Die vielen Stimmen der Integration

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Bürger-Initiativen und Asylwerber, die im Radio selbst ihre Stimme erheben: In Kirchdorf an der Krems treibt Integration bunte Blüten.

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Bürger-Initiativen und Asylwerber, die im Radio selbst ihre Stimme erheben: In Kirchdorf an der Krems treibt Integration bunte Blüten.

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Jumaa Mohamed Abdi kann stolz sein. Seit 12. April nennt der 28-Jährige nicht nur den rot-weiß-roten Pass sein eigen - er ist vermutlich auch der erste einstige Asylwerber, der die österreichische Staatsbürgerschaft auf Grund langjähriger ehrenamtlicher Mitarbeit bei einer NGO erhalten hat. Als Sendungsmacher im "Freien Radio B138" spricht der gebürtige Somalier am Mikrophon an, worüber sonst kaum gesprochen wird. "Auch, wie's den Ausländern mit den Österreichern geht", verrät Jumaa im Studio von "B138", das direkt neben der gleichnamigen Bundesstraße im oberösterreichischen Kirchdorf an der Krems liegt. In seiner Sendung "United" erzählt er den 35.000 potentiellen Hörerinnen und Hörern zwischen Kremsmünster und Klaus nicht nur von Alltagsrassismen, sondern auch davon, wie Integration ganz unaufgeregt und simpel funktionieren kann.

Heimisch werden trotz Container

Dass in Kirchdorf so manches gelingt, zeigt sich nicht nur an Initiativen wie "B138". Auch das Ergebnis bei der Bundespräsidenten-Stichwahl ist ein Indiz für die überwiegend positive Stimmung vor Ort: Immerhin 57,4 Prozent votierten in der 4700-Einwohner-Gemeinde für Alexander Van der Bellen. Dabei waren und sind die Herausforderungen nicht gerade klein. Ewald Breitwieser, SP-Vizebürgermeister und Integrationsstadtrat der Bezirksstadt, erinnert sich an vergangenen Herbst, als man für etwa 50 Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die während der Ferien in einer Schule im nahen Schlierbach untergebracht waren, eine neue Bleibe finden musste. "Sofort haben fünf Kirchdorfer Familien signalisiert, dass sie Wohnungen zur Verfügung stellen könnten", erzählt der Mittelschullehrer. Weil es in der Kürze der Zeit nicht möglich war, die teilweise dislozierten Unterkünfte zu adaptieren, wurde am Ende aber die Unterbringung in einem Containerdorf beschlossen. Eine suboptimale Lösung, war Breitwieser von Anfang an bewusst - zumal auch nur Männer untergebracht werden sollten. "Ein Containerdorf stellt nach dem Zelt die zweite Stufe dar und hat eher Wartehallencharakter", weiß er. Doch das Bemühen von Gemeinde und Zivilgesellschaft um die Neuen im "Dorf" war groß.

"Kistenbratl aus Bio-Fleisch vom Lamm anstatt vom Schwein - und danach Palatschinken": Das war die erste "Integrationsmaßnahme", die Susanne Rettig setzte. Die Obfrau von "Radio B138" und Aktivistin der Lebensmittelkooperative "Güterwege", die Produkte regionaler Bauern vermarktet, packte kiloweise Lebensmittel zusammen und kochte mit anderen im Container-Dorf auf. "Im Grunde war die Aktion für jene Kirchdorfer gedacht, die noch nicht die Möglichkeit hatten, mit den Asylwerbenden in Kontakt zu kommen", erklärt Rettig.

Dass Essen Menschen zusammenbringt, wissen auch die Kremstaler "Salondamen und Salonherren", nach denen Tanja Landerl stetig sucht. Wer den Abend mit geflüchteten Menschen verbringen und deren heimische Speisen probieren möchte, kann sich bei der Psychologin und Psychotherapeutin melden. Man trifft einander zum Kennenlernen im Haus "16A" in der Bahnhofstraße, schräg gegenüber dem Sende-Häuschen von "B138"."Am einfachsten ist es, wenn Integration zum Alltag wird, die Leute vorbeikommen und man nichts inszenieren muss", erklärt Landerl.

