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„Eine Explosion des Guten und der Liebe"

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Die hohen Flüchtlingszahlen bereiten überall Kopfzerbrechen. Einfach ist es, nach politischen Maßnahmen zu rufen, schwieriger, als einzelner initiativ zu werden. In Graz hat ein Pfarrer nicht mehr zuschauen können...

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Die hohen Flüchtlingszahlen bereiten überall Kopfzerbrechen. Einfach ist es, nach politischen Maßnahmen zu rufen, schwieriger, als einzelner initiativ zu werden. In Graz hat ein Pfarrer nicht mehr zuschauen können...

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Pfarrer Wolfgang Pucher steht im medialen Rampenlicht: Seine angeblichen Provokationen werden ausführlich dargestellt, doch eigentlich predigt der Pfarrer nur Gottvertrauen und Nächstenliebe und lebt dies selbst vor. Die Errichtung eines Zeltdorfes für Füchtlinge erregt(e) die Gemüter.

Als eine „kantige Persönlichkeit, mit viel Mut und Courage" beschreibt der SP-Bezirksvorsteher Josef Gaube „seinen" Pfarrer. In den neunzehn Jahren, in denen Pfarrer Pucher nun schon in St. Vinzenz (Graz-Eggenberg) wirkt, habe es dieser Priester immer verstanden zu helfen, wo Hilfe nötig war. Auch im Falle des Zeltdorfes stehe er, der Bezirksvorsteher, „voll und ganz hinter dem Seelsorger". Gerade diese jüngste Hilfsaktion des Pfarrers sorgt für Schlagzeilen. Dabei begann es völlig unspektakulär - im Dezember 1991.

Egal, woher jemand kommt

Auf dem Gelände des Grazer Hauptbahnhofs trifft Pfarrer Pucher auf Obdachlose, Heimatlose, Entwurzelte. „Ich wollte ihnen nur helfen, diesen hungernden, frierenden Menschen" erzählt der Pfarrer, „ich frag' keinen, woher er kommt und warum er hier ist. Diese Menschen brauchen einfach Hilfe." Die alte Heimat haben sie verloren und die kurzfristig „neue Heimat", die Waggons der ÖBB, müssen sie des nachts wieder verlassen, wenn die Polizei sie des Geländes verweisen muß. „Sie dürfen da sein, bekommen aber keine Arbeitsmöglichkeit. Was sollen diese Menschen tun, wovon sollen sie leben?"

Daher organisierten freiwillige Helfer aus seiner Pfarre kurzfristig Hilfe. Mit einem Kleinbus, dem „Vinzibus", brachten sie jeden Abend Brote und Tee zu diesen hungernden Menschen. Die Zahl derer, die sich an den „Treffpunkten" einfanden, wurde immer größer. Kriegsflüchtlinge aus Kroatien, Flüchtlinge aus Polen oder Rumänien. Pfarrer Pucher und sein Team treffen keine Einteilung, Klassifizierung dieser Menschen. Irgendwann riß dem Pfarrer die Geduld. Er wollte den Menschen eine Unterkunft besorgen. Doch überall erfährt er Ablehnung und vor allem Resignation: „Es geht nicht!" - lautet die Antwort verschiedener Institutionen. Da beschließen der Vorstand des Pfarrgemeinderats und der Pfarrer, auf dem der Pfarre gehörenden Sportplatz ein Zeltdorf zu errichten. Und plötzlich beginnt sich eine Welle der Hilfsbereitschaft auszubreiten: Die Zelte werden „aufgetrieben", Decken und Not-Betten. Firmen aus Graz unterstützen dieses Zeichen der Nächstenliebe.

Und die Provokation, Herr Pfarrer? „Meine einzige Provokation bestand darin, daß ich die Öffentlichkeit, besser: die Anrainer des Sportplatzes nicht vorher gefragt habe", gesteht der Pfarrer, „aber wahrscheinlich hätten' s dann alle abgelehnt. Dieses Zeltdorf besteht aus acht Zelten, in denen jeweils acht Heimatlose kurzfristig Heimat erfahren. Das neunte Zelt ist die „Lager-Kirche". Auf dem Altartuch steht: Die Armen sind unsere Herren!" - Vinzenz von Paul. Der Geist des Ordensgründers ist hier gegenwärtig. Und von diesem Geist der gelebten Nächstenliebe ließen sich auch die anfangs skeptischen Anrainer anstecken. Jetzt bringen sie Sachspenden und auch Geld als Unterstützung für die Flüchtlinge. „Wir sind stolz auf unseren Herrn Pfarrer!", formuliert eine als ehemals scharfe Kritikerin bekannte Anrainerin, „aber fragen hätte er uns vorher schon können!"

