betreut sind. Wenn man den ganzen Tag isoliert auf einer Alm nur zwischen Tischtennis und Tischfußball wählen kann, kann es schon sein, dass einem die Decke auf den Kopf fällt. Hier ist der Landeskoordinator Gernot Steiner gefordert, endlich professionell und für die betroffenen Menschen angemessen vorzugehen. Dafür wird er schließlich vom Steuerzahler bezahlt.

Die Furche: Erfüllt Österreich eigentlich die Genfer Konvention?

Schönbauer: Auf der praktischen Ebene, ja – uns ist nicht bekannt, dass Flüchtlinge in Gefahrensituationen abgeschoben wurden. Auf dem rechtlichen Gebiet sprengt Ihre Frage diesen Rahmen.

Die Furche: Innenministerin Maria Fekter will die Rechtsberatung für Flüchtlinge einschränken. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Schönbauer: Bei manchen Vorstößen täte eine Entschleunigung der Debatte gut: zuerst im Gesamtzusammenhang analysieren, dann Experten konsultieren, dann Maßnahmen setzen. Konkret zur Rechtsberatung: Flüchtlingsberater an den Bundesasylämtern sind kein Ersatz für Rechtsberatung, wie sie bisher finanziert wurde, weil ihre Kapazitäten nicht ausreichen. Flüchtlingsberater in Innsbruck haben im Schnitt eine Minute Zeit pro Asylwerber und Monat. Flüchtlingsberatung gibt es nur an den Bundesasylämtern, daher nur in sieben Bundesländern. Die UNHCR sagt daher: Es braucht eine flächendeckende Rechtsberatung, damit der Zugang zum Asylverfahren und Asylrecht erhalten bleibt. Rechtsberatung ist zur Orientierung der Asylwerber da und in Wahrheit auch zum Nutzen der Behörden, denn so wissen die Asylwerber, worauf es ankommt, wie sie sich verhalten müssen und können besser in Verfahren mitwirken.

Die Furche: Maria Fekter begründet ihre Entscheidung damit, dass die Anzahl der Asylanträge in den letzten Jahren halbiert werden konnte. Ist das ein Argument?

Schönbauer: Wir sprechen vom Jetzt. Da ist nicht nur entscheidend, wie viele Asylanträge es jetzt gibt – auch deren Zahl steigt im Übrigen. Die relevantere Zahl ist, wie viele Menschen noch auf den Asylbescheid warten. Diese Zahl steigt wieder, seit der Asylgerichtshof eingerichtet wurde. 31.000 warten zurzeit auf eine Entscheidung, ob Asyl oder Abschiebung.

Die Furche: Im Juli ist der neue Asylgerichtshof in Kraft getreten. Wie schätzen Sie die Einrichtung ein?

Schönbauer: Ein Urteil über den Asylgerichtshof ist noch zu früh. Man wird abwarten müssen. Die Benchmark wird hier wie im gesamten Asylsystem sein: ob wirklich alle gefunden werden, die Schutz brauchen.

Die Furche: Zurzeit laufen Regierungsverhandlungen in Österreich. Was sind Ihre Erwartungen?

Schönbauer: Die UNHCR drängt darauf, dass man sich des Themas Integration wirklich annimmt und das Zusammenleben von Wohnbevölkerung, Migranten und Flüchtlingen fördert. Zudem fordern wir, dass die Ungleichbehandlung zwischen Konventionsflüchtlingen und subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen eliminiert wird, weil sich diese Diskriminierung bei UNHCR-Erhebungen im EU-Raum als Haupthindernis bei der Integration herausgestellt hat.

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