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Den Wohlstand teilen lernen

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17 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht. „Nur" 500.000 gelangten 1991 nach Westeuropa. Doch die reichen Länder versuchen zunehmend, sich abzuschirmen.

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17 Millionen Menschen sind derzeit auf der Flucht. „Nur" 500.000 gelangten 1991 nach Westeuropa. Doch die reichen Länder versuchen zunehmend, sich abzuschirmen.

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Mit der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes Ende 1992 wird der europäische Kontinent zur „Festung Europa" ausgebaut, verstärkte Grenzkontrollen werden die erwartete Flüchtlingswelle abhalten. Diese Befürchtung äußerte kürzlich die UN-Kommissarin Sadako Ogata in einem Gastkommentar in derdeutschen Wochenzeitung „Die Zeit".

„Würde dieses Geld nicht besser für eine Entwicklungshilfe ausgegeben, die es den Menschen ermöglicht, in ihren Ländern zu bleiben?" fragte die seit einem Jahr tätige Kommissarin weiter. Ihrer Meinung nach koste es doch langfristig weniger, den „Wohlstand zu teilen, als Barrieren gegen jene aufzubauen, die ein wenig besser leben wollen".

500.000 sind es es im Vorjahr gewesen, die ein wenig besser leben wollen, und in Westeuropa um Asyl angesucht haben. Doch dort werden sie zunehmend als Problem gesehen. Die wachsenden Arbeitslosenzahlen in fast allen Ländern Europas, die steigenden Kosten für die Betreuung

und Unterbringung der Asylbewerber haben die nationalen Budgets belastet. Soziale Spannungen und aufkeimender Fremdenhaß sorgen für zusätzliche Spannungen nicht nur in den meisten EG-Ländern, sondern auch in der Schweiz und bekanntlich in Österreich.

500.000 Asylwerber auf einem Kontinent mit rund 300 Millionen Menschen sind an sich noch keine dramatische Größenordnung.Womit die europäischen Großstädte jedoch zu kämpfen haben, sind die steigenden Zahlen illegaler Immigranten. Sie stellen die meisten Staaten, die sich weder als Einwanderungsländer noch als Schmelzpunkt verschiedener Kulturen betrachteten, vor neue Herausforderungen.

Trotzdem gibt es noch keine gemeinsamen, europaweiten Strategien gegen die Flüchtlingsströme aus aller Welt. Jedes Land versucht derzeit noch, eigene Wege bei der Bewältigung dieser Probleme zu gehen. Man erinnere sich nur an Italien. Die Regierung in Rom schickte im vergangenen Sommer ganze Schiffsladungen voller asylhungriger Albaner unbarmherzig wieder in ihre Heimat zurück.

Trotz der UN-Konvention von 1951, die alle EG-Länder zur Aufnahme von Asylsuchenden verpflichtet, die irgendwie nachweisen können, daß sie „aus begründeter Furcht vor Verfol-

gung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Meinung" ihre Heimat verlassen haben, hält sich die Aufnahmebereitschaft für Asylsuchende deutlich zurück.

So zum Beispiel in Spanien. Trotz steigender Einwanderungen von Marokkanern ist die allgemeine Stimmung noch relativ tolerant geblieben. Bis vor kurzem benötigten diese nicht einmal ein Visa. Trotzdem wurden aber nur rund sieben Prozent der Asylansuchen positiv bewertet, eine Größenordnung, die für fast alle anderen europäischen Länder gilt.

Österreich zählte 1991 laut Innen-

ministerium rund 27.200 Asylanten. Von den etwa 20.000 Asylverfahren wurden aber nur 2.500 Fälle (12,5 Prozent) positiv beantwortet. Trotzdem sei das im europäischen Vergleich „ein Rekord", verteidigte sich Innenminister Franz Löschnak.

Die Bundesrepublik beherbergt inzwischen zwei Drittel aller Asylsuchenden innerhalb der EG-Länder. Das liberale Grundgesetz ermöglicht allen Asylswerbem noch immer am leichtesten die Möglichkeit, ihren Fuß ins, wie sie meinen, „Gelobte Land" zu setzen. In Berlin, der drittgrößten „türkischen" Stadt nach Ankara und Istanbul (136.000 Türken) leben insgesamt 312.000 Ausländer (11 Prozent der Bevölkerung). Nach Angaben des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" haben in den letzten zehn Jahren aber nur 50.000 nicht deutschstämmige Asylwerbertatsäch-lich auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.

Keine gemeinsame Strategie

Beim EG-Gipfel in Maastricht versuchte die Bundesrepublik zwar, die anderen EG-Länder für eine gemeinsame Strategie gegen den Anstieg der Asylanten und Einwanderer zu gewinnen. Man konnte sich aber nur darauf einigen, erst Ende 1993 eine wirksame Lösung dieser Probleme anzustreben.

In Frankreich zeigen die Erhebungen von 1990, daß 1,7 Millionen Menschen, etwa 3,1 Prozent der Gesamtbevölkerung von 56 Millionen, letztes Jahr die französische Staatsbürgerschaft erhalten haben. Schätzungen über die Anzahl der illegal in Frankreich lebenden Asylwerbergehen in die Hundertausende. Die meisten von ihnen sind in den Groli-

Städten Paris, Lyon oder Marseille als industrielle Teilzeitarbeiter beschäftigt, wie ein Vertreter der französischen Arbeiterkammer bekanntgab. , Jeder Unternehmer wird ihnen versichern, wie wichtig diese Leute für die Wirtschaft sind", betonte er, „weil sie gerade jene schmutzige Arbeit annehmen, die französische Kollegen schon längst nicht mehr akzeptieren". Für die offiziell drei Millionen Arbeitslosen in Frankreich müssen die Ausländer daher oft als Sündenböcke herhalten. Dabei ist es gar nicht so sehr die wachsende Konkurrenz am Arbeitsplatz, was die Franzosen so an den Ausländem stört, sondern die „unterschiedliche Hautfarbe von nicht europäischen Einwanderern und die wachsende Zahl ihrer Kinder", klagte kürzlich ein Kommentator in der Pariser Tageszeitung „Le Monde".

Nirgendwo aber beherrscht der rassische Aspekt die Einwanderungsfrage so sehr wie in Großbritannien, wo vor dem Zerfall des britischen Empire nicht mehr als 20.000 farbige Einwanderer lebten. Heute wird die nichtweiße Bevölkerung des Inselstaates auf rund 2,6 Millionen geschätzt bei einerGesamtbevölkerung von 56 Millionen. Mehr als die Hälfte von ihnen kommt aus Indien, Pakistan, Bangladesh und der Karibik, sagen die offiziellen Statistiken.

Die Furcht vieler Briten, daß durch die starke Einwanderung ihre ethnische Identität verloren geht, veran-laßte die britische Regierung zu einer drastischen Senkung der Einwanderungsquote. Pro Jahr können sich nur mehr 50.000 in dem Königreich niederlassen. Die Zahl der Asylsuchenden in Großbritannien ist von 5.000 im Jahre 1988 auf etwa 50.000 im vergangenen Jahr gestiegen.

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