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Krise der Predigt

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„30.000 Predigten wöchentlich und Frankreich ist noch immer katholisch!“ Dieser Stoßseufzer, den vor einiger Zeit ein berühmter Franzose ausstieß, zeigt blitzartig auf die Tatsache hin, daß sogar Frankreich, dieses Land der geborenen Redner und Prediger, eine Krise der Predigt kennt. Ja, diese Krise kann bereits als permanent bezeichnet werden. Denn schon vor rund 15 Jahren schrieb Emmanuel Mounier in den „Esprit“, daß zwar der Geist der Kirche nicht verflacht sei, aber der Buchstabe der Kirche sei fast tot. „Ihre Worte dringen nicht mehr durch ᾠ die Kirche hat die Schlüssel zur Sprache der Menschen verloren.“

Aber nicht nur Frankreich, auch Italien kennt eine Krise der Predigt, wie dies deutlich aus der Ansprache Papst Johannes XXIII. an die Fastenprediger Roms im Jahre 1959 hervorgeht. Es werde in der Kirche zwar viel gepredigt, sagte damals der Heilige Vater, aber durch eine vielleicht ungewollte Planlosigkeit würden die wichtigsten Gesichtspunkte der katholischen Lehre oft vernachlässigt.

Wenn somit Frankreich und Italien, diese Länder der großen „Oratoren“, eine Krise der Predigt kennen, warum sollte das kleine Österreich davon verschont sein? Tatsächlich gibt es auch hier diese Erscheinung. Wer eine „Galluprundfrage“ über dieses Thema veranstaltete, würde die überraschende Entdeckung machen, daß nicht nur die Laien, sondern auch die Priester mit dem Zustand der Predigt in Österreich weitgehend unzufrieden sind. Die überwiegende Mehrzahl der Laien, soweit sie natürlich Kirchengeher sind, übt heftige Kritik an den Predigten, die ihnen geboten werden. Das „Vergelt’s Gott", welches die Gläubigen dem Priester nach Beendigung der Predigt zurufen, gilt heute weitgehend nicht dem Inhalt der gehörten Predigt, sondern deren Beendigung. Anderseits aber sehnt sich das gläubige Volk nach guten Predigtent-ja ist büTeä&i weitei Wege zu gehen, um einen guten . Pre.-.’ diger zu hören-Sund ist- auch;bereit;- viel Zeit für das Anhören einer längeren, guten Predigt zu opfern.

Eine Galluprundfrage würde aber nicht nur die Unzufriedenheit der Laien in Bezug auf die Predigt aufzeigen, sondern ebenso eine Unzufriedenheit der Priester. Auch die Priester kennen natürlich die Krise der Predigt. Nur stellt sich diesen die Krise der Predigt anders dar, als den Laien. Während die Gläubigen sich beschweren, daß die Predigten, die ihnen im Durchschnitt geboten wer-den, weder inhaltlich noch formell ihren Sehnsüchten entsprechen, besteht für viele Priester die Krise der Predigt vor allem in der Tatsache, daß ihnen zugemutet wird, fast ununterbrochen zu predigen, wobei sie aber durch ihre Überlastung kaum Zeit hätten, sich genügend vorzubereiten. Tatsächlich ist das Leben der überwiegenden Anzahl der österreichischen Priester der- Jartrlfnif!¥iiibiif3 fibetfhäfift, däBr!üfc! sffcfct -kaum genügend- Zeit für das tägliche 1 Essen’ ‘abspSrl’ii können, geschweige denn einen Zeitraum auszuklammern vermöchten, der der Vorbereitung der Predigt gewidmet ist. Viele österreichische Priester beginnen erst Samstag abend oder gar erst Sonntag früh, sich für die Sonntagspredigt vorzubereiten. Irgendwie unterliegen sie dabei auch der „Versuchung der Kurzpredigt“. Die Erfindung der Kurzpredigt war einst ein Königsgedanke in der Kirche. Aber kurz predigen ist viel schwerer als lang und benötigt viel mehr Vorbereitung. — Im Unterbewußtsein sagt sich so mancher Priester, daß er diese „wenigen Minuten“ schon irgendwie schaffen werde und verschiebt die so notwendige Vorbereitung auf die letzte Minute. Manchmal mag unter diesem Überdruck ja eine Leistung gelingen, in der Regel wird aber einer solchen vorbereiteten Kurzpredigt doch die letzte Feile sowohl im Stil wie im Inhalt fehlen.

Gerade dieses Denken, daß man die Predigt, schon , „irgendwie“ aus dem Handgelenk schaffen werde,’ zeigt doch auch, daß die Predigt vielfach — gewiß völlig unbewußt — zu einer „quantite negligeable“ geworden ist. Sie nimmt nicht mehr den hervorragenden Platz ein, der ihr gebührt. Und hier begegnen wir dem eigentlichen Kernpunkt der Krise der Predigt. Auf der einen Seite drängt die Hierarchie den Klerus dazu, immer mehr zu predigen, aber auf der ändern Seite sinkt die Predigt, während offiziell diesem Befehl der Oberen nachgekommen wird, auf einen Platz herunter, der ihr nicht gebührt.

