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Und so fängt es an

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Monsieur Dupont wird plötzlich entlassen, ein erfolgreicher Verkaufschef der Firma X. Er ist anfangs mäßig bestürzt: „Einige unangenehme Wochen, sicherlich, aber mit diesen Verbindungen, Kenntnissen und Referenzen finde ich sofort eine entsprechende Position in unserer expansiven Wirtschaft. Nachlaufen werden mir die Unternehmer.“ Und er erzählt seinen Fall stellvertretend für tausend andere: „Ich suchte zuerst einen guten Freund auf: er hatte zwar keinen Platz frei, aber er empfahl mich einer bedeutenden Geschäftsverbindung: er wird dir mit großem Vergnügen eine gutdotierte Position anbieten. Dann warte ich mehrere Tage auf einen Anruf des allmächtigen Firmeninhabers. Ich lauerte stundenlang neben dem Telefon. Vielleicht ist er verreist. Dann wagte ich die Verbindung herzustellen. Der Generaldirektor sei in einer Konferenz, wir rufen zurück. Etwas später: er mußte dringend in die Kammer oder in das Ministerium. Jedesmal wurde eine andere Ausrede gefunden. Ich klapperte alle meine Verbindungen ab. Einige Herren hörten mich geduldig an, versprachen auf die Bewerbung zurückzukommen, aber ,zu gegebenen Zeiten'.

Des öfteren bewunderte ich die Sekretärinnen, die gelassen zu lügen verstehen, und ich stellte mir vor, wie sie lächelnd dem Firmeninhaber berichten, den habe ich wahrscheinlich für immer abgewimmelt. Di* Kosten für die Wohnung und die Familie laufen weiter. Das verzweifelte Studium der kleinen Annoncen beginnt, aber das Alter bildet ein eiserne Barriere, und dann kommt ein trauriges Abgleiten in eine Existenz der Unsicherheit, begleitet von unzähligen und unnötigen Demütigungen. Der Wagen wurde verkauft, wir verließen die Wohnung. Die wahre Lage sollte den Kindern verborgen bleiben, aber sie fragten unruhig, wann ich wieder ins Büro gehe. Die ersten Spannungen mit der Gattin entstanden, die mir vorwarf, ich sei unfähig, denn Arbeitsplätze gäbe es in Hülle und Fülle. Es ist eine fürchterliche Zeit, und ich fühle mich erniedrigt und ausgestoßen. Mit 42 Jahren und im besten Mannesalter bettle ich bei drittklassigen Vermittlungsbüros, die jedem Hilfsarbeiter sofort einen Platz verschaffen, aber für einen Mann, der mit Erfolg die Exporte nach dem Fernen Osten geleitet hat, ist keine Arbeitsmöglichkeit vorhanden. Zahlreiche Kollegen sind jeden Augenblick vom gleichen Schicksal bedroht.“

Derzeit arbeiten 800.000 Techniker und kommerzielle Kader in Frankreich. 2500.000 von ihnen sind in der Confederation Generale des Cadres (CGC) gewerkschaftlich organisiert. Die CGC wurde 1945 von Roger Millot, bekannt als ein unermüdlicher Vertreter der Interessen des Mittelstandes, und Albert Lecompte, der seit Jahren für eine praktische Einordnung der älteren Kader eintritt, gegründet und umfaßt Ingenieure und kommerzielles Führungspersonal. Die Gewerkschaft stellt sich in einer vertikalen Gliederung dar (Textil, Metall), in einer horizontalen, wie Handelsvertreter, und in einer regionalen! 80 Prozent der Kader wählen bei den verschiedenen Wahlen für die Betriebsräte und Krankenkassen die CGC. Diese Gewerkschaftszentrale hatte als eine der ersten Institutionen die menschlichen Tragödien der älteren Männer erkannt, die plötzlich zu Arbeitslosigkeit verurteilt sind.

Wie sehen die Verantwortlichen der Gewerkschaftszentrale das Problem? „Es ist kein französisches, sondern ein Weltproblem“, erklärt Vizepräsident Lecompte. Je höher die Posten sind, um so seltener werden sie am Arbeitsmarkt angeboten. In den USA ist eine große Beweglichkeit bei der Besetzung leitender Posten festzustellen. Europa zeigt sich stabiler. Ein Betrieb bei um gestattet es einem Außenstehenden selten, eine Spitzenposition einzunehmen, wenn er nicht seit Jahren dem Werk angehört hat. Aber die Entwicklung verlangt zusätzlich technische Kader. Wo eine Abteilung vor 20 Jahren mit 100 Arbeitern zweier Ingenieure bedurfte, fordert sie heute drei bis vier. Der Fortschritt ist so rasant, daß der Absolvent einer technischen Hochschule nach fünf Jahren den Anschluß an neue Erkenntnisse verloren hat, falls er keine ständige und zusätzliche Ausbildung genießt. Die Industrie verlangt vielmehr Menschen mit sehr differenzierten technischen Kenntnissen. Die permanente Ausbildung gehört daher zu den wichtigsten Erfordernissen der Gegenwart. Daher kommen den Kursen auf Korrespondenzweg und den abendlichen Studien eine ungeheure Bedeutung zu. Die Betriebe sollten ihren gehobenen Mitarbeitern die Zelt gewähren, diese „Investierungen des Geistes“ durchzuführen. Die französische wie europäische Industrie weigert sich, solche Notwendigkeiten als berechtigt anzusehen.

Nach zehn Jahren der Überlegung und zahlreicher Mißerfolge gelang m in den letzten Monaten, eine Organisation der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu schaffen, welche dtie alten Kader in das Berufsleben aurüokfülhren kann.

Auch der Staat nahm sich kürzlich dieser Frage an. Schließlich steht Frankreich in der Wahlzeit, und gute Worte wie edle Taten fördern die Entschlossenheit, die Regierungsparteien zu wählen. Minister Louis Joxe, mit dem Ressort der Verwaltungsreform betraut, wurde beauftragt, Wege ausfindig zu machen, um den älteren Kadern in der öffentlichen Verwaltung Plätze zu finden. Es zeigte sich sofort, daß die Eisenbahnen (S. N. C. F.) und der Kohlenbergbau unter einer Überfülle des Personals leiden und für diese Aktion ausscheiden. Die Gemeinden sollen einen Prozentsatz ihres Beamtenstabes den alten Kadern zur Verfügung stellen. Als besondere Schwierigkeit erwies sich der Wohnsitz der dafür in Frage kommenden Kandidaten. Die Hälfte von ihnen wohnt in Paris.

Der Plan Joxes entwickelte zahlreiche Vorschläge, um durch eine ständige Facherziehung die Eingliederung älterer Menschen in den Arbeitsprozeß zu erleichtern. Allerdings verlangt dieser Unterricht gewaltige zusätzliche Mittel. Die Regierung scheint entschlossen, die notwendigen Kredite bereitzustellen.

Die aufgezeigten Methoden sind einfach und versprechen, jenseits der natürlichen Schwere eilner Verwaltung, eine echte Entspannung auf dem Arbeitsrnarkt.

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