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Strukturwandel in der religiösen Unterweisung

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Wenn seit 1945 die Fragen um die Neugestaltung der Schule in den Brennpunkt des erzieherischen Interesses und in eindringlicher Form zur Debatte stehen, dann ist es verständlich, daß auch die der religiösen Unterweisung diskutiert wurden.

Allein schon die personellen Schwierigkeiten mit der Besetzung der Religionsstunden brachten auf allen Stufen gegenüber dem Stand vor 1938 eine bedeutende Verschiebung. Bei normalen Verhältnissen hatte der Seelsorgpriester, wenn auch oft unter Aufbietung aller Kräfte, neben den seelsorglichen Verpflichtungen in den Städten zwanzig bis vierundzwanzig Wochenstunden Unterricht auf sich zu nehmen. Außerdem war an den Haupt- und Mittelschulen eine genügende Anzahl von Religionslehrern tätig, die als staatliche Lehrer angestellt und besoldet waren. Durch die neuen Vereinbarungen zwischen Kirche und den Parteien im Jahre 1945 verblieben die noch au dem früheren Personalstand vor 1938 beamteten Religionslehrer, und die Kirche hat — wenigstens vorläufig — die weitere Last der Bezahlung der übrigen Religionslehrer auf sich genommen. Nun haben aber durch den Krieg und die verminderte Möglichkeit zum Theologiestudium die österreichischen Diözesen Personalausfälle erlitten, die nicht sobald wieder aufgefüllt werden können. Dadurch sind auch für die Besetzung der Religionsstunden, da sich ein erfreulich hoher Prozentsatz von Schülern freiwillig zum Religionsunterricht meldete, der einen Durchsdinitt von 98 Prozent aufweist, ernste Schwierigkeiten erwachsen. Diese führten nun dazu, daß die kirchlichen Behörden immer mehr Laien zur Durchführung des Religionsunterrichts heranzogen. So gibt es keine österreichische Diözese mehr, in der nicht Lehrer und Lehrerinnen freiwillig neben ihrer Schulverpflichtung sich dazu bereit fanden. Auch Seelsorgshelferinnen und zu diesem Zweck vorgebildete Helfer und Helferinnen übernahmen diese Aufgabe. An der Spitze dieser Gruppe steht Wien mit 40 hauptamtlichen Religionslehrern aus dem Laienstand und 80 solchen, die unter 20 Stunden wöchentlich in einer Gesamtzahl von ungefähr 7000 Wochenstunden unterrichten. Die Seckauer Diözese beschäftigt 28 hauptamtliche und 62 nebenamtliche, Salzburg gibt 29, Linz 18, Tirol 15, Klagenfurt 9 Laienreligionslehrer an.

Die Entschädigung wird von der kirchlichen Behörde, in diesem Falle durch die betreffenden bischöflichen Finanzkammern, in einer Weise vorgenommen, die der Aufgabe und Verantwortung der zum Unterricht Herangezogenen entspricht. Diese freiwilligen Helfer und Helferinnen sind in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften zusammengeschlossen, in denen methodische und praktische Fragen besprochen werden und auch auf die persönliche Weiterbildung großer Wert gelegt wind. Man will dem Kind und jugendlichen Menschen nicht nur einen Unterricht darbieten, sondern eine seelische Durchformung ermöglichen. In zahlreichen Kursen werden alle wichtigen Fragen behandelt und durch erfahrene Pädagogen die nötigen Hinweise gegeben. Der vergangene Sommer führte schon in dieser Richtung weiter. So wurde Ende August eine „Katechetische Woche” in Innsbruck veranstaltet; die Salzburger Religionslehrer (davon drei Viertel Laien und ein Viertel Priester) trafen sich zu dem Thema „Die Schule auf dem Dorfe” in Obertauern; in Graz waren bereits drei Kurse eingerichtet worden, und in Wien besteht seit Herbst das erzbischöfliche Amt’ für Unterricht und Erziehung, das in einer besonderen Abteilung alle seit 1945 laufenden Kurse zusammenfaßt.

Als große Schwierigkeit erweist sich der Mangel an Schul- und Handbüchern, die erst allmählich und nach Überwindung vieler Hindernisse in die Hände der Kinder gegeben werden können. Wohl erfuhren bewährte Hilfsmittel, wie der Katechismus und die Biblische Geschichte, endlich wieder eine Neuauflage, aber wie in allen anderen Gegenständen und Fächern verlangten die neuen pädagogischen Erkenntnisse manche Abänderung oder Umstellung in der Darbietung, um möglichst lebensnahe und verständlich zu werden.

Die katechetischen Methoden der sogenannten „Wiener Schule” galten seit Jahrzehnten weit über den deutschen Sprachraum hinaus als zielgebend und wurden- überall als führend angesehen. Alle jene verdienten Männer, wie etwa die Gebrüder Pichler, Kanonikus Minichtaler, die den Ruf dieser Methode begründeten, sind heute tot wie ein Teil jener, Garde, die bis 1938 im „Wiener Katechetenverein” diese Prinzipien der religiösen Unterweisung ausbaute und immer neu zu formulieren versuchte. Heute steht die nachkommende Generation, die manchen Namen nur mehr vom Hörensagen kennt, aber doch die Schriften jener Männer gelegentlich noch vorfindet, vor den gleichen Aufgaben, aber unter veränderten Umständen. Wenn nunmehr das Sprachrohr der ehemals so bekannten Wiener Schule, die „Christlich-pädagogischen Blätter”, wieder mit dem 61. Jahrgang erscheint, so erweist es sich, daß die Aufgabe erkannt wurde und aufs neue angepackt werden will.