Die Laien stellen sich die Behebung der Krise oft zu einfach vor (hier wäre der Ausdruck „laienhaft“ wirklich am Platze). Sie glauben, die mangelnde Ausbildung in Stimmbildung und Sprechtechnik auf den Seminarien sei der Urgrund dieser Krise. Eine rhetorische Ausbildung soll gewiß nicht unterbleiben, sie sollte sogar noch verstärkt werden, aber sie ist nicht das alleinige Heilmittel. Es gab und gibt in der Kirche so manchen Priester, der im landläufigen Sinn ein schlechter Redner, aber doch ein hervorragender Prediger war und ist. Man denke nur an den Pfarrer von Ars oder an Pius Parsch.

Aber einen wahren Kern hat die oben genannte Ansicht der Laien doch, daß nämlich das Predigen gelernt werden kann. Die Tatsache, daß die evangelischen Pastoren fast durchgehend besser predigen als die katholischen, und die katholischen Priester in der Diaspora besser als ihre Kollegen in überwiegend katholischen Gegenden, ist ein Beweis, daß Predigen erlernbar ist, wenn ihm das entsprechende Augenmerk gewidmet wird.

Die Ausbildung an den Seminarien kann aber nicht für alle Jahre eines Priesterlebens die Methoden vermitteln, nach der immer gut gepredigt werden kann. Schon deshalb nicht, weil die Form der Predigt doch immer sehr zeitbedingten Wandlungen unterworfen ist. Die Ausbildung am Seminar kann nur den Grundsatz einhämmern, daß die Predigt eine der vornehmsten Aufgaben des Priesters ist und er in einem ständigen autodidaktischen Lernen sich auch auf diesem Gebiet weiterbilden muß.

Die Krise der Predigt — zumindest in Österreich — wird so lange nicht beseitigt sein, als die Überlastung der Priester nicht beseitigt ist. Solange diese anhält, wird die Krise anhalten. Wenn der Priester keine Zeit hat, sich genügend vorzubereiten, wenn er versuchen muß, die Predigt für den Sonn- tag noch „irgendwie“ zu bewältigen, 1 kann sie nicht gut werden. Von Pius Parsch ist bekannt, wie eingehend er sich jeweils auf die Sonntagspredigt vorzubereiten pflegte. Und der Dominikanerorden, der ja etwas vom Predigen versteht, billigt seinen Mitgliedern eine ganze Woche als Vorbereitung für eine einzige Predigt zu. Ein Priester, der aber auch so überlastet ist, daß er keine Zeit mehr findet, religiöse, wissenschaftliche oder auch belletristische Werke zu lesen, muß notgedrungen eines Tages ausgeschöpft sein. Ein Priester, der nicht Zeit zum Meditieren hat, kann nicht gut predigen, oll doch jede Predigt in erster Linie aus der Betrachtung geschöpft werden. Aber die Überlastung des Klerus kann, solange der Priestermangel andauert, nicht restlos beseitigt werden. Diese traurige Tatsache muß sich jeder vor Augen halten, der über die Krise der Predigt spricht. Nur in manchen Bereichen könnte die Überbelastung doch gemildert werden. So wäre schon die Abschaffung der Seelsorgestunden, die in der NS-Zeit ihren guten Sinn hatten, heute aber Dank des wiedereingeführten Religionsunterrichtes an den Schulen ihre Bedeutung verloren haben, eine sehr fühlbare Entlastung. Eine wesentliche Entlastung wäre es auch, wenn vom Priester der Zwang genommen würde, so viel zu predigen, wie er derzeit dazu verhalten ist. Der Kanon 1345 des kirchlichen Rechtsbuches, das den Wunsch ausspricht, daß an Sonn- und Feiertagen in allen Messen, die von den Gläubigen besucht werden, eine kurze Predigt gehalten werde, enthält nur eine Soll-, keine Mußbestimmung. Es ist besser, in der einen oder anderen Messe am Sonntag keine Predigt zu halten, als eine, von der die Gläubigen wissen, daß sie schlecht istwodurch sie verleitet werden, erst nach der Predigt, also auf jeden Fäll nach dem Evangelium, in die Kirche, zu’! kommen. Auch vor dieser Tatsache darf man nicht die Augen verschließen. Der Priester aber, der von dieser Überlastung wesentlich befreit wäre, könnte sich wieder für die wenigen Predigten, die er zu halten hätte, so vorbereiten, wie es dieser wichtige Gegenstand verdient.

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