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Die Menschen sind das spürbare Wunder

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Wo seit mehr als vier Jahren die Gottesmutter erscheint, reifen die Früchte ihrer Botschaft: Friede, Gastfreundschaft, Freude am Gebet. Wer es erlebt, fährt verwandelt heim.

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Wo seit mehr als vier Jahren die Gottesmutter erscheint, reifen die Früchte ihrer Botschaft: Friede, Gastfreundschaft, Freude am Gebet. Wer es erlebt, fährt verwandelt heim.

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In engen Kehren führt die Straße von Mostar, im südlichen Jugoslawien, aus dem Tal der Neretwa auf ein karges Hochplateau. Inmitten von Feldern sieht man dort nach 20 Minuten Fahrt eine überraschend große Kirche. Bis zur nächsten Ortschaft, Medjugorje, sind es einige 100 Meter. 20 Gehminuten entfernt liegt ein weiteres Nest, Bijakovici.

Nazareth, habe ich mir gedacht, als ich zwischen den ärmüchen Häusern herumspazierte: Armut am Rande der großen Welt, einfache Bauern, die mit kargem Boden ringen, Bedeutungslosigkeit ... Diese am Äußeren hängende Assoziation gründet aber auf dem Umstand, daß die Mutter Gottes seit mehr als vier Jahren hier sechs jungen Menschen, zwei Burschen und vier Mädchen, erscheint. (Zwei von ihnen haben allerdings seit mehreren Monaten keine Visionen mehr.)

Darf man das so dezidiert feststellen? Immerhin liegt kein endgültiges kirchliches Urteü vor. Der zuständige Bischof von Mostar, Pavao Zanic, hat zwar eine Untersuchungskommission eingesetzt, ist selbst aber skeptisch, scheinbar ablehnend.

Alles spricht jedoch dafür, daß diese Jugendlichen die Welt nicht an der Nase herumführen. Ihre Glaubwürdigkeit ist letztiich das entscheidende Kriterium. 1984 untersuchte Professor Henri Joyeux von der Universität Montpellier die Erscheinungen mit Elektro-kardio- und Encephalogrammen und sonstigen Apparaten.

Das Ergebnis: Die Seher hören und sehen die äußere Umwelt während der Erscheinungen nicht. Sie konzentrieren sich gleichzeitig auf eine für Außenstehende nicht wahrnehmbare Reahtät. Ihre Ekstase weist keinerlei pathologische Züge auf. Apparate bestätigen also, was vorher die kommunistischen Behörden bei ärztiichen und psychologischen Untersuchungen zu hören bekommen hatten: Diese jungen Menschen sind auffallend normal.

Genau genommen sind sie aber nicht normal. Sie reagieren nämlich auf den Rummel um sie ganz anders, als dies jeder von uns täte. Vor allem einige der von überall anreisenden Fremden behandeln sie, wie es Jugendliche oft mit Popstars tun. Kaum daß die Seher auftauchen, werden sie fotografiert. Viele versuchen sie zu umarmen, sie zu berühren. Ihre Häuser werden belagert, Zeiten der „Besichtigung“ vereinbart und Fragestunden abgehalten. Bei einer solchen Gelegenheit sah ich zwei von ihnen, Vicka Ivankovic und Maria Pavlovic.

Hätte ich vorher an den Erscheinungen gezweifelt, die Begegnung mit diesen Mädchen hätte mich überzeugt. Wie unwahrscheinlich natürlich sind sie ge-büeben, wie reif sind ihre Antworten, wie groß ihre Geduld und Einfühlsamkeit!

Was wurde da nicht alles gefragt. Manchmal hätte ich mich am liebsten versteckt, so peinlich war manche Frage. Die Mädchen blieben bei alldem freundlich. Manchmal lachte die 20jährige Vicka hell auf, unbeschwert und natürHch. Das war einfach glaubwürdig. Vier Jahre lang kann sich niemand so perfekt verstellen, eine solche Natürlichkeit bewahren, ein normales einfaches Leben fortführen, wenn er pausenlos in

Versuchung geführt wird, sich für etwas Besonderes zu halten. Da ist eben Gott am Werk - in Medjugorje durch Vermittlung der Gottesmutter.

