Container für Sinn und Frieden
Ein Versuch, Zukunft in Länder mit brutaler Vergangenheit zu bringen und zu zeigen, dass die EU nicht nur eine Geldkasse ist
Ein Versuch, Zukunft in Länder mit brutaler Vergangenheit zu bringen und zu zeigen, dass die EU nicht nur eine Geldkasse ist
Eine weiße Kuppel aus Segeldach - zwanzig Meter breit, sieben Meter hoch - wölbt sich über der freien Fläche, die von 16 Containern umgeben ist. Wie eine Wagenburg scharen sie sich um - eine Idee, einen Versuch, Zukunft in Länder mit brutaler Vergangenheit zu bringen. Es ist die Idee, über die Jugend Frieden und Versöhnung auszusäen. Die Idee nimmt derzeit Gestalt an, seit letzter Woche ist das Containerdorf in Südosteuropa im Einsatz und steht in erster Linie der einheimischen Jugend offen. Ab sofort ist das Dorf nämlich Zentrum in verschiedenen Städten, ein von der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, initiierter Treffpunkt junger Leute samt Bühne und Internet-Cafe.
"Mobile.Culture.Container" haben es die Erfinder getauft. Treibende Kraft des gesamten Unternehmens ist der OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Freimut Duve. Ausgangspunkt der Aktion ist der Fonds "Verteidigung unserer Zukunft". Über das Projekt wendet er sich an Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren, die dadurch in Kontakt zum übrigen Europa kommen sollen, sagt Projektleiter Achim Koch. Dem Fonds gehören unter anderem der internationale Bosnien-Beauftragte Wolfgang Petritsch, der am Stabilitätspakt federführend beteiligte deutsche Politiker Hans Koschnick sowie der österreichische Regierungsbeauftragte für die EU-Erweiterung Erhard Busek an. "Mobile.culture.container" soll Tor zur Welt sein, denn viele Heranwachsende haben in dieser Region keine Arbeit und viel freie Zeit, die sie kaum sinnvoll nutzen können.
Bleiben statt weggehen 62 Prozent der Jugendlichen in Bosnien-Herzegowina wollen ihre Heimat verlassen, hat eine bosnisch-herzegowinische Zeitung erfragt. 120.000 haben es seit dem Kriegsende getan. Das Containerprojekt will sie zum Bleiben animieren und dazu, ihre freie Zeit sinnvoll zu nützen. Neben der Internetmöglichkeit führt es eine Friedensbibliothek mit. Noch vor wenigen Wochen sah alles ein wenig unbelebt und kühl aus, als das Dorf seine "Dachgleiche" auf dem Gelände einer Containerfirma am Stadtrand von Wien feierte. Es gab Ansprachen, Sekt und Kaffee - und eine Portion Ungewissheit, nicht nur, ob alles klappen werde, sondern auch, ob es tatsächlich der gewünschte Erfolg wird. Mit Leben füllt sich die Containerstadt erst an den Bestimmungsorten.
Bis dahin war es aber ein steiniger Weg: Sponsoren mussten für das Projekt aufgetrieben, die richtigen Containermaße für die Behältnisse gefunden und ein Spediteur unter Vertrag genommen werden. Die Container wurden in Italien erzeugt, in Wien erfolgte der provisorische Zusammenbau. Wieder zerlegt wandert das Dorf von Stadt zu Stadt. Mitte Mai ging die Reise los: Die 16 Container wurden mit der Bahn in den Südosten geschickt. Elf Städte in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien werden heuer und im nächsten Jahr vom "mobile.culture.container"-Projekt angefahren. Erste Station ist Tuzla in Bosnien-Herzegowina. Fünf Wochen bleibt "mobile.culture.container" in jeder Stadt und bietet sich auf 30 mal 30 Metern den Jugendlichen an.
In diesen Wochen bricht gerade ein neuer Nachkriegs-Sommer auf dem Balkan an. Aber ist es wirklich nach dem Krieg? Unruhe herrscht zwischen Serbien und dem Kosovo, zwischen dem Kosovo und Mazedonien. Ein ehemaliger Vielvölkerstaat scheint nicht zur Ruhe zu kommen. Das OSZE-Projekt versucht sich sinnstiftend anzubieten, jene anzusprechen, in deren Händen die künftige Entwicklung der Länder liegt: die Jugend. Bei der Begegnung mit den Jugendlichen sollen diese in der OSZE-Wagenburg sich auch über ihre eigene Zukunft Gedanken machen, mit Menschen aus ihrer Region, die in Westeuropa studiert haben und mit neuen Erfahrungen zurückgekehrt sind, diskutieren. Die mitgeführte Bibliothek soll unterstützend wirken, will anhand von Literatur über die Zeit nach dem Nationalsozialismus Wege zur Überwindung von Hass und Abgrenzung aufzeigen.
Josipa Crnoja, die Pressesprecherin des Projekts, kennt die vielfältigen Sorgen in den Ländern, in ihrer Heimat: Mit 19 Jahren musste sie aus Bosnien-Herzegowina flüchten und arbeitet seither als Journalistin in Österreich. Wenn sie von ihrem Leben erzählt, spürt man, dass ihr die Heimat fremd, aber die Fremde nicht Heimat geworden ist. Doch sie spricht mit Freude von Bosnien-Herzegowina, von der Herzlichkeit und der Gastfreundschaft ihrer Landsleute. So erscheint sie als ideale Vermittlerin zwischen den beiden Welten, die noch immer zu wenig voneinander wissen.
