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Ein „Blaulichtpfarrer” unterwegs

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In der Großstadt fällt der zunehmende Priestermangel noch nicht so stark auf. Zwar haben viele Pfarren nicht mehr mehrere, sondern nur mehr einen Priester, aber die priesterlose Gemeinde ist noch weitgehend unbekannt. A nders ist es auf dem Land: immer häufiger müssen Landpfarrer kleine verwaiste Nachbarpfarren mitbetreuen. Für sie ist der Tag des Herrn jede Woche aufs neue eine physische und psychische Zerreißprobe.

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In der Großstadt fällt der zunehmende Priestermangel noch nicht so stark auf. Zwar haben viele Pfarren nicht mehr mehrere, sondern nur mehr einen Priester, aber die priesterlose Gemeinde ist noch weitgehend unbekannt. A nders ist es auf dem Land: immer häufiger müssen Landpfarrer kleine verwaiste Nachbarpfarren mitbetreuen. Für sie ist der Tag des Herrn jede Woche aufs neue eine physische und psychische Zerreißprobe.

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Sonntag, 13. April 1980, zehn Minuten nach acht Uhr, während wahrscheinlich noch viele Zeitgenossen in den Betten liegen, hat der 46jährige Pfarrer von Markt-Piesting, Johann Frühwirt, bereits die erste Sonntagsmesse hinter sich gebracht. Aus der Pfarrkirche der 2500-Seclen-Gemeinde Markt-Piesting strömen die Gläubigen.

Das ist an sich nichts Besonderes. Hunderte von Frühwirts Kollegen haben um diese Zeit ebenfalls schon ihre erste Messe gelesen. Nun aber kommt das relativ Außergewöhnliche: der Pfarrer setzt sich nicht zum Frühstückstisch oder plaudert mit Meßbesuchern, sondern er eilt zum Pfarrhof und setzt sich in seinen dunkelblauen Renault 16 TX, um die Fahrt ins benachbarte Dreistetten anzutreten. Mit von der Partie: eine Organistin und ein neugieriger Journalist aus Wien (der Verfasser dieses Beitrags).

Szenenwechsel: Die Dorfkirche von Dreistetten, inmitten eines idyllischen Friedhofs gelegen an einem strahlenden Frühlingstag. Auferstehungsstimmung liegt in der Luft und in der Predigt des Pfarrers über den Apostel Thomas und das Bibelwort „Selig, die nicht sehen und doch glauben!”

Dazu bringt Frühwirt ein treffliches Gleichnis: Ein Artist, der auf dem Hochseil alle möglichen Kunststücke gezeigt hat, zuletzt sogar einen Schubkarren von einer Seite zur anderen gebracht hat, fragt das Publikum: „Glaubt ihr. daß ich das noch einmal schaffe?” Alle rufen im Chor: „Ja!” Da fordert der Seiltänzer einen Zuschauer auf, sich in den Schubkarren zu setzen, aber der lehnt verzagt ab. Glauben ist eben ein Risiko, Vertrauen ein Wagnis. Frühwirt: „Glauben bedeutet, sich in den Schubkarren zu setzen.”

Nach der Messe bleibt nur wenig Zeit, um mit einzelnen Gläubigen aus der 700-Seelen-Gemeinde - Schwergewicht Nebenerwerbsbauern - ein paar Worte zu wechseln. Ein Mann bittet den Pfarrer, an einer Gesprächsrunde über das Fernsehprogramm „Warum Christen glauben” teilzunehmen, wenn es dessen Terminkalender erlaubt, dann geht die Fahrt schon wieder weiter.

In Piesting und Dreistetten bestehen 21 Gesprächsrunden zu diesem ORF-Studienprogramm, Frühwirt leitet einige selbst und versucht in allen wenigstens einmal anwesend zu sein.

Um halb acht war die Messe in Piesting, um halb neun begann der Gottesdienst in Dreistetten, und schon um halb zehn steht die Messe in Steinabrückl, diesmal als Jugendmesse gestaltet, auf dem Programm.

Steinabrückl, eine Industriegemeinde mit 1000 Einwohnern am Westrand des Steinfeldes, ist seelsorglich der härteste Brocken unter den drei Pfarren Frühwirls, aber offenbar einer, an dem er sehr hängt. Hier hat er 1968 seine erste Pfarre übernommen (Piesting und Dreistetten kamen erst 1975 dazu), doch nun ist der neue Pfarrhof unbewohnt.

Die Messe in Steinabrückl, sie steht unter dem Titel „Begegnung”, ist beeindruckend. „Warum denn bauen wir nicht Brücken zueinander?” heißt das Lied, das sich durch die ganze Messe zieht und jung und alt zum gegenseitigen Verständnis mahnt. Statt einer Predigt präsentiert der Pfarrer ein Dia zum Thema „Begegnung”, zu dessen Beschreibung und Deutung er Stimmen aus der Schar der Gläubigen zu Wort kommen läßt. Als am Schluß das Gottesvolk durch eine von den Jugendlichen gebildete Brücke aus der Kirche zieht, sind alle zufrieden.

