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Weg vom „Pfarrgetto“

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Wie alle sozialen Institutionen ist auch die Kirche vom sozialen Wandel der Gegenwart betroffen.

Die dem Territoralprinzip folgende kirchliche Gliederung nach Diözese und Pfarre ist historisch geworden, zum Teil viele Jahrhunderte alt.

Da die territorialen Seelsorgestrukturen der Kirche auf die sozialen Räume der Gegenwart abgestimmt sein müssen, um ein optimales „Mitsein der Kirche mit der Gesellschaft“ zu ermöglichen, ist eine Reform dieser kirchlichen Strukturen notwendig. Eine solche ist auch in den Konzilsdekreten und den einschlägigen Durchführungsbestimmungen dazu festgelegt. Das von E. Bodzenta, N. Greinacher und L. Grond im Rahmen der religionssoziologischen Schriften des Matthias-Grünewald-Verlages herausgegebene Ruch über „Regionalplanung in der Kirche“ macht einige wertvolle sozialwissenschaftliche Untersuchungen und praktische Planungsarbeiten zu diesem Thema zugänglich. Es handelt sich zum größten Teil um bisher ungedruckte Institutsberichte, die im Rahmen des 1946 in Holland gegründeten Katho-liek-Sociaal-Kerkelijk-Institut, des 1952 von Erzbischof-Koadjutor Doktor Jachym gegründeten Instituts für kirchliche Sozialforschung in Wien und des Pastoralsoziologischen Instituts in Essen entstanden sind.

Der erste Beitrag von L. Grond OFM. weist an Hand von Zahlenmaterial über die Diözesaneinteilung und über Pfarrstrukturen in europäischen Ländern die Reformbedürftigkeit der kirchlichen Territoral-struktur nach. Der Beitrag schließt auch Anregungen für eine Neuordnung ein: Ausbau der Funktionen des Dekanats und Neuverteilung der Kompetenzen auf diözesaner Ebene, Das Dekanat könnte im Sinne des Subsidiaritätsprinzips und der Anpassung der Seelsorgestrukturen an größere soziale Räume, alle jene Funktionen ausüben, die auf Ebene der Pfarre nicht mehr bewältigt werden können.

Die Kapitel II, III und IV von E. Bodzenta befassen sich ausführlich mit den Problemstellungen für eine wissenschaftlich fundierte Pfarr- und Kirchenplanung sowie mit ihren Methoden und bringen eine Reihe von Planungsbeispielen, die sich unter anderen mit folgenden Problemen beschäftigen: überholte und unklare Pfarrgrenzen, Fassungsraum und Besuch der Kirchen;

Gliederung eines Stadtkörpers in Zonen und Sektoren, zwischenpfarr-liche Wanderung, Bevölkerungsprognosen für Pfarrgebiete und Gesamtpfarrentwicklungsplan für eine Großstadt.

Sowohl die umfassende Darstellung der Kriterien zur Ermittlung des Pfarr- und Kirchenbedarfs, zur Festlegung von Pfarrgrenzen und zur Standortbestimmung von Kirchen sowie der Kriterien zur Festlegung der Größe des Kirchenraumes als auch ihre konkrete Anwendung in Planungsbeispielen machen das Buch zu einem guten Behelf für alle Personen und Ämter, die sich mit der Lösung solcher Aufgaben zu beschäftigen haben.

Im Kapitel V wird ausführlich die Pfarr- und Kirchenplanung für eine Großstadt am Beispiel von Dortmund entwickelt.

Das umfangreiche Kapitel VI von H. Helczmanovszki befaßt sich mit der Strukturplanung für die Landgebiete der Erzdiözese Wien. Diese Studie versucht aufbauend auf Arbeiten des Instituts für Raumplanung, der österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Instituts für kirchliche Sozialforschung, Vorschläge für eine Neuordnung der räumlichen Organisation des kirchlichen Lebens entsprechend der geänderten gesellschaftlichen Situation in den Landgebieten zu entwickeln. Die Arbeit beschäftigt sich überwiegend mit der Neuabgrenzung der Dekanate nach einer geänderten ökologischen beziehungsweise sozial-räumlichen Gliederung, mit der Wahl optimaler Standorte für die Dekanatssitze und mit der Einrichtung und Abgrenzung von Seelsorgezonen.

Der dritte Abschnitt enthält einen pastoraltheologischen Abschnitt über raumgerechte Seelsorge von N. Greinacher, der ein Konzept eines räumlich-differenzierten und gestaffelten Seelsorgeaufbaues entwickelt, Der einfache Dualismus von Pfarre-Diözese soll abgelöst werden von einem Strukturmodell, das von dei Substruktur der Pfarre (in der Großstadt) über Pfarre, Dekanat, Seelsorgezone, Diözese und Kirchenprovinz (beziehungsweise Diözesen eines Staates als Einheit, zugeordnet der Bischofskonferenz) reicht. Besondere Betonung liegt auf der Substruktur der Pfarre in der Stadt und auf der Seelsorgezone, die sich als Stadtkirche darstellt.

Ein derart differenzierter Aufbau territorialer Seelsorgestrukturen bringt eine bessere Übereinstimmung mit dem Organisationsgrad der profanen Gesellschaft, geht au1 ihre „menschlichen Zonen“ bessei ein und löst die Pfarre durch Kooperation auf übergeordneter Ebene aus ihrer Isolierung. Der dritte Teil enthält ferner noch eine Darstellung der Schwierigkeiten, die sich bec kirchlichen Planungsvorhaben ergeben und ein 7-Punkte-Programm, das bei solchen Arbeiten beherzig! werden soll, ferner noch zwei Darstellungen zum Problem der richtigen Versorgung eines Gebietes mil Kirchen und der Ausstattung von Dekanatssitzen mit Dekanatshäusern.

Die Beiträge, zum Teil ergänzt durch konkrete Beispiele, Zahlen und Planskizzen, geben eine gute Einführung in die genannten Themen. Das Buch behandelt die Thematik zwar nicht erschöpfend (es fehlt zum Beispiel ein Beitrag zur Frage der Reform der Pfarrorganisation in den Landgebieten), abei das Ziel der Herausgeber, daß dei eigentliche Ertrag darin liegen soll und kann, auf die Notwendigkeil neuer gedanklicher Einstellungen hinsichtlich der gesamten Seelsorgs-strategie hinzuweisen, wird zweifei-los erreicht.

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