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Die Fastenpredigt

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Wenn der Frühlingswind von den Bergen blies, litt es den Steinklopferpfarrer nimmer in seinen vier Mauern. Er mußte hinaus auf die Pfarrergründe. Doch trieb ihn nicht der Geiz, wie mancher meinen könnte. Zwar, was er draußen tat, sah danach aus. Er zog um seine Äcker und Wiesen einen Zaun — aus Steinen. Die hplte er in harter Fron aus dem steinigen Grund oder vom nahen Berg. Dann hörte man ihn tage- und wochenlang hämmern und sah ihn arbeiten wie einen, der es gelernt hat.

Er hatte seine Kunst auch wirklich gelernt, aber von selbst. Daß der Boden so steinig war, das hatte es ihm angetan. Da begann er zu roden, und schließlich freute es ihn, daß sich auch aus diesen Steinen etwas Brauchbares schaffen ließ.

Wie er zum Sonderling geworden ist, weiß ich nicht. Ich sah ihn nur einmal bei einem Begräbnis. Mir war späterhin öfter, als sei es sein eigentlicher Beruf gewesen, die Toten zu begraben. Und einmal traf ich ihn bei seinen Steinen, als ich den Berg besteigen wollte. Wir plauderten ein Weilchen, und er sagte, das Steinklopfen sei er schon gewohnt, es mache ihm wirklich Freude und die Arbeit sei immerhin nicht verloren.

Bei den Leuten weit und breit galt er dieser Dinge halber als Sonderling. Doch meine ich, es ist bestimmt nicht alles wahr, was man sich an schnurrigen Geschichten über ihn erzählte.

Einer Sache aber bin ich nachgegangen. Von den absonderlichen Predigten, die der sonderbare Pfarrer gehalten haben soll, hatte es mir gerade diese eine angetan. Es soll übrigens die einzige Fastenpredigt gewesen sein, die der alte Pfarrer in jenem Jahre den Seinen hielt.

Die Gemeinde dort besht und bestand aus Bauern, reichen Bauern. Sie ackern mit sdiweren Pferden und spannen an ihre Joche noch Ochsen. Vom Berge holen sie sich das Holz. Im Frühjahr schreiten sie langsam hinter ihren Pflügen über die weiten Äcker. Vor Zeiten hat das Meer dort seinen guten Schlamm und dazwischen seine Steine in einem seltsamen Durcheinander abgeladen. Davon kommt der Reichtum jener Menschen. Steinreich sind viele geworden und mehr als einer auch steinhart.

In den bitteren Jahren nach dem ersten Weltkrieg hab ich das am eigenen Leib erfahren. Um ein Tröpflein Milch war ich, der halbwüchsige, hungrige Häuslerbub eines entfernten Nachbarortes, bitten gegangen. Die Eltern hatten mich geschickt. Aber ich habe nichts bekommen. Andere, die mit vollen Taschen heimwärts gingen, machten sich ihren Spaß mit mir. Sie sagten, ich hätte es nicht richtig angestellt. Ich sei von v,orne in die Höfe eingetreten, dort müsse man aber hinten herum gehen.

Als ich die Sache späterhin verstand, begriff ich auch den Pfarrer und seine seltsame Art. Die Bauern sagten zwar, er habe eine harte Haut. Vielleicht aber war die nicht immer so.

Wieder einmal war der März ins Land gezogen und mit ihm seine Stürme. Und wieder war der Pfarrer zu seinen Steinen hinausgeflohen. Wiederum sprachen sie im Ort wie jedes Jahr: „So einen Pfarrer haben wir.“

Es war schon spät am Nachmittag. Der Wind fuhr scharf vom Berg herab. „Den Tod könnt man sich holen bei der Arbeit“, schalt der seltsame! Steinklopfer mit sich selbst.

Da kam der Bub vom Nachbarhaus gelaufen.

„Der Herr Pfarrer soll schnell heimkommen. Ein Versehgang ist ausgebrochen. Wo? Ja leider liegt der Kranke jetzt im Pfarrhof.“ So berichtete der Hansl eines nach dem andern und so erfuhr der Priester nach und nach den Stand der Dinge.

