Auch Helfer brauchen Hilfe

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Sie leisten Unglaubliches und bleiben im Hintergrund. Dabei brauchen die tausenden freiwilligen Flüchtlingshelfer selbst Unterstützung im Umgang mit heiklen Themen.

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Sie leisten Unglaubliches und bleiben im Hintergrund. Dabei brauchen die tausenden freiwilligen Flüchtlingshelfer selbst Unterstützung im Umgang mit heiklen Themen.

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Brennpunkt Traiskirchen: Gewaltexzesse und Drogen" (Krone) oder "Italien spricht von einem Flüchtlingstsunami" (FAZ) -bei solchen Schlagzeilen kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen. Elisabeth T. (Name der Red. bekannt) erging es nicht anders. "Ich konnte mich entscheiden: Entweder lasse ich aus lauter Sorge meine Nichten nicht mehr auf die Straße", erzählt die Wienerin, "oder ich überprüfe im persönlichen Kontakt, ob diese Angst berechtigt ist." Sie entschied sich für Letzteres und begann, bei "Train of Hope" Flüchtlinge auf dem Wiener Hauptbahnhof willkommen zu heißen. Mittlerweile gibt die 50-Jährige pakistanischen Asylsuchenden Deutschunterricht. Das Lernen beschränkt sich aber nicht auf die Sprache, auch das interkulturelle Verständnis wächst - auf beiden Seiten. "Anfangs war es für mich fast eine Beleidigung, dass mich die Burschen "Auntie"(engl. Tante) nennen, inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Sie zeigen mir so ihre Wertschätzung", berichtet Elisabeth, die in der Kommunikation tätig ist, und fügt hinzu: "Manche Muslime zeigen uns Frauen gegenüber mehr Respekt als österreichische Männer." Auch, dass es ihren Schützlingen bis heute schwer fällt, einem weiblichen Gegenüber die Hand zu schütteln oder in die Augen zu schauen, ist für sie nichts Ungewöhnliches mehr. Nicht, weil die Männer auf Frauen herabschauen, sondern weil diese Gesten in ihrer Kultur nicht üblich sind.

Fragen statt Angst

Angst vor den muslimischen Neuankömmlingen hat Elisabeth längst nicht mehr, ihr Interesse an der fremden Kultur ist aber ungestillt. Vor allem, was das Thema Religion angeht. "Für mich war es ein Schock, wie wenig meine Schützlinge über den Islam wissen", berichtet sie. Islamexperte Alexander Osman kann das bestätigen. "Oft entsteht auch ein Mischmasch aus Religion und Kultur", erklärt der Trainer und Mediator. Dann würden Elemente wie Gastfreundschaft, die aus dem Islam stammen, zu Traditionen. Dann würde es aber auch passieren, dass Frauenbeschneidung oder Zwangsheirat, die der muslimischen Lehre widersprechen, als Teil der Religion betrachtet werden. Solche Fehlannahmen aufzuklären und Interessierten wie Elisabeth den Islam näher zu bringen, war das Ziel des Workshops "Rollenbilder und Religion", den Osman gemeinsam mit der Bundesvorsitzenden der Muslimischen Jugend Österreich, Canan Yasar gehalten hat.

Die Veranstaltung ist Teil der neuen Reihe "Power 2 Help", die an der WU Wien ins Leben gerufen wurde. An zehn Abendterminen bis Ende Juni sollen Freiwilligen und potenziellen Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe Kompetenzen für ihre Arbeit vermittelt werden. Nicht durch WU-Forscher, sondern durch Experten, die "knöcheltief in der Praxis" stehen, so André Martinuzzi, Leiter des Instituts für Nachhaltigkeitsmanagement. "Entstanden ist die Initiative aus der Wahrnehmung eines Staatsversagens", erzählt er. "Offizielle Stellen sind nicht in die Gänge gekommen, wohingegen Helfer motiviert und engagiert eingesprungen sind. Wir haben uns gedacht: Wenn wir diese Menschen stärken, dann stärken wir das Rückgrat der gesamten Hilfe."

Darüber hinaus hoffen die Organisatoren auf den Multiplikator-Effekt der Workshops, die gegen einen Kostenbeitrag von 5 Euro besucht werden können. "Wenn pro Workshop fünfzig Leute teilnehmen, die wiederum ihr Wissen an andere weitergeben, erreichen wir Menschen, die sonst nicht angesprochen werden", ist Lebens- und Sozialberaterin Sabine Eichinger überzeugt. Sie möchte vor allem jene unterstützen, die nicht an große NGOs angebunden sind und keinen Zugang zu Trainings haben.

