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Wie eine Predigt zustande kommt..

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Wie kommt eigentlich so eine Predigt zustande? fragte mich ein etwas kritischer Mann. Sprecht ihr so, wie es euch einfällt, oder lernt ihr es auswendig? Predigt ihr gerne oder ist es euch eine Last, wie man manchmal zu fühlen glaubt?

Viele Fragen auf einmal. Doch ich will versuchen, sie alle zu beantworten.

Man kann eine Predigt wohl vorbereiten, und doch geht sie daneben. Das kann am Prediger liegen, aber auch an den Zuhörern. Am Prediger: Wir sind nicht immer innerlich disponiert zum Reden und müssen zur Stunde unbarmherzig antreten. Am Sonntag um 8 und 10 Uhr mußt du auf die Kanzel steigen, ganz gleich, wie du dich fühlst, ob dir weh ist an Leib oder Seele, ob du gerne lieber schweigen wolltest. Da hebt man dann mühsam die Füße die Stufen zur Kanzel empor und mühsam entringt man sich die Worte. Das Gebäude, das man sich zurechtgelegt, rutscht zusammen, aber man spricht, und sei es mit geschlossenen Augen. Merkwürdigerweise finden auch solche Predigten manchmal Ariklang, die aus der Not geboren sind. Jahrelang stand unter meiner Kanzel in einer Großstadtgemeinde ein junger Mann, der bis zur Mitte zuhörte und dann mit Zeichen der Empörung ostentativ mitten durch die Kirche fortging. Jahrelang sprach eine Geisteskranke in meine Predigten ungeniert hinein, lobte, tadelte, redete tolles Zeug. Die Alten schmunzelten, die Kinder lachten, ich schwitzte. Ich durfte nichts gegen sie machen, weil sie, wie es damals üblich war, in der Anstalt wohl vergast worden Wäre. Das sind unangenehme Sachen. Ich sage das, damit man auch unsere Schwierigkeiten besser versteht. Natürlich gibt es auch das Gegenteil. Nach einer alten Regel soll man sich beim Sprechen einen idealen Zuhörer ins Auge fassen und ihn anreden. Also nicht auf die Schlafenden, die Fadisierten, die Lesenden (auch das gibt es) schau m, Sondern auf die wenigen, die sich von einer Predigt noch etwas erwarten, die bereit sind, mitzugehen. Da kann einen in Schwung bringen. Als Guardini im Krieg in Wien ‘predigte, sagte er an einer Stelle: „Nun denkt alle fest mit, bemüht euch, dann wird es klar herauskommen!" So bat er die Zuhörer um ihre Mitwirkung, und er hatte recht.

Aber was wir vorher machen, damit die Predigt gesegnet sei, fragt ihr?

Nun, wir denken darüber nach. Wenn ich ganz persönlich reden darf: Am Anfang steht das Thema. Ich suche es mir nicht selber, ich lasse es mir auch nicht durch den liturgischen Text bestimmen, sondern predige fortlaufend über solche Evangelienabschnitte, die sonst nie verlesen werden. Da kann man auf schöne und dankbare Themen stoßen, aber auch auf spröden, schweren Stoff. Ich lese die modernsten Kommentare, damit ich genau weiß, wie die Stelle aus dem Zusammenhang zu verstehen ist, dann suche ich einen Bezug auf unsere Zeit. Die Punkte schreibe ich mir meistens auf einen kleinen Zettel, damit ich nichts vergesse. Der begleitet mich etliche Tage, aber der Sonntag kommt für uns schneller als für die anderen Menschen, die auf ihn als einen arbeitsfreien Tag warten. Es gibt wohl noeh einige die die Predigt Wort für Wort ausarbeiten und dann einstudieren, aber das kann man nicht machen, wenn man mehrere Predigten mit verschiedenen Themen halten muß. Für die Kinder paßt nicht das gleiche wie für die Großen.

Es gibt Prediger, denen Gott diese Gabe in besonderem Maße gegeben hat. In ihrem Munde gewinnt alles eine gefällige und überzeugende Form. Es ist ein Genuß, ihnen zuzuhören, und das Herz wird warm dabei. Darüber muß man froh sein. Obwohl auch viele Zuhörer selbst bei ihnen kritisch sind.

Manche Zuhörer schauen nur auf die Form. Ich hörte einmal eine Stegreifpredigt, die wenig Gehalt, aber viel Pathos enthielt. Es wäre unmöglich gewesen, die Gedankensprünge des Predigers wiederzugeben, aber alle waren begeistert, weil er so laut und überzeugt sprach.

