Ein Haus für neue Nachbarn

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Zwei Fremdenverkehrsorte, zwei Flüchtlingskulturen: Bad Leonfelden und Altmünster standen vor der gleichen Frage - und gingen komplett unterschiedlich damit um. Eine Tour.

Als Mehdi den ersten Ton auf der Gitarre spielt, sind alle still. Hinter ihm steht ein aufgeputzter Christbaum, vor ihm sitzt sein elfjähriger Sohn Sina. Daneben der 27-jährige Mohsen und Maria, ebenfalls 27. Auch der 26-jährige Romin ist mit seinen Eltern in den Aufenthaltsraum gekommen. Sie alle stammen aus dem Iran, aber kennengelernt haben sie sich in Altmünster. Jeden Nachmittag setzen sie sich zusammen und lauschen den persischen Volksliedern, die Mehdi spielt. Ein kleines Stück ihrer alten Heimat lebt so in ihrer neuen weiter. Die liegt mitten im Salzkammergut.

Mehdi und Maria, Mohsen und Romin haben in Österreich um Asyl angesucht. Gelandet sind sie in Altmünster am Traunsee, wo es seit Mitte Dezember ein neues Quartier für Asylwerber gibt. Die Volkshilfe mietete dafür ein ehemaliges Hotel im Ortszentrum - und stieß dabei auf heftigen Widerstand: Der ÖVP-Bürgermeister Hannes Schobersberger fühlte sich übergangen. Anrainer sammelten Unterschriften gegen das Projekt. In Internetforen war von Maschinengewehren als Lösung die Rede. Man hatte Sorge, dass die Asylwerber dem Fremdenverkehrsort schaden würden. Am 11. Dezember kamen die ersten Fremden. Seitdem sind die Proteste verstummt.

"Altmünster für Menschen“

Auch in der Kurstadt Bad Leonfelden sind Gäste willkommen - so lange es keine Asylwerber sind, lehrten die letzten Wochen. Der pensionierte Gastronom Günther Hofer wollte der Caritas ein ebenfalls leer stehendes Hotel vermieten, das sich gut als Flüchtlingsunterkunft geeignet hätte: "Es gibt lauter große Doppelzimmer, ist von der Bettwäsche bis zum Geschirr ausgestattet“, sagt Marion Huber vom Caritas Flüchtlingsdienst. Fünfzig Asylwerber hätten darin ein neues Zuhause finden können. Doch soweit kam es nicht.

Am Samstag, 8. Dezember, trafen der Vermieter und die Caritas-Vertreterin den Bürgermeister. Am Montag drauf platzte das Vorhaben. Dazwischen lag eine Krisensitzung im Rathaus, bei der sich ÖVP-Stadtchef Alfred Hartl massiv gegen das Haus aussprach. Hartl drohte dem Vermieter die langjährige Freundschaft zu kündigen. Der Druck wirkte. Hofer zog das Angebot an die Caritas zurück.

120 Kilometer und eine Flüchtlingskultur trennen Altmünster und Bad Leonfelden. Das liegt auch am Einsatz Einzelner: Die Volkshilfe-Sozialarbeiterinnen, die die Asylwerber in Altmünster betreuen, läuteten vor der Eröffnung bei den Nachbarn an. Auch Pfarrer Franz Benezeder ging von Tür zu Tür. "Die erste Reaktion ist nie positiv. Das muss man ernst nehmen. Aber an diesem Punkt darf man nicht stehen bleiben“, sagt er.

Auf seine Initiative hin berief die Gemeinde kurz nach Bekanntwerden des Projekts ein Treffen ein. Eine Woche später wurde die Plattform "Altmünster für Menschen“ konkret. "Wir wollten den negativen Emotionen eine starke Reaktion entgegensetzen, ein Forum bieten für alle, die andere Meinung sind“, erzählt Benezeder. Die Rolle der Koordinatorin übernahm die pensionierte AHS-Lehrerin Almut Etz: "Meine größte Sorge war, dass die neuen Bewohner die schlechte Stimmung spüren und dann tatsächlich Probleme entstehen. Das wollten wir unbedingt verhindern“, erklärt sie. In den Schulen wurden Workshops abgehalten, Volksschüler zeichneten ein Plakat, das die neuen Nachbarn in sechs Sprachen begrüßt.

"Dann sind die Leute gekommen“, erzählt Etz: "Familien, schwangere Frauen, ältere Paare. Sie hatten nichts Bedrohliches. Damit wurde den Kritikern die leere Zielscheibe genommen.“ Beschwert hat sich seither niemand mehr. "Jetzt sind sie schmähstad“, schmunzelt Pfarrer Benezeder.

