"Nur die Spitze des Eisbergs"

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Wie steht es um die Menschenrechte von Flüchtlingen in Österreich? Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty Österreich, stellt der heimischen Politik kein gutes Zeugnis aus.

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Wie steht es um die Menschenrechte von Flüchtlingen in Österreich? Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty Österreich, stellt der heimischen Politik kein gutes Zeugnis aus.

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Warum müssen Flüchtlinge in einem Land wie Österreich unter freiem Himmel schlafen? Was muss sich schnell ändern? Menschenrechts-Experte und Jurist Heinz Patzelt im FURCHE-Interview.

Die Furche: Ein internationales Team aus Menschenrechtsexperten, Ärzten, Dolmetschern und Dokumentaristen überprüft nun die Zustände im überfüllten Erstaufnahmelager Traiskirchen. Was erwarten Sie sich?

Heinz Patzelt: Es hängt sehr davon ab, wieviel von den Geschichten und Bildern aus Traiskirchen sich als leider wahr herausstellt. Es gilt zu klären, woran es derzeit scheitert. An schlechter Verwaltung oder politischem Unwillen? Basierend darauf müssen wir Empfehlungen für die Regierung erarbeiten. Traiskirchen ist keine gezielte Untat, sondern ein Symptom dafür, was in punkto Asyl alles nicht funktioniert. Derzeit ist nur die Spitze des Eisbergs sichtbar. Es ist besorgniserregend, dass ein Land, das bisher den Andrang überdurchschnittlich gut bewältigt hat, plötzlich eine angebliche Massenobdachlosigkeit zulässt. Diese Entwicklung muss man rasch stoppen.

Die Furche: Die Regierung will bis Oktober eine Verfassungsänderung erwirken, damit die Länder zur Flüchtlingsaufnahme gezwungen sind.

Patzelt: Der Schritt war überfällig. In anderen Ländern war das längst selbstverständlich und hierzulande ein enormes Defizit. Ich hoffe, dass das schon vor Ende Oktober zustande kommt, damit die Regierung endlich ihre zwingende völkerrechtliche Verpflichtung auch ohne dem leider fehlenden "Goodwill" der Länder und Gemeinden durchsetzen kann.

Die Furche: Bis dato fehlen noch über 3500 Unterbringungsplätze für Asylwerber in den Bundesländern. Niederösterreich hat einen Aufnahmestopp für Traiskirchen beschlossen. Wohin sollen denn die Flüchtlinge dann?

Patzelt: Ich finde es recht herzig, wenn Niederösterreich einen Aufnahmestopp beschließt. Dieses Land hat die bei weitem schlechtesten Aufnahmequoten von nur 60 bis 65 Prozent. Pröll möge die Verantwortung nicht wie eine heiße Kartoffel hin- und herschieben, um dann von falschen Zahlen zu sprechen und sich darin zu sonnen, dass manche Gemeinden Flüchtlinge aufgenommen haben. Allein in Niederösterreich fehlen 2000 bis 3000 Plätze, die Traiskirchen wesentlich entlasten würden.

Die Furche: Was ist vom Aufnahmestopp in Traiskirchen zu erwarten?

Patzelt: Es ist irritierend, dass es noch keine Plan gibt, wie man nach dem Aufnahmestopp mit den Neuankömmlingen umgehen will - insbesondere, weil Traiskirchen nun auch Verteilerzentrum für Niederösterreich ist. Ich wünsche mir trotz Aufnahmestopp einen menschenrechtskonformen Umgang mit den rund 300 Flüchtlingen, die in Traiskirchen täglich anklopfen.

Die Furche: Die Bundesländer wollen nun die Zahl der insgesamt in Österreich aufgenommenen Flüchtlinge begrenzen.

Patzelt: Ich finde das zunehmend erschütternd. Wer nach einer Maximalzahl schreit, versteht nicht, dass das Asylrecht eine menschenrechtliche Verpflichtung bedeutet. Schutzbedürftige sind zu schützen. Auch verstehe ich nicht, wie man auf die Idee kommt, Sozialstandards für Asylberechtigte zu senken. Und der Vorschlag von Mikl-Leitner, die Unterbringungs-Standards während der Wartezeit zu reduzieren, ist sehr merkwürdig, denn es mangelt ja nicht an verfügbaren Quartieren, sondern man will diese nicht für Flüchtlinge bereitstellen.

Die Furche: Mikl-Leitner will Kriegsflüchtlingen nur Asyl auf Zeit gewähren. Aber den Status der subsidiär Schutzberechtigten gibt es schon.

Patzelt: Auch das ist schlicht eine Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention. Da beginnt die hässliche Unterscheidung zwischen politischem Flüchtling und Kriegsflüchtling. Wer vor dem IS flieht, flieht aber vor Ermordung. Die Idee von Asyl auf Zeit ist rechtswidrig und schwachsinnig - es würde sich ja nichts daran ändern, dass diese Menschen da sind. Wenn Mikl-Leitner die Asylverfahren stoppt und gleichzeitig genau weiß, dass jeder, der anklopft, das Recht auf Asyl hat, ist das auch Teil des Florianiprinzips. Wer Asyl erhält, ist sozialbezugsberechtigt, arbeitsberechtigt - davor scheint Panik zu herrschen. Zunehmend zeichnet sich ab, dass es ein Management-Problem gibt - oder schlichte Unwilligkeit.

Die Furche: Bis Jahresende werden zumindest weitere 22.500 Leute nach Österreich kommen. Welche längerfristigen Strategien wären sinnvoll?

Patzelt: Wenn die Tagessätze für die Unterbringung von Flüchtlingen höher wären, wäre es für den Tourismus attraktiver, Quartiere bereit zu stellen. Leer stehende Schulen zu nutzen ist derzeit sinnvoll, aber es gilt jetzt schon daran zu arbeiten, wie es nach Schulbeginn weitergeht. Man muss jetzt vorausschauen, welche Alternativen zu Zelten es gibt, bevor es kalt wird. Das macht mir echt Sorgen.

Die Furche: Die Überprüfung in Traiskirchen soll auch klären, wie es der steigenden Zahl von unbegleiteten Minderjährigen geht.

Patzelt: Es ist wirklich bitter, wie sie herumgereicht werden, weil ihre Versorgung viel kostet. Wenn man diese Minderjährigen ordentlich behandelt, werden sie fleißige und engagierte Österreicher - wenn man dafür nicht sorgt, haben wir ein ganz großes Problem. Es gibt keinerlei Grund, warum ein alleinstehendes syrisches oder irakisches Kind schlechter zu behandeln ist als ein österreichisches alleinstehendes Kind. Es gibt keine Gesetzesstelle, die das Lager in Traiskirchen aus Sicht der Jugendwohlfahrtsbehörden zur extraterritorialen Zone erklärt.

Die Furche: Welche politische Lösung würden Sie sich wünschen?

Patzelt: In der hoffentlich kurzen Spanne des Asylverfahrens ist jede dezentrale Unterbringung besser als ein Massenquartier. Dass derzeit nicht einmal jeder ein Dach über dem Kopf hat, ist ein Zustand, der sofort zu beenden wäre. So viele Hallen und Kasernen stehen frei, da müsste kein einziger Mensch unter freiem Himmel schlafen, der das nicht aus Abenteuerlust will. Es ist einfach grotesk.

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