„Die Häuserin hat ohnehin furchtbar geschimpft.“

„Ein alter Mann ist heut ins Dorf gekommen und hat von Tür zu Tür gebettelt. Das heißt, aufdingen wollte er, irgendwo. Wer aber braudn so einen lahmen Knecht. ,Der kostet ja ums Essen viel zu viel', hat die Mutter gesagt. Und alle sagten so. Der Ähnl hat hinzugesetzt: ,Der tut es eh nimmer lang. Da hätte man nur noch Scherereien/ “

Ob der Fremde im Dorf etwas Warmes zu essen bekam? Das weiß der Hansl nicht. „Aber die Köchin im Pfarrhaus hat ihm ein Stück Brot gegeben. Das hat er förmlich hinuntergeschlungen. Er hat es wohl zu jäh gegessen. Da ist ihm schlecht geworden und jetzt liegt er im Pfarrhof in der Küche. Es sind schon viele Leute zusammengelaufen. Sie sagen, den soll der Staat erhalten, und wie der Herr Pfarrer dazukommt, einen Sterbenden in sein Haus zu nehmen.“

Der Herr Pfarrer an zerschlissenen Rock ist neben dem Hansl hergelaufen. Hin und wieder hat er zwischenhiriein gefragt. Zum Schlüsse hat er altes genau gewußt. * Daheim hat er rasch den Priesterrock umgetan, hat das heilige Sakrament geholt und das öl der Kranken.

Dann schaffte er die Leute aus der Küche und blieb lange Zeit mit dem Elenden allein. Schließlich schickte er alle heim, den Mesner sandte er um den Arzt, und nach acht Tagen war der Kranke gesund.

Der Pfarrer brachte die Sache vor keine Behörde, wie der Bürgermeister wollte. Dazu hat er nur gelacht. Er hat den alten Mann in einem Kloster untergebracht, als Knecht. Und damit wäre die ganze Aufregung eigentlich zu Ende gewesen.

Aber da ging ein Witz im Dorfe um. Der jnuß es dem Pfarrer angetan haben. Er hat ihm zu einer Predigt verholfen, dem Steinklopferpfarrer, von dem sie sagen, daß er ohne Witz nicht predigen konnte.

Ein steinalter Bauer hatte nach dem 'Aschermittwoch am Wirtstisch die Äußerung getan: „Unser Pfarrer wird jetzt schon wirklich schwach, er kennt nicht einmal mehr die eigenen Leut. Immer einmal hat er beim Kreuz mit der geweihten Aschen gefragt: .Wer eppa der is!'“

Im Gasthaus hielten Burschen und Männer noch an sich. Daheim aber gab es an diesem Abend dorfavuj dorfab nur einen Witz und ..Wer eppa Oer is“ wurde zu einem geflügelten Wort. Daß es auch dem Pfarrer zu Ohren kam, ist weiter kein Wunder. Nur was der hochwürdige Herr daraus machte, ist des Erzählens wert.

Er hat eine Predigt daraus gemacht und sie am Sonntag darauf gehalten.

„Heut geht es ans Steinklopfen“, sagte er vor dem Gang in die Kirche zur Häuserin. Daraufhin setzte sich die in die letzte Bank.

Der Pfarrer ließ das Predigtlied spielen. Da dämpften die Männer schnell ihre Pfeifen, keiner wollte draußen bleiben.

„Gelobt sei Jesus Christus!“, begrüßte der Prediger die Gemeinde.

„In Ewigkeit. Amen“, klang es zurück.

Dann kam es ganz unvermittelt: „Wer eppa der is!“.

„Zuerst sag idi euch, was das wirklich heißt: ,In pulverem reverteris', ,Du wirst zurückkehren, zum Staub zurückkehren. Eine Schaufel voll Erde wirst du werden' — du und ich.

Darum hob ich mich bei dem alten Knecht unlängst auch gefragt: ,Wer eppa der is!' Und jeder Arme, der bei euren Höfen vorn hinein will, wo ihr zugesperrt habt, und nidu hint herum — ,Wer eppa der is?' Wißt ihr es? Ich weiß es. Unser Herrgott ist's.

,Was ihr einem der Geringsten getan, das habt ihr mir getan, und was ihr einem der Geringsten meiner Brüder nicht getan, das habt ihr mir nicht getan.'

Der ist's!“ — Und er hob seine Stimme: „Ja, der ist's! Amen.“

Den Leuten soll dazumal das „Vergclt's Gott“ im Halse steckengeblieben sein. Sie haben die Predigt nirgends weitererzählt.

Ich hab aber dennoch davon erfahren und ich hab sie euch weitergegeben. Denn ich will nicht, daß dem Steinklopferpfarrer Unrecht geschieht.

Ach, viele meinen, sie kennen ihn, aber sie kennen ihn nicht. Wer ihn verstehen will, muß über diese Geschichte nachdenken und über diese Predigt. Mir ist, als wehe daraus der scharfe Märzenwind, dem der sonderbare Mensch so gerne draußen am Rande der Pfarreräcker lauschte.

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