Sorgen - und wie man sie nimmt

Dabei waren die Ängste angesichts der 50 fremden Männer im Container-"Dorf" anfangs nicht gering. Wird sich das Leben für die Anrainer verändern?Wie steht es mit der Sicherheit der Kinder und Jugendlichen, deren Schulweg direkt an der Flüchtlings-Unterkunft vorbeiführt? Sorgen wie diese hat die Stadtgemeinde von Beginn an ernst genommen. Schon im Juni des Vorjahres informierte Ewald Breitwieser Schuldirektoren und Elternvereine, berief Bürgerversammlungen ein, holte Exekutivkräfte und Flüchtlinge an einen gemeinsamen Tisch. Die Situation im Camp sei auf Grund der hohen Fluktuation und der langen Wartezeit auf die Asyl-Interviews nicht immer einfach, aber man sei im Gespräch, betont Breitwieser. "Seit Kurzem greift auch der Bauhof für gemeinnützige Tätigkeiten auf die Männer zurück - und sie helfen toll mit." Über so manche vermeintliche Flüchtlingsschlägerei in der Disko hat er sich selbst vor Ort ein Bild gemacht - um mehr als nur einmal festzustellen, dass nicht Männer aus dem "Dorf" daran beteiligt waren, sondern die üblichen "Mopedbuben" aus der Gegend.

Von Unsicherheiten zu berichten, weiß auch Christina Reichsthaler -allerdings von jenen der Männer aus dem "Dorf". Als einige der Asylwerber ihr vom Wunsch erzählten, sich bei der Kirchdorfer Bevölkerung für die gute Aufnahme zu bedanken, entstand die Idee des gemeinsamen Brotbackens am Hauptplatz. "Ursprünglich wollten die Männer Rosen an die Bevölkerung verteilen.

Doch bald haben sie gemerkt, dass fast jedes Haus hier einen Blumengarten hat." Im offenen Technologie-Labor "Otelo" im "16A" in der Bahnhofstraße wurde also ein transportabler Brotbackofen geschweißt, Teig geknetet und schließlich in der Fußgängerzone frisches Fladenbrot verteilt.

Dass Integration in Kirchdorf so bunte Blüten treibt, hat auch mit der Geschichte des Ortes zu tun. Zum einen sind die Kremstaler gewohnt, Dinge selbst in die Hand zu nehmen: Die "Initiative Oberes Kremstal"(INOK) konnte etwa in den 1980ern eine geplante Mülldeponie verhindern und die Pyhrnautobahn A9 von einer Stelzenin eine Unterflurvariante abändern. Dazu kommt die Migrationsgeschichte des Ortes: In den 1990er-Jahren sind bereits 120 Menschen aus Ex-Jugoslawien hierhergekommen. Heute leben hier Menschen aus 37 unterschiedlichen Volksgruppen, weiß Gemeinderat Mustaf Shabani. Der gebürtige Albaner vertritt im 2004 eingesetzten Integrationsbeirat, der mit dem Großen Preis des Landes Oberösterreich ausgezeichnet wurde, die Anliegen der Zugewanderten.

Die ehrenamtlichen Integrations- Initiativen werden wiederum in der Plattform "Gemeinsam in Kirchdorf" koordiniert. Die Vertreter der fünf Arbeitsgruppen ("Deutschkurs","Freizeit und Aktivitäten", "Spenden", "Kommunikation" sowie "Begleitung und Transport") treffen sich ebenfalls im "16A" in der Bahnhofstraße. Seit 2010 stellt Mike Schedlberger, gemeinsam mit Elisabeth Neubacher Geschäftsführer von Radio "B138", das Haus in den Geist von Kunst, Begegnung und Integration auf Augenhöhe.

Von Damaskus ins Kremstaler Radio?

Im nahen Radiostudio fallen derweil Jumaa und sein Freund Mohammad einander in die Arme. "My Brother from another Mother!", rufen sie lachend, auch wenn sich der in Afrika und der in Palästina Geborene nicht gerade ähnlich sehen. Doch das Radio ist ihr gemeinsames Zuhause geworden. Vielleicht stößt auch Jumaas Freund, "Dorf"-Bewohner Mohammad Alnajjar, demnächst dazu: Der Automatisierungstechniker aus Damaskus hat im "Otelo" jene große Uhr vom Mittelschul-Parkplatz, die ihren Geist aufgegeben hatte, mit einer Solarstrom-betriebenen Steuerung versorgt. Womöglich wird er sich bald auch on air einbringen. Eine konstruktive Stimme mehr in Kirchdorf an der Krems.

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