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Digital In Arbeit

Das Arbeitsamt sagt viermal njet

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Maria Binder wohnt mit ihrer fünfköpfigen Familie in einem alten Haus mit zwei Wohneinheiten. Eigentlich wollten sie nach dem Tod der Schwiegereltern beide Wohnungen zusammenlegen. Weil sie aber ein gutes Herz haben, folgten die Binders einem Appell, Kroaten unterzubringen. Jetzt stehen sie da: von allen „öffentlichen Geistern" verlassen...

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Maria Binder wohnt mit ihrer fünfköpfigen Familie in einem alten Haus mit zwei Wohneinheiten. Eigentlich wollten sie nach dem Tod der Schwiegereltern beide Wohnungen zusammenlegen. Weil sie aber ein gutes Herz haben, folgten die Binders einem Appell, Kroaten unterzubringen. Jetzt stehen sie da: von allen „öffentlichen Geistern" verlassen...

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Im Dezember des Vorjahres hatte das Niederösterreichische Hilfswerk Unterkunft für Flüchtlinge gesucht. Damals war noch Krieg in Kroatien und die Menschen flohen in Scharen. Zügeweise kamen sie nach Österreich. Aber wohin mit ihnen? Privatquartiere wurden dringend benötigt.

Alles mußte rasch gehen. Der Zug sei schon im Anrollen. „Da haben wir überlegt. Es war kurz nach dem Tod beider Schwiegereltern. Ihre kleine Wohnung - sie schließt unmittelbar an unsere an - war frei. Die Kinder waren nach Erfahrungen mit unserem Rumänienkind im Jahr davor eher dagegen. Letztlich haben wir uns doch entschlossen, eine Familie aufzunehmen. Es war ausgemacht, daß sie drei Monate bleiben würde. Sie sollten in aller Ruhe Weihnachten erleben können. Wir dachten jedoch auch: Vielleicht dauert es etwas länger."

Frau B inder erwartet die Gäste beim Bus. Ein düsterer Dezembertag, Regen. Im Bus: leere, erschöpfte Gesichter. Niemand lächelt. Seit Wochen waren die Menschen unterwegs. Von einem Lager zum nächsten. Manche nur in Hausschuhen.

So auch ihr Gast: Vesna Kelova -sie ist 27. Sie hatte ihre Nottasche mit Dokumenten geschnappt, als der Ruf: „Die Panzer kommen!" durch ihren Heimatort hallte. Mit beiden Kindern rasch in den Wald. Jeder rennt um sein Leben. In der Nacht wird der Ort zerstört, ihr Haus besetzt. Sie flüchten mit nichts anderem als dem, was sie am Leib tragen...

Als die drei die Wohnung sehen, sind sie selig. Ein eigenes Refugium. Man schließt Freundschaft. In den ersten drei Monaten gibt es eine Unterstützung von 1.500 Schilling pro Kopf. Es klappt zwar nicht alles gleich. Alle Stellen sind etwas überfordert. Krankenscheine zu bekommen, ist ein riesiges Problem. Aber man kommt zurecht.

War es eine finanzielle Belastung? „Wir haben eine Grundausstattung an Lebensmittel bereitgestellt. Strom und

Heizung laufen, bei uns mit. Weil Vesna sehr sparsam ist, konnten sie sich mit dem Geld ernähren." Auch Kleider wurden besorgt. Viele Freunde helfen.

Ende März heißt: „Schickt die Kroaten heim!" Das Hilfswerk stellte jede Unterstützung ein. Aber wo sollten sie hin? Ihre Heimat war weiter umkämpft, ihre Felder waren vermint. „Übereinstimmend haben wir festgestellt: Sie jetzt weg zu schicken ist unmenschlich." Und die Kelovas bleiben. Schon damals wurden die Binders gewarnt: „Ihr werdet ganz schön ,überbleiben'."

Ab März gab es also kein Geld mehr, keine Versicherung. Erste Bemühung daher: Abschluß einer Versicherung. Ein Bekannter vermittelt einen Spezialtarif für die Dauer von sechs Monaten. Die Binders müssen dafür aufkommen.