Bei welchen Themen zusätzliches Know-how notwendig ist, war schnell geklärt. "An erster Stelle stehen interkulturelle Fragen", hat Eichinger bei der Befragung von Helfern an Bahnhöfen und in Erstunterbringungsstellen festgestellt. Das bestätigt auch das rege Interesse am Workshop von Frau Yasar und Herrn Osman. "Der Termin war innerhalb von 48 Stunden ausgebucht", berichtet Martinuzzi, "vor allem die Zielgruppe Vierzig plus interessiert sich für interkulturelle Themen und fragt sich, was es mit Sprechentfernung oder Augenkontakt auf sich hat." Jüngere zwischen zwanzig und dreißig hingegen zieht es eher zu Themen wie Asylrecht und Umgang mit Medien, zeigt die Erfahrung.

Burnout-Prävention

Neben interkulturellen Fragen werden auch psychosoziale Themen wie das Umgehen mit traumatisierten Menschen beleuchtet. Zusätzlich stehen Workshops wie "Erste Hilfe" und "Konfliktlösung" auf dem Programm. "Es ist mir ein Anliegen, den Helfern zu vermitteln, wie sie ihre Ressourcen bestmöglich einteilen und so ein Burnout verhindern können", kommt Lebens- und Sozialberaterin Eichinger auf ein weiteres Themenfeld zu sprechen.

Wie wichtig das ist, weiß Charlotte Joy Wiggins aus Erfahrung. Die gebürtige Engländerin leitete bei "Train of Hope" die Kinderecke und war für die Koordination von rund 100 Ehrenamtlichen verantwortlich: "Anfangs haben alle sehr schlecht geschlafen", erzählt sie, "bei unseren täglichen Meetings kam zur Sprache, dass die Helfer Angst haben, es nicht zu schaffen. Das anzusprechen und zu erkennen, dass es sich um kein Einzelproblem handelt, hat oft schon geholfen." Die Dolmetsch-Studentin selbst war monatelang täglich im Einsatz. Dass dabei weder sie noch andere Freiwillige im Kinderbereich Burnout erlitten, ist ihrer Meinung nach den eingeschränkten Öffnungszeiten dieser "Abteilung" zu verdanken. "Ich weiß aber von Kollegen, die teilweise drei Tage am Stück nicht geschlafen haben", erzählt Wiggins, die bei "Power 2 Help" über Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen referiert.

Neue Chancen schaffen

Wie alle anderen ist auch diese Veranstaltung bereits ausgebucht. "Aufgrund der Räumlichkeiten und wegen des interaktiven Formats müssen wir die einzelnen Workshops auf 50 Teilnehmer beschränken", so Martinuzzi. Das große Interesse lässt die Organisatoren bereits an eine Ausweitung als videobasiertes Online-Format auf ganz Österreich und Deutschland denken. Dafür bräuchte man aber Sponsoren, denn ein solcher Mehraufwand würde die bisher ehrenamtlichen Kapazitäten der Beteiligten übersteigen. Bevor dieser Zukunftsplan aber spruchreif wird, müssen noch die restlichen Workshops und auch die Abschlussveranstaltung von Power 2 Help über die Bühne gebracht werden: Für Letzteres haben sich die Organisatoren etwas Besonderes überlegt. Die Podiumsdiskussion "Asyl - Chancen - Wirtschaft" soll den Festsaal der WU mit rund 400 Menschen füllen und zeigen, dass die Neu-Ankömmlinge eine Dynamisierung für unsere Wirtschaft darstellen können. "Wir haben das Gefühl, Flüchtlinge kosten so viel, sehen aber nicht, dass das Leute sind, die Arbeitsplätze kreieren können", ist Martinuzzi überzeugt, "da findet kein Wegnehmen statt, sondern ein Schaffen von Chancen."

Ein Plädoyer, Flüchtlinge nicht vorschnell zu verurteilen, möchten auch die beiden Workshop-Leiter von "Rollenbilder und Religionen" den Ehrenamtlichen und solchen, die es noch werden wollen, mit auf den Weg geben. "Ich bin religiös, aber in erster Linie bin ich Mensch", ärgert sich Canan Yasar darüber, immer auf ihre Religion reduziert zu werden. "Die Muslime gibt es nicht", fügt Osman hinzu, "die Menschen, die nach Österreich kommen, sind ein heterogener, bunter Haufen." Ein Haufen Menschen, die vor allem eines möchten: Dass mit ihnen gesprochen wird und nicht über sie.

www.power2help.at

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