Außergewöhnlich ist nicht nur das Zeugnis der Seher. Auch die ganze Pfarrgemeinde ist ein sprechendes Zeichen für Gottes unmittelbares Wirken. Da ist zunächst die Art, wie sie den Ansturm der Fremden bewältigt. Wer bei einer einheimischen Fa-müie untergebracht ist, erlebt betroffen die seit Jahren ungebrochene Gastfreundschaft dieser einfachen Menschen, die das Wenige was sie besitzen, teilen. Bemerkenswert ist, daß sich bisher kein Tourismusboom entwickelt hat. Mag sein, daß einiges saniert worden ist in den letzten vier Jahren. Das Ortsbild aber bleibt einfach, ja arm.

Aber nicht nur das fällt auf. Besonders beeindruckt war ich von der Art, wie die Gemeinde Gottesdienst feiert: täglich drei Stunden. Nachmittags um fünf Uhr wird mit zwei Rosenkränzen begonnen. Dieses Gebet wird kurz unterbrochen, wenn die Gottesmutter den Sehern im Pfarrhof nebenan erscheint. Der Bischof hat dieses Geschehen nämlich aus der Kirche verbannt.

Im Anschluß daran feiert die Gemeinde Messe, und bis acht Uhr wird ein dritter Rosenkranz gebetet, woran sich meist eine Anbetung schließt. Am ersten Tag war mir das zu viel. Noch einen Rosenkränz, wo doch mein Pensum schon übererfüUt war! Mich störte auch die Art zu beten: wie ein Maschinengewehrfeuer. Holte ich nur einmal zwischendurch Luft, war ich schon ein „Amen“ zu spät dran. „Die denken sich ja nichts beim Beten“, war mein Intellektuellen-Urteil.

Drei Tage Aufenthalt haben mich eines Besseren belehrt. In Medjugorje erfährt man, daß Beten primär nicht eine Sache des Verstandes ist, sondern die ganze Person fordert. Und genau das wird gefördert, durch das, was mich anfangs gestört hatte. Der vielsprachige Rosenkranz läßt einen Raum des Gebets entstehen, in dem es nicht mehr wichtig ist, dem einzelnen Wort nachzuhängen. In diesen Raum kann man eintauchen.

Daß sich Alte und Junge, Frauen und Männer täglich drei Stunden Zeit für das Gebet nehmen, stellte mich einfach vor die Frage: „Ist Gott dir das wert oder betreibst du Gebet nicht vorwiegend als Pflichtübung?“

Bemerkenswert sind aber nicht nur Gebet und Gottesdienst in Medjugorje. Monatlich gehen die Menschen zur Beichte, sie beten zu Hause in der Familie. Alte Feindschaften wurden begraben, und einmal monatlich feiert die Gemeinde den Sonntag der Versöhnung. Auf diese Weise wächst Friede von der Wurzel her. Das ist erfahrbar. Die Pilger spüren es. Viele überdenken ihr Leben. Vor den Beichtstühlen stehen Schlangen. Viele beginnen ein neues Gebetsleben.'

Damit geschieht das, was die „Gospa“, wie die Gottesmutter in der Herzegowina heißt, nicht müde wird zu verkünden: Laßt Frieden in eure Herzen einkehren, betet, betet und fastet, damit euch eine Umkehr, ein Neubeginn im Glauben geschenkt wird.

Nichts Neues an sich. All das steht auch in der Heiligen Schrift. Wozu erscheint sie dann aber? Um auf die drängende Notwendigkeit der Umkehr in einer Welt, die am Rande des Abgrundes da-hintaumelt, aufmerksam zu machen. Und um zu bezeugen, daß mit Fasten und Beten jedes Un-heü abgewendet und Heil bewirkt werden kann. In der Pfarre Medjugorje erlebt man diese Umkehr. Und viele Fremde tragen sie mit heim, damit überaU die Saat aufgeht ...

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