Pfarrer Pucher nennt diese Hilfsbereitschaft eine „Explosion des Guten, der Liebe". Und er verweist auf das notwendige Gottvertrauen, wenn man solche Sachen „anpackt". Manchmal aber „packe" ihn „heiliger Zorn", wenn er mit Ungerechtigkeiten konfrontiert werde. Doch die kleinen, schönen Zeichen werden kaum erwähnt, klagt der Pfarrer, weil sie ohne deftige Begleitmusik geschehen. So habe er einen Brief einer knapp am Existenzminimum lebenden Mutter dreier Kinder erhalten, eine Alleinerzieherin, die ihr Letztes, einen wertvollen Ring, in diesem Brief mitgeschickt habe - für die Unterstützung der Flüchtlinge. „Bestimmt können Sie ihn gegen einiges Geld eintauschen" schrieb diese Frau. In einer Hauptschule habe er vor Vierzehnjährigen über das Zeltdorf reden dürfen, über das heiße Eisen „Ausländerfeindlichkeit". Hernach hätten sich sieben, acht Schüler gemeldet und bereiterklärt, an der Verbesserung der Beziehung zwischen Bevölkerung und Flüchtlingen mitwirken zu wollen. Ein Lehrerkollegium bot sich an, einen Sprachkurs zu organisieren.

Und das vielzitierte Lokalverbot? Pfarrer Pucher erzählt vom kurzfristig kursierenden Gerücht, die Gastwirte von Eggenberg hätten über „seine Männer" ein Lokalverbot verhängt. Nur ein Gerücht, stellte sich heraus. Ja, einmal wollte ein Gastwirt zehn seiner Zeltdorfbewohner für zweieinhalb Stunden Arbeit nur fünfhundert Schilling als Lohn zahlen. Da sei er - aufgrund dieser Ungerechtigkeit -schon etwas wütend geworden. Am nächsten Tag stand's in den Zeitungen. Nicht mehr in den Zeitungen stand, daß er sich am Abend wieder mit dem Wirt versöhnt habe. Zwei Gastwirte hätten sich sogar bereiterklärt, nach dem 31. August für die Unterbringung von Flüchtlingsfamilien aus Bosnien-Herzegowina dem Pfarrer zu helfen.

Wohlversorgt bis 31. August

Dieser 31. August 1992 ist das ominöse Datum. Bis dahin will der Pfarrer alle seine Zeltdorfbewohner, alle Flüchtlinge „wohn- und wohlversorgt" haben. „Mit der Hilfe Gottes", ergänzt Pfarrer Pucher. Mit diesem Gottvertrauen ging der Priester an das Hilfsprojekt heran. Unterstützung fand er von Anfang an bei den Politikern auf kommunaler Ebene bis hin zum Grazer Bürgermeister Alfred Stingl, der ihn sogar am Pfingstsonn-tagmorgen anrief und Mut zusprach. Von den eigenen Mitbrüdern aus dem Orden hätte er sich mehr Unterstützung und Hilfe erwartet, nun laste eben sehr viel Arbeit auf ihm allein, unterstützt von einem Team von Freiwilligen aus verschiedensten Pfarren. Viele Fernstehende sehen diese Zeichen und erfahren eine neue Liebe zu Gott; zugleich fühlen sich manche aus der Pfarre von dieser überschäumenden Liebe des Pfarrers beinahe überfordert. Der ruhelose und stets engagierte Pfarrer mußte unlängst selbst gewisse Grenzen erfahren: Als ihn Schwächeanfälle zu einer kurzen Ruhepause zwangen. Auf den Punkt bringt's wohl der Bezirksvorsteher: „Wenn es solche Menschen wie Pfarrer Pucher nicht gäbe, wäre unsere seelische Landschaft sehr arm!"

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