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Der Mann stapft in Gummistiefeln aus einem Folientunnel -erschöpft. Er ist Ungar und an die 40, in dem Gewächshaus zieht er Paprika. Auf die Frage, ob mit seinem Job alles in Ordnung sei, reagiert er verunsichert, überlegt, blickt um sich, wartet mit der Antwort, bis die Bäuerin hinter dem Folientunnel verschwunden ist. Wir befinden uns auf freiem Feld zwischen den Ortschaften Wallern, Pamhagen und Andau im burgenländischen Seewinkel. Seinen wahren Namen, sagt der Ungar, will er nicht nennen. Nennen wir ihn Attila: "Wenn die Chefin hört, dass ich über meine Situation rede, schmeißt sie mich raus. Andere haben diese Erfahrung schon gemacht."

"Bekommen Sie Ihre Überstunden bezahlt?" Attila schüttelt den Kopf und grinst, als wäre es eine absurde Frage. "Also nein, davon kann keine Rede sein." Er zögert zu beantworten, wieviel Lohn er erhält. Es sei besser als in Ungarn. Dort müsste er ohne Dach über dem Kopf auskommen. Trotz der "Elendsarbeit", wie er sie nennt, sei er hier schon zehn Jahre Erntehelfer. "Es sind fünf Euro, die ich am Tag kriege, und Kost und Logis." - Die genannte Summe entspricht weniger als einem Zehntel des Mindesttarifs laut Kollektivvertrag (KV).

"Sicher ein Extremfall, der mich aber nicht wundert", meint Sónia Melo, die Landarbeiter unterstützt. "Wenn ich höre, dass Erntehelfer für die Gummiringe zahlen müssen, mit denen sie Radieschen und Jungzwiebeln zusammenbinden, dass sie für Kost und Logis Fantasiepreise ablegen, dass Frauen gekündigt wird, wenn sie schwanger sind, dass viele nicht in Krankenstand gehen dürfen, sondern mit Fieber weiterarbeiten, und wenn ich von Bauern höre, die gegen Erntehelfer sogar physisch gewalttätig geworden sind, bin ich nicht verblüfft." Melo hat schon mit vielen Erntehelfern gesprochen.

Aufklärung auf dem Feld

In Tirol ist sie Mitarbeiterin von "Sezonieri", der "Kampagne für die Rechte von Erntehelfer_innen in Österreich", die in Kooperation mit der Gewerkschaft Pro-Ge sogenannte Feldaktionen durchführt, bei denen sie -von den Bauern und ihren Vorarbeitern misstrauisch beäugt -Info-Broschüren an die Leute bringt und versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Dass Attila im Burgenland 7,38 Euro pro Stunde zu bekommen hätte, wird er an dem Tag noch erfahren -und zwar aus einem Folder in ungarischer Sprache, den ihm drei aus Wien angereiste "Sezonieri"-AktivistInnen in die Hand drücken.

Migrantische Arbeitnehmer wie Attila sind stärker von Ausbeutung betroffen als Einheimische, weil sie schlechter integriert sind und über Mindeststandards seltener Bescheid wissen. In Eisenstadt ist es Lilla Hajdu, die bei der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu ihren Rechten verhilft. Freiwillige informieren Arbeitnehmer auf den Feldern über ihre Rechte. Im Büro bei Lilla Hajdu sind es diesmal Mihály Kovács und sein Sohn Sándor, die Unterstützung suchen. Sie waren in der Landwirtschaft beschäftigt. In einem Nylonsack haben sie ihre Unterlagen mitgebracht. Mihály und Sándor brachen früher immer um sechs Uhr früh auf, um zur Arbeit nach Österreich zu pendeln. "Für netto sechs Euro die Stunde haben wir 12 Stunden am Tag gearbeitet. Auch an Sonn-und Feiertagen, sogar am 24. Dezember und zu Silvester."

Überstundenzuschläge und Feiertagsgeld enthielt ihnen ihr Arbeitgeber vor. "Wenn es Arbeit gab, zahlte er die sechs Euro - wenn nicht, bekamen wir nichts." In der Firma wurden sie für alle möglichen Tätigkeiten herangezogen -zum Putzen, Unkraut jäten, Setzlinge ausbringen und Holz schlägern. Auf Lilla Hajdus Intervention zahlte die Firma die Außenstände nach.

Ein Skandal ereignete sich 2013 im Bezirk Güssing. Vermittler lockten neun rumänische und ungarische ArbeiterInnen mit der Verdienstzusage von 1500 Euro netto für täglich acht bis zehn Stunden, wie es hieß. Als die LandarbeiterInnen beim "Gemüsebau-Betrieb" in Kukmirn im Burgenland eintrafen, um Zwiebeln aus der Erde zu holen, wurden sie mit der Wirklichkeit konfrontiert. Genächtigt wurde im Blechcontainer, in dem es im Hochsommer über 40 Grad erreicht haben soll. "Wir schliefen auf 16 Quadratmetern zu fünft, hatten nur am Freitagnachmittag frei, um das Nötigste einzukaufen", schildert einer, der für 336 Arbeitsstunden 430 Euro erhielt. Auf einen Kontrolleur der Land-und Forstwirtschaftsinspektion wurde der Hund gehetzt.

Es sind fünf Euro, die Attila pro Tag erhält, plus Kost und Logis. - Die genannte Summe entspricht weniger als einem Zehntel des Mindesttarifs laut Kollektivvertrag.

