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Digital In Arbeit

Für eine Handvoll Schillin

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Sechs Uhr früh. Es ist eisig kalt und Feuchtigkeit kriecht unter den Kragen. In der Finsternis warten Frauen und Männer auf die ersten Lieferwägen. Wenn sie einsteigen dürfen, haben sie es geschafft. Zumindest einen Tag Arbeit. Ein bißchen Geld, um den Magen zu füllen und die Matratze für die Nacht bezahlen zu können. Wien, Herbststraße.

Jeden Tag stehen sie hier. Polen, die nach Österreich gekommen sind, um ihrer mißlichen Situation in der Heimat zu entfliehen. Jeder zehnte von ihnen bekommt hier in der Herbststraße einen Job. Zwischen sechs und acht Uhr sind es Firmen, die sich hier billige, weil illegale Arbeitskräfte besorgen. Von 50 Schilling abwärts bekommt ein Arbeitshungriger pro Stunde. Frauen noch weniger, als Kellnerin bekommen sie 2 00 Schilling für den 14-Stundentag.

Konrad Hof er kennt diese Bedingungen. Als „Rumäne" mischte er sich unter die Arbeitssuchenden. Er ist Soziologe und erstellt im Auftrag des Sozialministeriums und der Arbeiterkammer eine Studie zur Situation der illegalen Polen in Österreich. Seine Erkenntnisse basieren auf Selbsterlebtem und werden durch engen persönlichen Kontakt ergänzt.

Wenn es hell wird, ab acht Uhr, kommen die privaten Auftraggeber. Sie bezahlen gut, bis zu 90 Schilling die Stunde, und häufig gibt es Essen und Trinken zusätzlich. Ein guter Fliesenleger, Installateur, Elektriker oder Maurer kann auf diese Weise relativ gut leben, er wird oft von Haushalt zu Haushalt weiterempfohlen.

50.000 bis 60.000 Ausländer verdienen sich nach Schätzungen der Gemeinde Wien allein in der Bundeshauptstadt auf diese Weise ihr Geld. Nach einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstitutes sind es etwa 40.000. Der größte Teil verdingt sich als Hilfsarbeiter oder für Reinigungshilfsdienste. Bernhard Schwarz, Bereichsdirektor Sozialpolitik der Wiener Arbeiterkammer, beschreibt ihre Arbeitssituation so: „Brutale Ausbeutung frühkapitalistischer Natur."

Um eine Legalisierung der Schwarzarbeit herbeizuführen, wurde das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) dieses Jahr novelliert. Unter anderem wurde der Passus aufgenommen, daß Ausländer, die vor dem 1. April 1990 legal in Österreich anwesend waren, Anspruch auf eine Beschäftigungsgenehmigunghaben. 20.000 hatten Ende Oktober bereits von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Heute ist es für viele schwieriger als vor dem 1. April, legal in Österreich zu sein. Und teurer - für manchen Inländer jedoch ein gutes Geschäft. Einen Polen kostet die dreimonatige Aufenthaltsgenehmigung seit Einführung der Visa-pflicht im Herbst 5.500 Schilling. Sie werden in den Paß gelegt, worauf man den benötigten Stempel erhält, berichtet Hofer.

Die Möglichkeit, legal zu arbeiten, ist für viele nicht sehr groß. Manche Firmen sind nicht daran interessiert, Ausländer offiziell zu beschäftigen. Dies vor allem aus ökonomischen Gründen, minimale Löhne und eingesparte Lohnnebenkosten addieren sich zu einem nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteil. Diesen Schluß zieht zumindest die Wiener Arbeiter kammer aus Ergebnissen von Betriebsprüfungen, die sie zusammen mit den Krankenkassen und dem Finanzamt seit November verschärft durchführt. Bis zu 15 Personen wurden in den kontrollierten Betrieben unangemeldet beschäftigt. Das Argument der Unternehmer, dies geschehe, weil die Erlangung der Beschäftigungsbewilligung zu lange dauere, sei keines, behaupten-Vertreter der Arbeiterkammer. Besonders seit der Novellierung des AuslBG, weil das entsprechende Verfahren nunmehr höchstens einen Monat dauern dürfe. Andernfalls würde eine vorläufige Bewilligung erteilt.

Die „Aktion Scharf" gegen illegale Beschäftigung wurde ebenfalls durch die Novelle ermöglicht, indem sie der Arbeitsmarktverwaltung Parteistellung im Verfahren gegen Schwarzarbeit und die nötigen Kompetenzen in die Hand gab, um Kontrollen wirksam durchzuführen. Entsprechenden Hinweisen wird sofort nachgegangen, Kontrollen im Baustellenbereich werden außerdem in Zusammenarbeit mit der Polizei durchgeführt.

Die Konsequenzen für den Unternehmer sind relativ gering. Der Strafrahmen beträgt 5.000 Schilling für jeden widerrechtlich Beschäftigten, insgesamt kann eine Höchststrafe von 240.000 verhängt werden. Bei wiederholten Verstößen kann das Landesarbeitsamt einen Antrag auf Entzug der Gewerbeberechtigung stellen.

Mit der Novelle zum AuslBG wurden einige Schritte zur verstärkten Integration der Ausländer in den heimischen Arbeitsmarkt gesetzt. Sie ist notwendig, denn die traditionellen Abläufe werden durch den starken Strom über unsere Grenzen (54.462 Menschen waren es 1989 laut Angaben des Statistischen Zentralamtes) in Frage gestellt. Und die Polen und Rumänen sind nicht auf der Durchreise. Ihr Credo formuliert Hofer: „Nicht zum Stehen, Sitzen oder Schlafen sind sie nach Wien gekommen, sondern um zu arbeiten, womöglich rund um die Uhr."

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