Gott sei Dank ist Vesna arbeitsam und zuverlässig. Sie kann sich mit Aushilfstätigkeiten etwas Geld verdienen. Weil sie sehr sparsam leben -sehr viel Erdäpfeln, sehr viel Kraut -reicht der Verdienst für die Nahrung.

„Was aber deprimierend ist: Unsere Kroaten hängen in der Luft. Was soll aus ihnen werden? Als de facto-Flüchtlinge konnten sie nicht um politisches Asyl ansuchen. Ihr Visum wird alle drei Monate verlängert. Aber seit dem 29. Oktober ist ihnen auch das verweigert worden. Jetzt heißt es: Schluß basta. Ohne Arbeitsbewilligung keine Visumverlängerung."

Aber arbeiten läßt man die Kelovas nicht. Seit März ist Maria Binder auf Arbeitssuche, erstens wegen des Einkommens, aber auch wegen der Versicherung (auch die Sonderversicherung ist abgelaufen und die Kroaten sind jetzt unversichert).

Gefunden war eine Arbeit recht bald. Einreichung beim Arbeitsamt: Erste Ablehnung im März. Nochmalige Einreichung. Diesmal läßt sich das Arbeitsamt Tulln so lange Zeit, daß der Arbeitgeber kein Interesse mehr hat. Der erste Versuch war also gescheitert.

„Relativ rasch haben wir eine weitere Arbeitsmöglichkeit gefunden. Eine Geschäftsfrau brauchte dringend jemanden. Sie reicht sofort ein." Das Ergebnis: Wieder Ablehnung.

Also neuerlicher Versuch - und neuerliche Ablehnung! Die Begründung im Wortlaut: „Gemäß 4 Abs. 1 ist die Beschäftigungsbewilligung zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zuläßt und wichtige öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen. Demzufolge ist unter anderem sowohl ein Prüfung der Lage des Arbeitsmarktes zum Zeitpunkt der Entscheidung ... erforderlich, als auch die Bedacht-nahme auf die weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes. Insbesondere sind dabei bestehende Tendenzen und abzusehende Entwicklungen in bevölkerungspolitischer, struktureller und konjunktureller Hinsicht zu berücksichtigen." Und mit diesen Gummibestimmungen kann man jede Ablehnung begründen.

Der Unternehmerin wurde vorgeworfen, sie habe sich nicht rechtzeitig um inländische Arbeitskräfte umgeschaut und aus „subjektiven" Gründen eine ausländische Arbeitskraft, die noch nie im Inland beschäftigt war, bevorzugt. Das stimmt zwar nicht, denn tatsächlich hatte sie mehrmals beim Arbeitsamt telefonisch Bedarf angemeldet, aber eben nur telefonisch und wen kümmert das schoh?

Maria Binder findet das schizophren: „Sie kann nicht arbeiten, weil sie bisher nicht gearbeitet hat. Aber seit Märzhaben wir nur Ablehnungen bekommen." Und ähnliches erlebt Vesnas Mann, der vor einigen Monaten nachgekommen ist: Jedesmal ein interessierter Arbeitgeber, der am Inlandsmarkt keine entsprechenden Mitarbeiter findet und Interesse an einer Anstellung der Kroaten hätte -aber auf Ablehnung der B ehörde stößt.

Keiner weiß, wie es jetzt mit den Kelovas weitergehen soll. „Die volle Verantwortung können wir einfach nicht übernehmen und auf Dauer können wir sie auch nicht behalten. Aber ohne Arbeit kommen sie nicht auf die Beine. Soll man diese Menschen jetzt ins Nichts zurückschicken?" Frau Binder ist ratlos.

Dabei wollen sich die Kelovas nicht in Österreich niederlassen, sondern bei erster Gelegenheit wieder heim. Muß sie die Behörde wirklich unsinniger Weise hinausschmeißen? Und kann die öffentliche Hand nicht mehr Entgegenkommen zeigen, wenn einfache Bürger sich so großzügig zeigen, wie die Binders es getan haben? Oder will man dem Staatsbürger das Engagement abgewöhnen?

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