Insgesamt zwölf OSZE-Mitarbeiter begleiten die "mobile.culture.container" während der Reise. Lesen, Chatten, Tanzen, Musik hören - das ist für die jungen Leute auf diesem temporären Marktplatz möglich. Ein kreativer Ort soll es werden. Die Wände der Container will man bildenden Künstlern der Region zur Präsentation ihrer Werke zur Verfügung stellen. Vielleicht wird die Bühne zum Theater, zum Laboratorium, der Kreativität wollen die Initiatoren keine Grenzen setzen. Schulklassen sollen mit ihren Lehrern in der Containerstadt diskutieren, die dort vorhandenen Medien unterstützen den Dialog. Workshops können gebildet werden, in denen den jungen Menschen die Herstellung von Schülerzeitungen nahegebracht wird. Solche eigenverantwortliche Tätigkeit setze demokratisches Handeln voraus, heißt es in einer Broschüre von "mobile.culture.container". Die Saat soll ausgestreut werden, um gleichsam demokratische Reife zu erzielen, letztlich innere Stabilität in Menschen und ganzen Regionen.
Der Abend im Containerdorf wird für Veranstaltungen genutzt: Von der Unterhaltung mit Musik und Tanz bis hin zu Filmvorführungen und Diskussionen. Doch die Initiatoren möchten mit ihrem Containerdorf auch Bleibendes schaffen: Lokale Internet-Cafes könnten gegründet werden, haben sie sich vorgenommen, die gesamte Hardware soll nach Ablauf des Projekts einer interessierten Stadt übergeben werden.
Gleich einer Agora Finanziert wird das Projekt durch mehrere EU-Staaten und den Stabilitätspakt für Europa, aber auch durch zahlreiche Sponsoren und Spender. Besondere Unterstützung kam von den Ländern Luxemburg, Spanien, der Schweiz und Deutschland. Kennbild des OSZE-Projekts ist "Die Hand des Schreibers" von Günter Grass: Das von ihm gezeichnete Bild zeigt die Friedensfeder, die sich in der Hand des Schreibers aus der toten Steinlandschaft des Krieges streckt. In seinem Roman "Das Treffen von Telgte" beschreibt er eine Zusammenkunft Intellektueller 1648, nach dem 30-jährigen Krieg, in der Nähe von Münster und Osnabrück, um über den Frieden zu reden. Diese Idee hat auch Eingang ins OSZE-Projekt gefunden: Denn für alle vier Standorte dieses Jahres wurde ein spezieller Schwerpunkt geschaffen.
Gleich an der ersten Station, in Tuzla, findet am 29. und 30. Juni ein Schriftstellertreffen aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem übrigen Europa statt. Osijek verbindet Internet und Jugend, in Cacak stehen Tourismus und Ökologie sowie die Beziehung von Ökologie und Ökonomie im Vordergrund. Die Station in Gorazde widmet sich den Perspektiven und den Konzepten gegen die Arbeitslosigkeit der Jugend.
"Mobile.culture.container" bietet dafür einen offenen Ort, gleich einer antiken Agora als Börse der Ideen, der Diskussion über die gemeinsame Frage: Wie kann es weiter gehen? Zum Nachdenken eingeladen sind die Schüler der Mittel- und Oberklassen aus der jeweiligen Region.
Auf Schiene gesetzt Einer, der das Projekt im wahrsten Sinn des Wortes auf die Schiene gebracht hat, ist der Korridor X, jene europäischen Bahnmagistrale, die Salzburg mit Thessaloniki verbindet. Über dessen Schienen rollten die Container an ihren ersten Bestimmungsort. Die für den Verkehr zwischen dem Balkan und Westeuropa so wichtige Verbindung mit 2.360 Kilometern Gesamtlänge wird derzeit zur Qualitätsstrecke ausgebaut. Sie führt von Österreich über Slowenien und Kroatien nach Belgrad, einem Verknüpfungspunkt wichtiger Bahnlinien in Ostmitteleuropa und weiter über Nis und Skopje bis ans Meer in Gri echenland. Die Qualitätsoffensive für den Verkehrsweg, einen der zehn Korridore zwischen EU-Europa und den Kandidatenländern, wird von zahlreichen Veranstaltungen begleitet, die den Korridor X ins Bewusstsein der Bevölkerung bringen sollen. Eine ist "mobile.culture.container", an dem sich der Korridor X beteiligt: Die drei Bahnen haben sich bereit erklärt, in ihren Ländern die kostenlose Anreise der jungen Leute zum jeweiligen Standort zu übernehmen.
Das Projekt, das vom dem Fonds "Verteidigung unserer Zukunft" getragen wird, will aber noch eines vermitteln: Die EU ist keine Geldkasse. Die Zukunft besteht nicht nur aus Spenden. Sie besteht aus den Ergebnissen all jener Initiativen von Menschen in den Kriegsländern, die ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben, etwas aus der Situation gemacht haben, in der sie sich gerade befanden und ihr Land nicht zurückgelassen haben. "Mobile.culture.container" soll dafür ein Anstoß sein und zeigen, wie dieses Sinn finden im eigenen Land gehen könnte.
Zum Thema Sinnstiftung von traumatisierten Völkern lesen Sie auf Seite 22.