Während Frühwirt wegen eines geschlossenen Bahnschrankens auf einem „Schleichweg” („Wenn man keine Schleichwege kennt, ist man verloren!”) zurück nach Piesting hastet, lobt er noch die erfolgreiche Mitarbeit der Jugendleiterin in Steinabrückl, wie er überhaupt betont, daß sein Aufgabenbereich ohne tüchtige Mitarbeiter nicht zu'bewältigen wäre.

Als wir nach rasanter Fahrt in Piesting ankommen, wo um halb elf die nächste Messe angesetzt ist, bedarf

Frühwirts Beiname „Blaulichtpfarrer” keiner weiteren Erklärung. Er parkt den Renault vor der Sakristeitür, und keine drei Minuten später beginnt die Messe. Da mit Rücksicht auf die Erwachsenen nur einmal im Monat eine eigene Kindermesse möglich ist, werden die Kinder während der Vormesse in der Sakristei von einer Assistentin betreut.

Nach der Messe stellt der Pfarrerden

Renault vor der Pfarrhaustür ab. Kaum ist er in seinem ebenerdigen Arbeitszimmer, tauchen vor dem Fenster zwei junge Männer auf, die ihn in ein Gespräch über eine Aktion der Piestinger Jugend verwickeln: kostenlose Nachhilfe für Volksschüler.

Das Mittagessen wird von Frau Mayrhofer, die dem Pfarrer unter der Woche vorkocht und tagsüber im Wiener Neustädter Bildungshaus St. Bernhard arbeitet, einer größeren Runde -das Piestinger Pfarrhaus ist sehr gastfreundlich - aufgetragen und mundet allgemein vorzüglich.

Die Frage an Pfarrer Frühwirt liegt nahe: Ist dieses Hetzen von Messe zu Messe die Zukunft einer immer priesterärmer werdenden Kirche?

Früh wirt weist auf das Personalkonzept des Vikariats Unter dem Wienerwald hin, das einerseits vorsieht, möglichst alle Pfarren zu erhalten, anderseits, daß ein Pfarrer andere Gemeinden mitbetreuen muß, verstärkt unterstützt von Laien, von Pastoralassistenten, Kommunionhelfern und Gemeindeassistenten. Wichtig ist die ständige Bezugsperson, ist der eigene Pfarrgemeinderat jeder Gemeinde. Sein „Dickschädel”, wie er selbst meint, ist es, seinen drei Pfarren einen ständigen Priester als Bezugsperson erhalten zu wollen, deshalb ist er gegen Aushilfen, die womöglich ständig wechseln.

Es sind ja nicht die Sonntagsmessen allein, die sich durch die Tätigkeit in drei Pfarren multiplizieren, es sind die Wochentagsmessen, die Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse, die vielen Gesprächsrunden (zum ORF-Programm, mit der Jugend, mit Senioren, mit Familien), die Kreuzwege in der Fastenzeit, die Maiandachten, die Zeremonien zu hohen Fest- und Feiertagen und alle anderen Aktivitäten, die ein agiler Pfarrer in seiner Gemeinde setzt, vom Pfarrblatt über Hausbesuche bis zu Festen, Krankenbesuchen und Gratulationsschreiben an Jubilare.

Alle diese Aufgaben versucht Pfarrer Frühwirt, oft unterstützt von fleißigen Mitarbeitern, wahrzunehmen. Daß neben der Pfarrtätigkeit auch 22 Religionsstunden in der Woche zu halten sind und für ihn Aufgaben im Vikariat (Pfarrgemeinderatsausschuß, Personalausschuß, Bauausschuß) anfallen, läßt den Frühaufsteher selten vor 23 Uhr ins Bett kommen. Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß er wegen eines Hautleidens jede Woche mindestens einmal zur Bestrahlung nach Wien muß.

Hat so ein Pfarrer überhaupt noch Zeit für Hobbies? Frühwirt gesteht, daß sein Hobby die Leitung des Kirchenchores ist (wobei er sich bei der Aufführung von Messen dann entweder als Priester oder als Chorleiter vertreten lassen muß).

Zum Krankwerden hat Frühwirt kaum Zeit, als Urlaub unternimmt er größere Reisen mit Pfarrangehörigen, etwa nach Rom oder nach Frankreich. Auch zum Plaudern mit Journalisten hat er nur begrenzt Zeit, denn plötzlich springt er auf, um seine Fünfte Sonntagsmesse nicht zu versäumen. Zwei Minuten später ist der Renault verschwunden. Um 15 Uhr liest Frühwirt jeweils auf der Hohen Wand eine Messe, hauptsächlich für Ausflügler.

Immer wieder setzt er auch Wortgottesdienste durch Mitarbeiter an. Demnächst wird der Piestinger Apotheker zum Diakon geweiht.

Für ideal hält Frühwirt seine Situation als „Blaulichtpfarrer” keineswegs, aber für unumgänglich, soll den Pfarren ihr ständiger Priester erhalten bleiben.

Frühwirt stellt jedenfalls ein nicht wünschenswertes, aber anscheinend unvermeidliches Modell für die nächste Zukunft dar. Mochte man bisher das Leben eines Landpfarrers für geruhsam und beschaulich halten - was wahrscheinlich schon bisher falsch war -, so ist jetzt gar keine Rede mehr davon. Johann Frühwirt resümiert trotzdem: „Ich bin zufrieden. Stünde ich noch einmal vor der Wahl, ich würde wieder Priester werden.”

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