Mit der Predigt ist es so wie mit den Schauspielern. Diè einen, etwa am Wiener Burgtheater. kultivieren das Pathos, die anderen, die Moderneren, sind sehr sparsam mit dem Ton, und es muß etwas anderes überzeugen. Bei der Predigt kommt es immer mehr auf den Gehalt an. Die barocke Form wird im Laufe der Zeit verschwinden. Die große christliche Weltanschauung wird klar vorgetragen werden müssen. Wir werden wahrscheinlich nüchterner werden und weniger auf Rührung, ein oft nur allzu billiges Mittel, bedacht sein. Auch das Moralisieren wird zurückgedrängt werden. Die Gestalt Jesu, Sein Wort und der Zusammenhang der

Heilsbotschaft ist wichtiger und eindrucksvoller. Das, was auf der Kanzel gesagt wird, wird mit der Zeit immer weniger subjektiv sein. Das zählt nicht viel. Die jahrhundertelange Erbaulichkeit, die sich von der Kanzel auf die Zuhörer ergoß, wird versiegen.

Immer wieder hört man klagen, daß zuwenig modern gepredigt wird. Das mit Recht, aber ich kenne Fälle genug, wo der Prediger modern war, die Zuhörer aber am alten Zopf hingen und die Anstrengung der Umstellung nicht auf sich nahmen. Es ist so schwer, es allen recht zu machen. Was dem einen paßt, gefällt dem ändern nicht. Wir müssen aber immer an alle denken.

Mauriac schreibt einmal, daß es nirgendwo anders so gelangweilte Gesichter gebe als bei der Predigt in der Spätmesse. Er hat nicht unrecht. Es gibt ein Publikum, das uns den Hals zuschnürt. Sie erwarten nichts, sind blasiert und wollen nicht angesprochen werden. Wobei es natürlich nicht immer und überall so sein muß.

Ich habe neulich am Nachmittag in der Seelsorgestunde die Kinder in die Kirche geführt und mit ihnen über die Predigt gesprochen. Das Predigen ist ihnen nichts Fremdes, weil ich während der Kinderpredigt mit ihnen spreche und sie auch laut erzählen lasse. Damals sagte ich: Wer von euch will jetzt auf die. Kanzel steigen und eine Predigt halten? Es waren siebenjährige Kinder. Eine ganze Anzahl meldete sich und ich ließ sie der Reihe nach hinaufsteigen. Ich war erbaut, wie schön sie es machten. Mit welchem Ernst und Eifer, aber auch mit welchem Glauben sie sprachen. Sie brachten alles durcheinander, doch das passiert uns auch ab und zu, es war originell und man konnte allen gut zuhören.

Man müßte eine Form finden, um die Gläubigen an der Predigt teilnehmen zu lassen. So wie sie in der Messe aktiv werden, müßte man auch bei der Predigt eine Form finden. Manche Priester lassen das Volk an der Bestimmung des Themas teilnehmen, indem sie einen Fragekasten für die Predigt anbringen. Ich habe auch schon Laien zu Dialogpredigten herangezogen. Der Bürgermeister von Florenz hält selber jede Woche eine Predigt für die Armen. Die Predigt ist einerseits Amtspflicht, anderseits auch Charisma. Vielleicht gibt es Laien, die ein Charisma der geistlichen Rede haben. Die Spaltung in lehrende und hörende Kirche sollte irgendwie gemildert werden. ‘

Es ist möglich, daß wir zuviel predigen. Wenn ich mir die Predigten und Ansprachen für die Weihnachtszeit zusammenstelle, komme ich gewöhnlich a,uf zwanzig, die ich innerhalb von zehn Tagen halten muß. Das ist etwas viel. In Wahrheit ist es so: Predigen wir immer und ausgiebig, schlägt uns eine große Predigtmüdigkeit von seiten der Zuhörer entgegen. Lassen wir eine ausfallen, so macht man uns bereits die schwersten Vorwürfe . ..

So wäre die Predigtkrise, von der man allgemein spricht, nur eine Krise der Zuhörer, warf mein Gesprächspartner ein.

Natürlich nicht, antworte ich. Es gibt eine echte Krise der Predigt. Man spürt ein lebhaftes Ungenügen mit der durchschnittlichen geistlichen Rede und wünscht sich etwas anderes. Die Zeit, da man sich mit Moralisieren und etwas Erbaulichkeit hat abspeisen lassen, ist vorbei. Man will das Brot der gesunden und ganzen Lehre, man verlangt das Wort Jesu und der Kirche und die Konfrontation mit der Zeit. Das heißt, das will der lebendigere Teil der Zuhörer, die Masse aber ist noch lange nicht so weit, sie wehrt sich dagegen, denn sie hängt am alten. Das sollen jene begreifen und berücksichtigen, die besonders ungeduldig vorwärtsdrängen. "

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