Freispruch im Zweifel

Der Fall kam unter Anklage von Menschenhandel vor Gericht. "Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung war der Verdacht solid", erklärt Johann Fuchs, Leiter der Staatsanwaltschaft Eisenstadt. "Ich weiß nicht, was in der Zwischenzeit mit den ausstehenden Entgeltansprüchen der Erntehelfer passiert ist. Möglich, dass sie einiges davon durchsetzen konnten und das Interesse am Strafverfahren verloren ging." Die Geschädigten schwächten ihre Aussagen im Prozess ab, die Beschuldigten, darunter ein Tiroler Bundesheerangehöriger, wurden im Zweifel freigesprochen.

Im selben Jahr meldeten sich wieder Erntehelfer beim ÖGB. Rumänische Männer und Frauen hatten für eine "P&K Handels-GmbH" Suppengemüse eingebracht und bis auf lächerliche Beträge keinen Lohn bekommen. Experten von AK und ÖGB begannen zu recherchieren: Geschäftsführer der "P&K Handels-GmbH" war ausgerechnet jener Bundesheerangehörige, der 2013 die Arbeiter in Kukmirn mit einem Lohn weit unter dem KV abspeisen wollte. Ende 2015 reichte die AK für 14 Landarbeiter Klage bei Gericht ein. Im Jänner 2016 meldeten sich weitere Beschäftigte, die ihren Lohn nicht erhalten hatten. Die "P&K Handels-GmbH" ging darauf in Insolvenz. Erst aus dem Insolvenz-Entgelt-Fond konnten die Arbeitnehmervertreter insgesamt 170.000 Euro netto für die ehemaligen Beschäftigten erstreiten.

Schlechter ist die Ausgangslage für Flüchtlinge, die illegal arbeiten. Viele wollen eine Ausbeutung am Arbeitsplatz nicht melden - aus Angst vor dem Risiko der erzwungenen Ausreise. "Undok", die "Gewerkschaftliche Anlaufstelle für undokumentiert Arbeitende", berät und begleitet diese Arbeitnehmer. "Es ist so, dass es 28 verschiedene Aufenthaltstitel gibt, von denen 23 den Arbeitsmarktzugang beschränken oder verwehren. Die Folge ist, dass Menschen undokumentiert oder scheinselbstständig arbeiten müssen. Es kommt zu Lohnbetrug, Nichteinhaltung des Arbeitnehmerschutzes bis hin zu sexuellen Übergriffen", resümiert Undok-Mitarbeiterin Sandra Stern. Die Fristen, in denen Arbeitnehmerrechte geltend gemacht werden können, sind oftmals sehr kurz. Besonders problematisch ist, dass Menschen abgeschoben werden können, obwohl sie gerade ein arbeits-oder sozialrechtliches Verfahren anstreben. Das unbefristete Arbeitsverbot für Asylsuchende mache Menschen in undokumentierten Dienstverhältnissen zu Rechtlosen. Ein legaler Zugang zum Arbeitsmarkt würde es ihnen ermöglichen, ihre Ansprüche geltend zu machen.

Am Bewusstsein bauen

Zurück zur Feldaktion der drei Wiener Aktivisten im Seewinkel: Nach der Bäuerin mit dem ungarischen Pflücker Attila fahren die Leute von "Sezonieri" zu einem benachbarten Hof. Beim Eintreffen kommt ihnen ein hektischer Bauer entgegen und verneint gestikulierend, und schickt sie fort. Mit den Arbeiterinnen zu reden verhindert er: "Alles Familienangehörige!"

550 Kilometer weiter westlich kam es vor wenigen Wochen zum Arbeitskampf. Bei einem Bauern in Thaur bei Innsbruck hatten jahrelang fünf Männer aus Bosnien und Serbien gearbeitet. Am Anfang war der Landwirt sehr zufrieden. Mit der Zeit fanden die Beschäftigten aus Broschüren von "Sezonieri" heraus, was ihre Rechte sind und was man an Geld verlangen kann. Darauf angesprochen, war der Chef ab dem Zeitpunkt nicht mehr zufrieden. Es kam zum Konflikt, als er im Streit einem der Beschäftigten plötzlich gar nichts mehr zahlen wollte. Alle fünf beschwerten sich darauf bei der Gewerkschaft.

Aufgefordert, die Außenstände zu begleichen, vertrat der Chef den Standpunkt, er habe den Arbeitern alles abgegolten und forderte sie auf, die von ihm bereitgestellten Quartiere zu verlassen. "Aus den Arbeitsaufzeichnungen der Erntehelfer", so der zuständige Sekretär der Gewerkschaft Pro-Ge Tirol, Bernhard Höfler, "ist klar ersichtlich, dass es sich hier seit Jahren um Lohn-und Sozialdumping handelt, dem sie ausgesetzt waren". Höfler bereitete schon eine Klage vor, als der Bauer unter dem Druck der Beweislast einem außergerichtlichen Vergleich schließlich doch zustimmte.

Insgesamt ist Sónia Melo von "Sezonieri" mit der Bewusstseinsbildung zufrieden: "Wir sind dabei, auch die heimische Bevölkerung allmählich zu sensibilisieren." Ausbaufähig sei die Wahrnehmung der Konsumenten für die Angelegenheiten migrantischen Arbeiter dennoch: "Merkmale wie ,biologisch' und ,regional' sind verankert. Man interessiert sich dafür, ob der Kaffee und die Bananen aus Übersee 'fair trade' gehandelt werden. Aber die Neugier dafür, ob auch die Radieschen fair produziert werden, die praktisch vor unserer Haustür wachsen, entwickelt sich erst."

Für mehr Aufklärung

Erntearbeiter in Tirol werden von der NGO "Sezonieri" über ihre Rechte informiert, im Bild links Sónia Melo von "Sezonieri".

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