Menschenrechte in Seenot
Vor zehn Jahren rettete das deutsche Schiff "Cap Anamur" 37 Bootsflüchtlinge vor Italien. Die Retter wurden wegen "Beihilfe zur illegalen Einreise" angeklagt.
Vor zehn Jahren rettete das deutsche Schiff "Cap Anamur" 37 Bootsflüchtlinge vor Italien. Die Retter wurden wegen "Beihilfe zur illegalen Einreise" angeklagt.
Rund um die Lübecker Jakobikirche wuselt es. An der Info-Tafel prangt ein Plakat mit der Aufschrift "10 Jahre Cap Anamur". Eine große Gedenkfeier am Nachmittag soll an die Geschehnisse von 2004 erinnern. Damals rettete das Schiff "Cap Anamur" der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation mit Sitz in Köln auf einer Testfahrt nach einer Motorenreparatur auf Malta 37 Flüchtlinge in Seenot. Der Heimathafen der Cap Anamur ist Lübeck. Kapitän Stefan Schmidt lebt noch heute dort. Er schrieb damals eine E-Mail nach Köln: "Das Flüchtlingsboot wurde 47 Seemeilen vor der libyschen Küste aufgefischt. Boot war absolut nicht hochseetauglich und hatte Luft verloren. Motor war ausgefallen, Leute gaben Seenotzeichen. Eine klare Rettung aus Seenot."
Wochenlanges Warten auf Einfahrt
Man möchte meinen, es handelte sich um eine ganz normale Seenotrettung, wie es das Seerecht vorsieht. Mitnichten. Im Jahr 2004 sind Bootsflüchtlinge im Kanal von Sizilien noch ein relativ neues Phänomen. Der nächstliegende sichere Hafen, Lampedusa, ist zu klein für das große Frachtschiff der Hilfsorganisation, die 1979 im Zuge der Rettung vietnamesischer Boatpeople gegründet wurde. In der Zwischenzeit erreichen die "Cap Anamur" Meldungen von anderen seeuntüchtigen Flüchtlingsbooten. Eines davon eskortieren sie bis zu den Hoheitsgewässern Maltas. Die Behörden sind da längst informiert. Der Leiter der Hilfsorganisation, Elias Bierdel, entscheidet, an Bord zu gehen. Er tut dies mit einer Gruppe von Journalisten. Unter ihnen sind ein Fotograf sowie Dokumentarfilmer.
Kurz nachdem die italienische Küstenwache die Einfahrt nach Porto Empedocle an der Südküste Siziliens erlaubt hat, widerruft das Innenministerium die Einfahrtserlaubnis. Die Cap Anamur geht in internationalen Gewässern vor Anker, die Blockade beginnt. Das Schiff wird rund um die Uhr von italienischen Kriegsschiffen und Hubschraubern überwacht. Das Medienecho in Italien ist enorm, denn es war etwas Unerhörtes geschehen: Einem deutschen humanitären Schiff wurde von einem anderen EU-Mitgliedsland die Einfahrt verwehrt. Während des EU-Gipfels in Sheffield wenige Tage darauf verweisen der damalige italienische Innenminister Giuseppe Pisanu und sein deutscher Kollege Otto Schily auf die "Notwendigkeit, internationale Normen zu respektieren". Sie betonen, dass "das Asylansuchen im nächstliegenden Hafen" gestellt werden müsse, der ihrer Meinung nach auf Malta lag. Die Wahrheit ist, dass man keinen Präzedenzfall schaffen will.
Langsam nehmen auch deutsche Medien die Blockade zur Kenntnis. Der Organisationsgründer von Cap Anamur, Rupert Neudeck, wirft Bierdel mangelnde Kooperation mit den Behörden vor. Bierdel fragt provokant zurück, "ob wir es normal finden wollen, dass da draußen das große Sterben weitergeht". Schon bald eskaliert die Situation an Bord, einige der 37 Geretteten drohen, über Bord zu springen. Kapitän Schmidt bittet erneut um Einfahrt in den Hafen, mehr als drei Wochen nach der Rettung der Flüchtlinge fährt das Schiff endlich in Porto Empedocle ein. Rasch nach der Ankunft werden die geretteten Flüchtlinge in ein geschlossenes Flüchtlingslager gebracht. Alle außer einer werden binnen weniger Wochen abgeschoben. Hilfsorganisations-Leiter, Kapitän und erster Offizier werden wegen des Verdachts auf Schlepperei angeklagt.
Wegschauen statt helfen
Die Vorfälle rund um die Cap Anamur markieren eine Verhärtung italienischer und europäischer Flüchtlingspolitik. So wurden im Oktober 2004 erstmals Flüchtlinge von Lampedusa nach Tripolis abgeschoben. 2005 wird die EU-Grenzschutzagentur Frontex gegründet, um die Abwehrmaßnahmen der einzelnen Mitgliedsländer gegen Flüchtlinge zu koordinieren. Seither sind viele tausend Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. VieleSchiffsmannschaften schauten lieber weg anstatt zu retten -aus Angst vor rechtlicher Verfolgung. Die Cap Anamur war doch zum Präzedenzfall geworden.
2006 beginnt der Prozess gegen die beiden Frontleute von Cap Anamur: "Beihilfe zur illegalen Einwanderung" lautet die Anklage. Erst drei Jahre später werden Bierdel und Schmidt freigesprochen. Das zunächst beschlagnahmte Schiff wird verkauft, die Organisation distanziert sich von der Rettungsaktion. Einer der 37 Flüchtlinge von damals ertrinkt bei einem erneuten Fluchtversuch im Mittelmeer. Ein anderer Flüchtling, der damals gerettet wurde, kam nun zur Erinnerungsfeier nach Lübeck. In seiner Rede dankt der Ghaner Aminu Mukaila seinen Rettern -Kapitän Schmidt ist sichtlich bewegt. Für das katholische Entwicklungs-Hilfswerk "Misereor" berät Aminu Rückkehrer und warnt vor den Gefahren der Flucht. Auch ein Jugendlicher aus Eritrea lauscht seiner Rede. Er hat im Herbst das Unglück vor Lampedusa überlebt.
Inzwischen gründeten Bierdel und Schmidt die Hilfsorganisation "Borderline Europe". Trotz hanseatischem Wetter ist die Stimmung bei der Jubiläumsfeier vor der Lübecker Kirche gut. Schließlich waren es die Lübecker, die diese Feier unbedingt wollten und auf die Beine gestellt haben. Denn noch immer ist hier der Heimathafen der Cap Anamur.