"Ja, dürfen’s denn das?“

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Mehr als einen Monat waren sie geduldet. Dann - vier Tage nach Weihnachten und in den frühen Morgenstunden - kam die Polizei und räumte das Protestcamp vom Asylwerbern und Unterstützern vor der Wiener Votivkirche mit Verweis auf die Campierverordnung. Darüber, ob der Jahreswechsel, an dem Hunderttausende Silvestertouristen die Innenstadt stürmen, bei der Wahl des Einsatzzeitpunktes entscheidend war, kann nur spekuliert werden. Denn verantwortlich für den Polizeieinsatz möchten weder die schwarze Innenministerin noch die rot-grüne Stadtregierung sein. Dagegen haben sie - und wohl etliche Österreicher - aber auch nichts. Dass Menschen, die aus Kriegswirren oder blanker Not zu uns kommen, gegen die gefühlte Großzügigkeit, die sie hier erfahren, auch noch aufmucken, irritiert viele. "Ja dürfen’s denn das?“, fragt der gelernte Österreicher.

Menschen ohne Lobby

"Sie müssen sogar“, muss die Antwort sein. Denn anders werden sie nicht gehört. In einem Land, in dem so gut wie jede Bevölkerungsgruppe eine eingesessene Interessenvertretung hat, bleiben Menschen ohne Lobby leicht auf der Strecke. Auch Hilfsorganisationen, die sich seit Jahren eindrucksvoll für Asylwerber einsetzen (und deren Kritikpunkte und Forderungen großteils mit denen der Flüchtlingen übereinstimmen) sind maximal auf den guten Willen der Politik angewiesen. Wie also, außer durch eine öffentlichkeitswirksame Protestaktion, sollen Betroffene ihre Geschichten erzählen?

Es sind Geschichten von Menschen, die nach einem Leben voller Instabilität nun Sicherheit und ein Stückchen individuelles Glück suchen. Von Erwachsenen, die, sobald sie in Österreich sind, infantilisiert werden, oft nicht einmal selbst eine Mahlzeit zubereiten dürfen. Von Menschen, die durch ein Arbeitsverbot daran gehindert werden, selbstständig für sich und ihre Familien zu sorgen. Von Familien, die oft jahrelang in anhaltender Unsicherheit in Quartieren leben, die durch die permanente Unterfinanzierung oft nur einen blamablem Minimalstandard gewährleisten können.

Neue Herausforderungen

Diese Geschichten müssen erzählt und verstanden werden. Und zwar nicht nur von denen, die das sowieso schon lange tun. Unterstützt werden die protestierenden Flüchtlinge in der Votivkirche vor allem von kirchlicher Seite: Die Caritas übernimmt seit Wochen die 24-Stunden-Betreuung, die Diakonie setzt sich intensiv für einen Dialog ein. Kardinal Christoph Schönborn stattete den Menschen in der Votivkirche letzten Sonntag einen Besuch ab und auch die neu gewählte Präsidentin der Frauenorden Österreichs, Beatrix Mayrhofer, hat ihre Unterstützung angekündigt. Diese Initiativen sind wichtig und gut - aber zu wenig.

Denn wenn die Politik sich weiterhin für nicht zuständig erklärt, auf Verordnungen und Bescheide verweist, anstatt an echten Lösungen zu arbeiten, und soziale und gesellschaftliche Schlüsselfragen den NGOs und den Kirche überlässt, degradiert sie sich zu einem bloßen Verwalter. Dieses Bild zu vermitteln, kann in einem Jahr, in dem im Monatsrhythmus gewählt wird, im Interesse von keiner Partei sein. Ein erster Schritt wäre das Zurückkehren an den von der Caritas initiierten runden Tisch. Mit einer einmaligen Zusammenkunft darf der erste Ruf nach Verbesserungen im Asylwesen, der von Betroffenen selbst kommt, nicht abgehandelt werden. Ein zweiter Schritt wäre der persönliche Kontakt - die Tore der Votivkirche stehen auch für Politiker offen.

Die Geschichten der Asylwerber müssen bekannt werden - damit man dann an den Strukturen arbeiten kann. Denn freilich haben nicht alle Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchen, klassische Fluchtgründe. Trotzdem brauchen sie Aufenthaltssicherheit und Existenzsicherung. Sie stellen ganz Europa vor neue Herausforderungen. Höchste Zeit, dass wir uns ihnen stellen.

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