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Das gesegnete Dorf

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Eingangs muß gesagt werden — und es scheint unwichtig, aber es ist dies keineswegs —, daß sich die Häuser locker um den Dorfplatz scharen. Selten nur ergibt sich eine Straße, die, kaum begonnen, schon wieder endet, denn gleich schiebt sich ein Anger dazwischen, em Winkel, ein Hof, ein Brunnen oder auch ein einsamer Baum, der zum Dorf gehört wie etwa der Bürgermeister, der Lehrer, der Pfarrer. Im Schatten des Dorfplarzes spielen und raufen die Buben, schwatzen die Mädchen, und abends, im Sommer, verweilen die Liebenden gerne da; alles überdacht er nachsichtig und geduldig.

Neben dem Gotteshaus steht das Gemeindeamt, ein stattlicher Bau, dem man schon von weitem ansieht, daß er berufen ist, Wohl und Weh. der Gemeinde zu schützen. Da laufen die Fäden von Wald und Weide, von Feld und Weg, von Haus und Hof sinnvoll zusammen, wie es zum Nutzen einer Gemeinschaft vonnöten ist. Der Bürgermeister geht etwas gewichtig ein und aus; schließlich ist er auch ein gewichtiger Mann und es sei ihm daher vergönnt, denn an Überheblichkeit denkt er ja beileibe nicht. Der Sekretär ist schon etwas weniger gewichtig und im Gemeindedicncr ist diese Eigenschaft zu gewährendem Wohlwollen geworden Auch Gemeindeväter gibt es, die bei Ratssitzungen ihre Stimme abgeben und in milder Weisheit — denn sie haben schon lange und verständig gelebt — das Zünglein an der Waage stets zum Guten neigen lassen.

Einen Lehrer gibt es im Dorf; das ist ein braver, rechtschaffener Mann, der mehr gelernt hat als andere, aus Büchern und auch sonst, und d:es hat er weiterzugeben sich vorgenommen, deswegen ist er ja Lehrer. Er tut es auch und darum ist er ein guter Lehrer.

Einen Arzt gibt es im Dorf; der weiß, wie man fachgemäß Kranke heilt, das ist eine tröstliche Sache. Er zögert nicht, wann immer er geiJüfen wird, und macht auch keinen Unterschied zwischen arm und reich. So sagen die Leute: er ist ein anständiger Arzt. Gewiß ist er das; aber es muß noch etwas mehr mit ihm sein, denn die Leute sagen auch: er ist in guter Mensch.

Einen Pfarrer gibt es im Dorf, und man muß ihn inmitten all der andern nennen, denn er lebt ja in Wahrheit auch inmitten all der andern. Sein Haus, das Widuni ist freundlich und sauber, mit Blumen an den Fenstern, und es mag audi sonst viel Freundlichkeit darin geben, denn ein jeder geht beschenkt wieder heraus. Einer läßt seine Sorge zurück und einem andern hat sich die Freude verdoppelt, und so bekommt ein jeder, was er gerade braucht und das ist recht. Der Pfarrer hat auch klare, gütige Augen aus seinem klaren, gütigen Herken heraus, und damit schaut er in Gottes Namen seine ganzen lieben Schäflein an, wie sie sind, halb gut und halb sündig, wie es eben sein kann in einem schwachen Menschenleben. Er trachtet, sie Gott dem Herrn wenigstens um einen Hahnenschritt näherzubringen und ist heilfroh, wenn dies geglückt ist. Mit Worten tut er manches, aber mit dem guten Beispiel alles.

Ja, und weil vom Pfarrer die Rede ist, muß doch auch das Gotteshaus, die Kirche, noch extra genannt sein. Das Wichtigste darin ist wohl der liebe heilige Schrein und dann das ewige Licht. Manche von den vielen Leuten, die ins Gotteshaus gehn, wissen dies so tief in der Seele, daß sie sich heiligen daran, manche spüren es nur und manche bringen es gar nur bis zur Hoffnung im Herzen; aber das ist auch schon viel, denn es kann ja nicht ein jeder gleich sich heiligen.

Hinter der Kirche steht das Armenhaus. Da gehn die alten und die kranken Leute zur Ruh; man könnte es auch Ruhhaus nennen. Friedlich sitzen sie auf der Bnnk an der Abendsonne, mit den Händen, den braven alten Händen, im Schoß.

Im Dorf gibt es Handwerker und Bauein, und ein jeder lebt auf seine Art und ist dabei von Nutzen.

Und der Bauer. Ein Bauer ist ein Konig! Auf du und du mit allen guten Kräften der Erde.

Aber den Händler braucht das Dorf schließlich auch und so ist er eben da. Wiegt und wägt und verteilt wie es sein soll. Und in all diesem wohlgeordneten Treiben arbeiten noch Knechte und Mägde und Gesellen; es sind lauter Helfer und darum muß man ihnen danken.

Draußen am Dorfrand steht ein Herren-. häus. Das ist nun ein stolzes Wort. Es trägt auch ein Wappen über seinem Tore, wie adelige Häuser es taten. Deswegen aber müßte es dies noch lange nicht sein; weil aber das Dorf in seiner Gesamtheit die herkömmliche Benennung abwandelt und vigt, es wohnen „edeligc“ Leute darin, kann, man es schon glauben. Mir diesem Hause verhalt es sich in gewisser Hinsicht ähnlich wie mit dem Widum, nämlich, was die Sorgen und die Freuden des Dorfes betrifft, und auch in bezug auf die Quintessenz, das mit dem guten Beispiel.

Bald aber wäre es mir nun geschehen, daß ich zwei wichtiger Dorfbewohner nicht Erwähnung getan: der Hebamme und des Totengräbers. Wenn die Hebamme auf ihrem Dorfgang ist, tut sich allemal das Leben breit und froh auf. Ein neues Menschlein? Habt nur keine Angst, daß es zuviel sei! Das Dorf wird es hüten und pflegen, es wird ganz gut mit ihm werden — aus Gottes Hand gekommen — in Gottes Hand zurückgegeben.

Und hierher nun gehört der Totengräber mit seinem friedlichen Menschengarten draußen am HUgelhang, wo nachts die ruhigen Sterne herniedersclutien. Es scheint etwas Trauriges zu siin um das Sterben, doch das rührt in der Hauptsache daher, daß die Menschen es gewöhnt sind, den Tod düster zu deuten, anstatt als das lichte Tor, das er nach Gottes Willen ist. Aber auch darin sind die Dorfleute näher dem Begreifen und so kommt es, daß der Totengräber das ist, was er eben ist, nicht mehr und nicht minder. Damit horcht man schon tief in die Wohnstätten hinein und in den inneren Gang des Lebens, hinter Tür und Tor und Fensterladen.

Es sind auch Ställe mit Vieh im Dorf und Gärten mit Blumen. Deswegen kehren die Jahreszeiten bis ins Dorfherz ein. Der Frühling kommt hell und drängend mit dem Ruch von Wald und Ackererde, der Sommer im satten Reifen, der Herbst in Frucht und lindem Glan/ und schließlich der Winter, die Zeit der Rast. Dankbar erleben die Menschen den Erdenreigen.

Wo nun steht dies Dorf, in dem das Leben in solchem Maße den getreuen Gang hat?

Nichts anderes ist es als ein gesegnetes Dorf.

Und so müßte es wohl beginnen mit der Wohlfahrt der Völker, so und immer weiter, bis der letzte Kreis gezogen wäre.

Dann wäre schließlieh auch ein Land — ob groß, ob klein — im Segen.

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