Neben dieser schon äußerlichen Wandlung ist durch die Umstände nach 1938 eine bedeutende pädagogische Auseinandersetzung in Fluß geraten. Je mehr damals der Religionsunterricht aus den Schulen hinausgedrängt und zum Schluß kaum mehr geduldet wurde, desto notwendiger erwies sich die außerschuliche Erziehung in den von dem Staat geduldeten „Seelsorgstunden”. Als Notbehelf gedacht und geübt, erfuhren, diese einen eifrigen Ausbau, und die bewußt gläubige Jugend fand in ihnen ein wertvolles Zentrum. Hier entwickelte sich ein christliches Jugendleben, das bald unter Lied und Spiel infolge vieler Schwierigkeiten den Jungen und Mädchen ihre Arbeit noch romantischer erscheinen ließ. Sie bilden den Kern der heutigen jungen Generation. In der Nachkriegszeit fielen zwar die staatlichen Behinderungen weg, aber mit dem Aufkommen der Jugendorganisationen der Parteien verringerte sich die Reichweite dieser Seelsorgstunden in einem gewissen Maße. Daß aber ein Bedürfnis nach dem Religionsunterricht heute in weiten Volkskreisen empfunden wird, zeigt die große Beteiligung am Religionsunterricht. Es ist statistisch erwiesen, daß trotz intensiver Arbeit in den Jahren 1938 bis 1945 niemals eine so große Zahl von Kindern und Jugendlichen in den privaten Religionsunterricht einbezogen wurde wie heute durch die Schule. Eine Erhebung in sieben Pfarren eines Wiener Arbeiterbezirkes aus dem Jahre 1944 ergibt folgendes Bild:

Katholische getaufte Kinder im erstkommu- nionpflichtigen Alter wohnten in der Pfarre I 19, Pfarre II 127, Pfarre III 118, Pfarre IV 36, Pfarre V 97, Pfarre VI 74, Pfarre VII 15.

Davon, sind in der pfarrlichen Erstbeicht- und Erstkommunionvorbereitung erfaßt worden: Pfarre I .9, Pfarre II 37, Pfarre III 58, Pfarre IV 27, Pfarre V 82, Pfarre VI 50, Pfarre VII 15.

Kinder, die in einer Seelsorgestunde für Erstkommunikahten waren: Pfarre I 9, Pfarre II 26 bis 30, Pfarre III 20 bis 30, Pfarre IV 27, Pfarre V 20, Pfarre VI 25, Pfarre VII 12.

(Die römischen Ziffern bedeuten nicht Bezirke, sondern nur die Zahlen der Untėr- sudiungsbeispiele.)

Von 286 im Erstkommuniomalter stehenden Kindern kamen gegen 150 Kinder regelmäßig zur Seelsorgstunde, trotz ständiger Bemühung der Seelsorger durch schriftliche und persönliche Einladung der Kinder.

Über das erstkommunionpflichtige Alter hinaus waren von 1939 bis 1943 nicht bei den Sakramenten:

Anzahl der Kinder: Erfaßt wurden:

Pfarre I …. 47 Pfarre I …. 14

Pfarre II …. 100 Pfarre II …. 12

Pfarre III … 56 Pfarre III … 8

Pfarre IV … 36 Pfarre IV … 12

Pfarre V …. 172 Pfarre V …. 10

Pfarre VI … 71 Pfarre VI … 12

Von 482 Spätlingen, die durch die Erschwerung des schulischen Religionsunterrichtes nicht mehr zur Erstkommunion geführt werden konnten, wurden nur mehr 68 durch pfarr- liehe Betreuung gewonnen.

Zu diesen Ziffern ist zu sagen, daß sie in die schlimmste politische Sturmzeit fielen, wo äußere Gründe das Zahlenbild beeinflussen mußten. Immerhin sind es sehr bedenkliche Ziffern und es wäre zu wünschen, daß eine Untersuchung aus den Nachkriegsjahren ein Vergleichsmaterial biete, das erheblich besser ausfiele.

Diese wenigen Zahlen lassen schon erkennen, daß auch Religionsunterricht unter den heute üblichen Bedingungen in der Schule kaum die schweren Schäden wird wieder gutmachen kann. Der jugendliche Mensch bedarf nicht nur des geeigneten Wortes, sondern auch jener besonderen Atmosphäre und Lebenskraft, die ihm nur die konfessionelle Schule zu bieten vermag. Die erzieherische Bedeutung einer religiös geformten Umwelt hat in einer grundsätzlichen Betrachtung Universitätsprofessor Dr. M. Pfliegler in seiner Broschüre „Religion und Erziehung” (Verlag Herder, Wien) bereits gekennzeichnet. Zu demselben Resultat führen auch die hier angeführten praktischen Ergebnisse. Hier stehen Probleme und Aufgaben vor uns, die größte Anstrengungen von uns verlangen. Man würde im Irrtum sein, wenn man glauben würde, sie ohne Opfergeist und Opfertat bewältigen zu können.

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