"Alle hier sind sehr nett. Wir verstehen uns gut“, erzählt der Iraner Mohsen, der mit seiner Frau kam, auf Englisch: "Wir sind sehr glücklich hier. In der Früh gehe ich zum See, am Nachmittag lerne ich Deutsch“, sagt er und demonstriert lachend sein Können: "Guten Tag, Dankeschön, Mahlzeit.“

Auch der Bürgermeister besuchte das Haus bereits. Und fast jeden Tag sind Freiwillige der Plattform da. Sie bringen Bücher, helfen beim Deutschlernen, backen gemeinsam Kekse oder gehen eislaufen. Einmal in der Woche fahren sie mit Bewohnern zum Einkaufen in den Sozialmarkt. Auch der Christbaum, unter dem Mehdi singt, ist von ihnen spendiert worden. "Es ist unglaublich, was hier geleistet wird. Die Plattform stellt sich wie ein Schutzschild vor uns“, schwärmt die Sozialarbeiterin Marlene Ebenberger.

Fackelzug in Bad Leonfelden

"Wenn es Reaktionen gibt, gibt es auch starke Gegenreaktionen“, weiß Marion Huber von der Caritas. "Aber in Bad Leonfelden hatten Befürworter keine Chance, sich zu outen.“ Nur zwei Tage lagen zwischen der Bekanntgabe der Pläne und deren Scheitern. Auch der Pfarrer Michael Wolfmair brachte sich nicht in die Diskussion ein: "Das entscheidet die Politik, ich mische mich da nicht ein“, sagt er der FURCHE. "Ich will Frieden, keinen Streit“, fügt er hinzu.

Bürgermeister Alfred Hartl will gegenüber der FURCHE keine Stellungnahme abgeben. Er werde falsch interpretiert, ließ er wissen. Auch Vermieter Günther Hofer will nicht mehr über die Geschehnisse reden: "Ich werde immer noch ständig drauf angesprochen, obwohl die Sache vom Tisch ist“, entschuldigt er sich.

Es gibt aber auch welche, für die zumindest der Ärger darüber, wie die Dinge gelaufen sind, nicht vom Tisch ist. Zwei davon sind Tobias Mülleder (18) und Michael Kramer (17) beide Schulsprecher am BORG Bad Leonfelden. Als argumentiert wurde, dass das geplante Asylheim eine Gefahr für die nahgelegenen Schulen sei, fühlten sie sich angesprochen: "Als es noch ein Hotel war, hat es die Eltern auch nicht interessiert, wer darin übernachtet“, sagt Kramer. Eine Woche nach der Absage marschierten die beiden Schüler mit 170 Gleichgesinnten und Fackeln durch das Stadtzentrum. "Wir wollten ein Zeichen setzten, dass nicht alle gegen das Quartier für Asylwerber sind,“ erzählt Mülleder. Trotzdem war es zu spät. "Es war keine Zeit, richtig zu reagieren“, sagt er. "Wir wollten den Bürgermeister gerne in unsere Schule einladen. Auch das ist nicht zustande gekommen.“

Bürgermeister als Schlüsselfigur

Franz Wall, der seit 20 Jahren bei der Grundversorgungsstelle des Landes Oberösterreich arbeitet, ist Protest gegen neue Quartiere für Asylwerber gewohnt. Die Argumente sind immer die gleichen: "Die Schlüsselfrage ist, wie der Bürgermeister zum Objekt steht. Wenn der dagegen ist, hat der Widerstand Struktur.“ Auch die Informationskette ist immer gleich: Wenn ein Haus angeboten wird, erklärt Ekber Gercek von der Volkshilfe Oberösterreich, wird es erst besichtigt und dann mit der Sozialabteilung des Landes Rücksprache gehalten. "Wir prüfen bei jedem Standort die Gemeindegröße, den Ausländeranteil und sonstige Besonderheiten. Wenn das nicht zusammenpasst, unterschreiben wir den Vertrag auch nicht“, sagt Wall. Wenn schon, werden Gemeinde und Bürgermeister informiert. "Nachdem es um Menschlichkeit geht, spielt auch der Pfarrer eine große Rolle“, ergänzt Gercek. Ein Mitspracherecht, das Bürgermeister gerne fordern, würde bloß zur Verhinderung führen, meint Wall.

Verhindert hätten auch in Altmünster manche gerne das Haus für die neuen Nachbarn. Doch nun wächst der Ort ein Stückchen näher zusammen: "Durch unsere Plattform bilden sich völlig neue Allianzen zwischen den Generationen und über alle Parteigrenzen hinweg“, freut sich Almut Etz.

Auch die Asylwerber freuen sich auf die Zukunft: Diese Woche haben die Kinder, die während der Weihnachtsferien angekommen sind, ihren ersten Schultag. Besonders aufgeregt ist Mohsen. Seine Frau ist im achten Monat schwanger. Es wird ein Bub, er soll Mehrpur heißen und er wird in Gmunden auf die Welt kommen. Mit ihm bekommen die Altmünsterer bald noch einen neuen Nachbarn.

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