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Modell Glanzing: Ein Pionier blickt zurück

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„Diese Pfarre haben wir auf der grünen Wiese aufgebaut”, erzählt Pfarrer Karl Postruschnik von der Pfarre Glanzing im Wiener Bezirk Döbling. Eine Pfarre ohne Tradition, ohne am Ort verwurzelte Menschen. Wie eine neue Siedlung am Stadtrand emporschießt, zwischen Weinbergen und Parks, so wollte auch die Kirche dabeisein, mit den Neusiedlern gemeinsam bauen. Wo sich vor 15 Jahren noch Schrebergärten hinzogen, steht heute die moderne Betonkirche, der Volksmund nennt sie „Abschußrampe des Heiligen Geistes”, zwischen Villen und Gemeindebauten.

„Ich habe meine ganze Arbeit auf die Sonntagsmesse aufgebaut”, berichtet der weißhaarige Jesuitenpater. Zuerst - das war 1966 - las er in einer kleinen Kapelle im Park der Kinderklinik Glanzing die Messe. Bald fanden sich dort regelmäßig etwa 120 Leute ein. Mit ihnen begann er die Gemeindearbeit und plante den Bau einer Kirche mit Seelsorgezentrum.

Drei Jahre verstrichen, bis das Geld dafür da war. Diese Wartezeit, meint der Pfarrer rückblickend, war gut. So konnte der Bauplan mit dem Architekten und den Pfarrangehöri- gen durchdacht und weiterentwik- kelt werden. Das ist kein Bauwerk, das der Architekt entwarf und hinstellte, das ist ein aus dem Pfarrge- meinderat herausgewachsenes Seelsorgezentrum.

Hier ist in der saalartigen Kirche die Gemeinde um den Altar versammelt, für die Kinder gibt es niedrige Hocker. Hinter dem großen Messraum kann man sich in einer Cafeteria nach dem Gottesdienst für einen Plausch zu einer Schale Kaffee treffen. An schönen Tagen stehen die Menschen noch lange nach der Messe auf dem freien Platz vor der Kirche.

Das ganze Seelsorgezentrum ist auf Kommunikation ausgerichtet. Neben dem Saal, in dem Senioren turnen und Pfarrfeste gefeiert werden - an die 600 Menschen soll er fassen -, gibt es kleinere Räume für Arbeitsgespräche oder für ein gemütliches Zusammensein.

Aber auch außerhalb der Pfarran- lage zwischen Villen und Gemeindebau sucht der Pfarrer immer neue Begegnung. Ob er nun im Großmarkt etwas zu besorgen hat oder im Kaffeehaus mit Fremden ein Gespräch beginnt, er redet mit den Leuten, ob er sie kennt oder nicht Wenn es seine Zeit erlaubt, besucht er sie auch zu Hause.

Mögen sie nun Christen und Kirchengeher sein oder der Religion fernstehen, im Pfarrbereich wissen alle, das ist „unser” Pfarrer, grüßen ihn und wissen: „Wenn’s wo brennt”, zu ihm kann man kommen.

Allmählich wurden aus den anfänglich 120 Gottesdienstbesuchem mehr. Aus der kleinen sonntäglichen Basisgemeinde wurde eine Pfarrfa- milie von etwa 1000 Christen, in die auch die Wahlbesucher aus anderen Pfarreien integriert werden. Hier wird nicht nur ein Gebot erfüllt, am Sonntag holen sie sich die Kraft für die Woche, hier begegnen einander Bruder und Schwester.

Der Pfarrgemeinderat und etwa 30 Familien führen alle Sonderveranstaltungen durch. Es geht recht rege zu in der Pfarre Glanzing: Ein Pfarr- fest, ein Sommerfest, ein Ball im Winter, ein Heurigenabend in der warmen Jahreszeit, rhythmisches Turnen, ein Tanzkurs für Eheleute.

Auch Erstkommunion- und Firmunterricht werden von den Mitgliedern der Basisgruppe durchgeführt. Sie knüpfen selbst neue Kontakte, am Sonntag nach der Messe am Platz vor der Kirche wird fleißig geworben. Alle Arbeit in der Pfarre wird ehrenamtlich getan, selbst die Büroarbeit. Nur der Pfarrkindergarten wird von einer geprüften Kindergärtnerin betreut. Der Pfarrer selbst hat weder Kaplan noch Angestellte. Die Laien tragen mit ihm die Verantwortung, und viele Initiativen gehen auch von ihnen aus.

Auch die evangelischen Christen sind ihre Brüder. Einmal im Monat wird für sie in der katholischen Pfarrkirche ein Wortgottesdienst gehalten.

Zu tun ist noch viel. 7500 Menschen wohnen im Pfarrbereich, zur Sonntagsmesse kommen nur etwa 20 Prozent. „Glauben Sie mir, ich sehe keine Resignation bei den Menschen, ich kann nur ein immer größer werdendes Interesse an Religion feststellen. Immer neue Menschen kommen zu uns. Hier fühlen sie, daß wir für jeden offen sind, niemand wird verurteilt oder distanziert behandelt, wir alle sind Brüder und Schwestern”, sagt der Pfarrer.

Glanzing ist die vierte Pfarre, die Pater Karl Postruschnik neu aufgebaut hat. Er ist Jesuit, als Pionier wird er vom Orden hinausgeschickt. Wenn seine Mission zu Ende ist, holt ihn sein Orden für eine neue Aufgabe zurück. Das Seelsorgezentrum Glanzing feiert in diesen Tagen sein zehnjähriges Bestehen. Pater Postruschnik, 77 Jahre, nimmt Abschied. Die Gemeinde lebt, blüht und wird auch ohne ihn, so Gott will, weiter wachsen.

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