6772790-1969_09_14.jpg
Digital In Arbeit

Die Kirche der Mittelschicht

19451960198020002020

Kirche ist immer Kirche unserer Zeit und steht deshalb in der Landschaft unserer Gesellschaft. Deshalb wird sie sich in das Gelände unserer Gesellschaft einfügen müssen. Es wäre aber falsch, würde man einzig die Gesellschaft sehen, wenn man die gesellschaftliche Gestalt der Kirche neu durchdenkt. Für die Kirche als von Christus gegründetem Heilsinstitut gibt es auch theologische Größen, die für die konkrete Gestalt der Kirche maßgeblich sind. In der folgenden Kritik am Pastoralkonzept schränken wir uns auf den ersten Bereich ein, der für die Realisierung von Kirche in der Gegenwart berücksichtigt werden muß.

19451960198020002020

Kirche ist immer Kirche unserer Zeit und steht deshalb in der Landschaft unserer Gesellschaft. Deshalb wird sie sich in das Gelände unserer Gesellschaft einfügen müssen. Es wäre aber falsch, würde man einzig die Gesellschaft sehen, wenn man die gesellschaftliche Gestalt der Kirche neu durchdenkt. Für die Kirche als von Christus gegründetem Heilsinstitut gibt es auch theologische Größen, die für die konkrete Gestalt der Kirche maßgeblich sind. In der folgenden Kritik am Pastoralkonzept schränken wir uns auf den ersten Bereich ein, der für die Realisierung von Kirche in der Gegenwart berücksichtigt werden muß.

Werbung
Werbung
Werbung

Aus all dem, was die erste Session der Wiener Diözesansynode über die Heilssorge der Kirche beschlossen hat, ist erkennbar, daß in der Zukunft die Wiener Erzdiözese ein räumlich und organisatorisch hochgradig durchforsteter, pastoraler Großbetrieb sein wird. Es ist deshalb für den Soziologen ganz selbstverständlich die Rede von neuen räumlichen und organisatorischen Zwischenstufen (Regionen, Seelsorge-zonen, bis herunter zu pfarrlichen Substrukturen, wie. Wohnviertel oder Sprengel). Alle diese neuen Ebenen sollen dazu dienen, die Pastoral besser zu koordinieren und wirksamer zu machen. In diesem Großbetrieb nimmt die Pfarre ihren Platz ein. Es ist klar, daß sie in einem solchen Zusammenhang nicht mehr so autark ist, wie bisher, sondern daß sie mit höheren Ebenen, aber auch mit Untereinheiten in Verbindung steht.

Ich habe auf diesen „Sitz“ der Pfarrgemeinde hingewiesen, weil nur dieser große Zusammenhang verständlich macht, daß .auch die Pfarre selber in ihrem Pastoralen Handeln als pasitoraler Großbetrieb konzipiert ist. Und es liegt auf derselben Ebene1;'daß in einem Konzept pfarrlicher Seelsorge von einer Pfarrgemeindeordnuing die Rede ist. Ohne eine solche ' Ordnung ist ein wirksames Funktionieren von Pfarren etwa des Ausmaßes einer Großstadtpfarre mit 10.000 Katholiken nicht mehr denkbar. (An dieser Stelle wird wiederum klar, daß auch theologische Überlegungen angestellt werden müssen, wie eine solche Gemeindeordnung konkret auszusehen hat. Soweit wir sehen, ist man in dieser Frage auf die Kirchenkon-stitution des IL Vatikanums verwiesen und auf das, was dort über das Volk Gottes und seine hierarchische Verfaßtheit gesagt ist.) In der Vorlage an die Synode ist dann (aib Seite 47) von der Wirksamkeit einer Pfarrgemeinde die Rede. Als theologisch definiertes Ziel wird der Aufbau einer Gemeinde von glaubenden und in der Liebe tätigen Menschen vorgegeben. Und dieses Ziel soll unter anderem auch durch das Instrumentarium der Bildung kleiner Gemeinschaften erreicht werden. Für den Soziologen geht es da um die Frage, wie Sekundärsysteme effektiv werden, wie also Einrichtungen, die zunächst nicht viel gemeinsam haben mit überschaubaren, erletonisdiichten Kleingruppen (Primärsysteme wie Familie, oder Freundeskreis) wirksam werden. J. Schaschiag hat dazu einen viel zuwenig bekannten Artikel uniter dem Thema „Die Funktion der Gruppe in der Kirche von heute“ („Unsere Herrin“, Jahrgang 1967, Heft 6—8), geschrieben. Dort führt er aus, daß für dieses Ziel die kleinen Gruppen von großer, und vielleicht sogar zunehmender Bedeutung sind. „Wir müssen“, so heißt es dort, „gerade wegen der Anonymität, die in der heutigen Kirche da ist und an der Katholiken leiden, stärker denn je schauen, wo wir ;— den heutigen Menschen entsprechend ■— Gemeinde, Gruppe in dieser Kirche ausbauen können im Sinn des überschaubaren, des erlebbaren christlichen ,Wir'“ (Seite 1155).

Wir stellen diese Würdigung der „Kleingruppenbildung“ bewußt an den Anfang, damit das Folgende nicht mißverstanden und nicht ideologisch mißbraucht werden kann. Wogegen wir im Folgenden zu Felde ziehen, ist die Tatsache, daß in der Vorlage als Instrumentarium pfarr-licher Wirksamkeit einzig diese Kleingruppenbildung angeführt ist. Sosehr diese also wichtig ist, als monokausale Erklärung wäre sie für die pfarrliche • Seelsorge letzten Endes tödlich. Für die Pfarrseel-sorge der kommenden Jahrzehnte würde dies nämlich, und hier liegt die Mitte unserer Kritik, bedeuten, daß sie sich der dominanten Tendenz nach auf das kirchlich schon engagierte Segment der sozialen Mittelschicht festlegt.

Im Institut für kirchliche Sozialforschung wird in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ethik und Sozialwissenschaften gegenwärtig eine Untersuchung der Ehe- und Familienrunde in Wien durchgeführt. Diese Untersuchung soll unter anderem auch Material über die missionarische Wirksamkeit pfairrlicher Kleingruppen erbringen. Es zeichnet sich nun ein Ergebnis ab, das für meine Kritik sehr wichtig ist. Ich möchte an dieser Steide noch ausdrücklich vermerken, daß Kritik so lange hypothetisch bleibt, bis die Untersuchung abgeschlossen ist. Eine der zentralen Hypothesen dieser Untersuchung lautet, daß die Bildung kleiner pfarrlicher Gruppen primär und nahezu exklusiv regelmäßige Kirchgänger erfaßt. Stimmt dieser Satz, dann ist er in Beziehung zu setzen mit dem anderen Faktum, daß (vor allem in den großen Wiener Stadtpfanpen) die 20 bis 30 Prozent regelmäßiger Kirchgänger vorwiegend aus den mittleren Schichten der Gesellschaft (Angestellte, Beamte) stamimen. Diese Tatsachen sind durch die Kirchenbesuchszählunigen des IKS verbürgt. '

Wenn nun, wie es die Vorlage vorsieht, die Wirksamkeit pfarrlicher Pastoral primär Bildung kleiner Gemeinschaften ist, dann bedeutet dies, daß diese Pastoral sich innerhalb der Kirchgänger und damit bevorzugt innerhalb des kirchennahen Segments der sozialen Mittelschicht abspielt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung