Meeresfriedhof oder Gefängnisinsel

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Afrikanische Flüchtlinge, die Lampedusa erreichen, sind oft gerade noch mit dem Leben davongekommen; eine bessere Zukunft haben sie aber mitnichten vor sich.

von angela huemer

Die italienische Insel Lampedusa liegt näher an Afrika als an Sizilien; der einzige Kontakt jedoch, den die Inselbewohner mit dem nahen afrikanischen Festland haben, sind Flüchtlinge, die auf wenig seetauglichen, viel zu kleinen Booten Lampedusa ansteuern. Jetzt im Winter ist das Meer rau, oft ist die Fährverbindung zum sizilianischen Festland unterbrochen. Zum Jahreswechsel musste die Insel sogar per Luftbrücke versorgt werden. Im Vergleich zum Sommer erreichen deswegen nur vereinzelt Flüchtlingsboote die Insel.

Leichen im Fischnetz

Mitte letzter Woche konnte die Polizei jedoch 14 Nordafrikaner aufgreifen, die unbemerkt von der Küstenwache Lampedusa erreicht hatten. Und am 7. Februar barg die Küstenwache ein zwölf Meter langes Boot mit 126 Insassen. Die Meerenge zwischen Lampedusa sowie Sizilien und Afrika wird von militärischen Radarsystemen überwacht. Meist sind es aber Fischer, die Flüchtlingsboote melden. So auch in diesem Fall: Ein Fischer hatte Alarm geschlagen, nachdem sich im Morgengrauen die sterblichen Überreste eines Mannes im Netz eines seiner Kollegen verfangen hatten.

Kein Einzelfall: Schon seit Jahren finden Fischer im äußersten Süden Europas immer wieder Leichen in ihren Netzen - auf der Flucht gestorbene oder ertrunkene Afrikaner. Es heißt, die Fischer würden die Toten oft zurück ins Meer schmeißen, um den Fragen der Küstenwache und Carabinieri zu entgehen und keine Zeit mit der italienischen Bürokratie zu verlieren. Einige Inselbewohner, die dem Sterben an ihren Küsten nicht mehr länger zuschauen wollen, fordern einen regelmäßigen Fährverkehr, um weitere Tragödien zu verhindern. Vergangenen Oktober war ein Schiff geborgen worden, das kenterte, als die Rettungsboote schon in Sicht waren. Die Insassen, allesamt Somalier, hatten aus lauter Angst, übersehen zu werden, zu winken begonnen - zusammen mit dem starken Seegang wurde dadurch das Boot zum Kentern gebracht. Es gab mindestens acht Todesopfer. Drei Männer waren zuvor schon über Bord gesprungen, in der Hoffnung, ein Frachtschiff schwimmend zu erreichen. Sie sind seither vermisst.

Urlauber nicht erschrecken

Und was passiert mit den Flüchtlingen, die lebend die Inseln Lampedusa, Pantelleria oder die Küste Siziliens und Kalabriens erreichen? Einmal angekommen, werden sie so schnell als möglich in Lager gebracht. Einheimische und Urlauber sollen wenig zu sehen bekommen. Das Flüchtlingslager ist offiziell ein "Centro di Permanenza Temporanea ed Assistenza" (CPT), wie Schubhafteinrichtungen in Italien heißen. Theoretisch dient das Lager auf Lampedusa lediglich der Erstversorgung. Viele Flüchtlinge warten dort aber mehrere Monate auf ihr weiteres Schicksal - für die meisten die Abschiebung.

Betrieben wird die Einrichtung auf Lampedusa von der Wohlfahrtsorganisation "Misericordia", überwacht von den Carabinieri. Zutritt haben mittlerweile nur mehr Abgeordnete des italienischen Parlaments. Kontrolle von unabhängigen Beobachtern wird kaum mehr zugelassen (auch die Krankenschwester von "Ärzte ohne Grenzen" kommt nicht in den geschlossenen Bereich). Ebenso ist es verboten, Fotos oder Videoaufnahmen zu machen.

In den letzten Jahren kamen jährlich rund Zehn- bis Elftausend Flüchtlinge allein auf Lampedusa an (das Doppelte der Einwohnerzahl). Bestrebungen des Innenministeriums und des Bürgermeisters der Insel, ein neues "Identifikationszentrum" mit einer Aufnahmekapazität für 400 Insassen in einem abgelegenen Teil Lampedusas zu bauen, wurden durch Proteste und Generalstreiks der Bewohner bislang verhindert. Man will nicht wieder, wie in der Vergangenheit, zur Gefängnisinsel werden.

Psychopharmaka-Cocktail

Schon jetzt wird das CPT der Insel in den Wintermonaten als Schubhafteinrichtung für abgewiesene Flüchtlinge genützt, die aus allen Teilen Italiens hierher gebracht werden. Auch in anderen CPTs ist die Situation nicht besser. Im Jänner hat die italienische Sektion von "Ärzte ohne Grenzen" eine detaillierte Studie zu diesen Einrichtungen veröffentlicht. Zum CPT in Agrigento auf Sizilien heißt es: "Die Struktur, ein ehemaliger industrieller Komplex, erscheint absolut ungeeignet, um Menschen zu beherbergen. Das erzwungene Zusammenleben in diesem großen, hangarartigen Bau und die totale Isolation (auch physisch) von der Außenwelt verschlimmert die Internierungssituation und das Gefühl der Entfremdung."

Besorgniserregend und weit verbreitete Praxis in fast allen CPTs sei die so genannte "terapia" - ein Cocktail von Psychopharmaka und Beruhigungsmitteln, um die Insassen ruhig zu stellen. Laut Studie ist die medizinische und psychologische Betreuung in den CPT mangelhaft: Selbstverstümmelungen, Fluchtversuche und Revolten sind keine Seltenheit. Neben der harschen Kritik an den Zuständen in den CPTs zeigt sich "Ärzte ohne Grenzen" jedoch besonders besorgt angesichts der Tatsache, dass das Recht auf Asyl immer weniger gewährleistet ist.

Die Autorin ist freie Journalistin.

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