Pensionen für Flüchtlinge

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Der Oberste Gerichtshof hat die vom Staat verordnete Obdachlosigkeit für Flüchtlinge untersagt. Doch der Staat bleibt bei seiner Asylpraxis.

Ja, dürfen's denn das?" fragt sich der gelernte Österreicher immer wieder: Wenn die Regierung die Pensionsreformwut packt. Oder wenn die Gewerkschaft deswegen mit Streik und Verkehrskollaps droht. Oder wenn Polizisten - wie am 1. Mai vor vier Jahren - einem Schubhäftling den Mund verkleben, bis dieser daran zu Grunde geht. In solchen Momenten und anderen mehr drängt sich diese Frage auf, aber fast nie gibt es darauf auch eine Antwort. Letzte Woche ist die Ausnahme der Regel passiert und der Oberste Gerichtshof hat reagiert: "Sie dürfen nicht!"

Der Staat darf sich nicht aus seiner Verantwortung gegenüber hilfsbedürftigen Asylwerbern stehlen, haben die Richter geurteilt. Der Staat darf nicht "willkürlich" dem einen Bundesbetreuung, ein Dach über dem Kopf und Versorgung gewähren, beim anderen auf die professionelle Barmherzigkeit von Hilfsorganisationen hoffen und den dritten gänzlich seinem Schicksal überlassen. 36.983 Asylanträge wurden im letzten Jahr gestellt. 20.633 Asylwerber, rechnet die Statistik vor, waren zumindest vorübergehend in Bundesbetreuung. Bleiben beim Nachrechnen gut 16.000 Menschen (Bludenz hat 14.000 Einwohner) übrig.

Die Glücklichen unter ihnen haben bei Hilfsorganisationen Unterschlupf gefunden. Das bedeutet aber auch, dass die karitativen Einrichtungen ihre Spendengelder anstatt für dringend notwendige Integrationsaufgaben zur Abdeckung der vom Staat verweigerten Grundbedürfnisse verwenden müssen. Und die weniger Glücklichen unter den Asylsuchenden? Was bleibt an Möglichkeiten, wenn keine Angehörigen im Land sind, die helfen, und arbeiten bei Strafe verboten ist? Wie können Ladungen und Bescheide zugestellt werden, wenn eine feste Adresse fehlt? Jährlich führt dieser Umstand zu Tausenden Einstellungen des Asylverfahrens. Aber das passt genauso ins Kalkül, wie die Weiterwanderung von Asylsuchenden in andere europäische Länder.

In Deutschland gibt es das Recht - nicht bloß das Gnadenrecht - auf Bundesbetreuung. "Wir können sie nicht einfach in die Obdachlosigkeit schicken", antwortet der Leiter einer Aufnahmeeinrichtung für Asylwerber in München auf Anfrage der Furche. In Österreich haben die zuständigen Behörden mit dieser von Staats wegen verordneten Obdachlosigkeit kein Problem. Aber das wird sich ja mit dem Richterspruch jetzt schnellstens ändern. Oder nicht?

Im Innenministerium war man zuerst einmal bass erstaunt über die Eindeutigkeit des richterlichen Entscheides, die man "so nicht erwartet" hat. Dann war man wahrscheinlich ganz froh, dass sich das Interesse der Österreicher derzeit völlig auf die eigene Rente und nicht auf eine Pension für Asylwerber konzentriert. Und schließlich und grundsätzlich will das Ministerium an seiner Praxis festhalten. Bis eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zur Grundversorgung von Flüchtlingen gefunden wird, bis das Wiener Landesgericht, an das die Causa vom Obersten Gerichtshof zurückverwiesen wurde, eine weitere Prüfung der Ungleichbehandlung durchgeführt hat, bis...

Der Rechtsweg ist lang, und die Behörde wird ihn ohne abkürzendes Entgegenkommen gehen. Durchaus auch möglich, dass sich das Ministerium vom Richterspruch hat kränken lassen. Hilfswerk, Caritas, Volkshilfe, Diakonie etc. sind nämlich jetzt nicht mehr nur Bittsteller, sondern können jene Kosten, die sie in den letzten 30 Jahren für die Betreuung mittelloser Flüchtlinge aufgebracht haben, von der Republik zurückfordern. Das entscheidende Kriterium aber, warum der Staat das Recht auf Bundesbetreuung so lang wie möglich nicht gewähren wird, ist schlicht und einfach der fehlende Wille.

Ein zweiter Blick in die Asylstatistik beweist, dass es nicht an den Möglichkeiten und Kapazitäten liegen kann. Im Jahr 2000 wurden 18.063 Asylanträge gestellt. Mit den bereits genannten 20.633 Bundesbetreuungsplätzen des letzten Jahres hätten also alle Asylsuchenden leicht Unterschlupf gefunden. Leider wurde 2000 aber nur 8.896 Flüchtlingen Bundesbetreuung gewährt. Immer bleiben Tausende auf der Straße. Zur Abschreckung? Um keine "falsche Signalwirkung" zu geben, um eine "unglaubliche Sogwirkung" zu vermeiden, erklärte einmal ein hoher Beamter des Innenministeriums die Strategie. Kollateralschäden nennt man solche Opfer, die so nebenbei, um eines angeblich höheren Gutes willen in Kauf genommen werden.

Und wieder regt sich die Frage: "Ja, dürfen's denn das?" Nach dem Urteil des Obersten Gerichts steht fest: Sie dürfen nicht. Aber um vieles schlimmer ist eigentlich: Sie wollen.

wolfgang.machreich@furche.at

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