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Landarbeiterschaft und uneheliche Geburten

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Den Streik, den kürzlich einige hundert Landarbeiter durch siebzehn Tage hindurch auf zwanzig Gütern der Steiermark durchführten, hat eine Flut von öffentlichen Erörterungen hervorgerufen. Das einzige Gute an dem sozial keineswegs erfreulichen Vorfall war, daß der Blick der Öffentlichkeit auf jene Gruppe Arbeitender fallen mußte, deren Löhne von verantwortlichen Stellen selbst unwürdig geheißen wurden. Die Steiermark stand mit ihren Verhältnissen hinter denen anderer Bundesländer, wie etwa Niederösterreich, zurück. Wenn nun gerade hier in Niederösterreich Sozialerhebungen im Rahmen der Vormundfürsorgetätigkeit Verhältnisse an den Tag bringen, die in hohem Maße zu denken, ja zur Sorge Anlaß geben, ist das steiermärkische Problem noch von ganz anderem Gewicht.

Wir haben da Ziffern der Dienststelle der Landesberufsvormundschaft Waid-hofen/Thaya vor uns. Ein Gebiet vorwiegend landwirtschaftlichen Charakters, mit Mittel-, Klein- und Kleinsthöfen. Diese Sachlage hat dazu geführt, daß viele junge Männer in die Webewarenerzeugung abwandern.

Die genannten Erhebungen ergaben nun, daß in den Nachkriegsjahren 'bei tausend untersuchten Fällen 40% aller außerehelichen Mütter und 23,5% aller außerehelichen Väter noch Minderjährige waren. Die Tabelle der Berufe sieht so aus:

Durch die Soziale Frauenschule der Caritas der Erzdiözese Win.

Auf den ersten Blick fallen die hohen Zahlen der Landarbeiterschaft auf. Früh genug wird der junge Mensch auf dem Lande auf die sinnfälligste Art mit Zeugung und Geburt bekannt. Dazu kommt, daß die harte Arbeit zur Versuchung führt, sie durch die Arten moderner Unterhaltung zu kompensieren. Das Wochenende ist dem Gasthausbesuch, dem Tanz, dem Kino gewidmet. Der spärliche Lohn — von diesem wird später noch die Rede sein — fließt so des öfteren lebensunnotwendigen Gütern, auf der einen Seite Alkohol und Zigaretten, auf der anderen — durch das Beispiel des Films und des gelegentlichen Klein- und Großstadtbesuch ermuntert — dem Putz zu. Die Verbreitung etwa von Landbüchereien ist beklagenswert gering. Die Mehrzahl der Arbeiter findet nur selten wertvolle und vor allem preiswerte Zeitschriften. Das Programm der oft wanderbühnenartig von Dorf zu Dorf ziehenden Kinos nimmt auf den Lebenskreis des Landmenschen keinen Bezug. Selbst jenen, die noch willig wären, eine Familie zu gründen, stellen sich unübersehbare Hindemisse entgegen.

Hier muß von den Lohnverhältnissen geredet werden. Von der Seite des Unternehmers gesehen, ist er der Leistung angemessen — trägt er ja zudem noch die sozialen Lasten. Vom Landarbeiter aus gesehen, reicht dieser Lohn, der von den oben erwähnten besonders bedingten überausgaben geschmälert wird, keinesfalls dazu aus, um eine Wirtschaft zu ersparen, ja selbst ein Pachtzins dafür bleibt unerschwinglich. Wien, Niederösterreich und das Burgenland haben, was diese Lohnsätze anlangt, bereits eine Zulage auf die steiermärkischen Lohnsätze bewilligt. Der bestbezahlte landwirtschaftliche Arbeiter erhielt in der Steiermark monatlich 400 Schilling, dazu für je ein Kind 22 Schilling — aber nur bis zu drei Kindern. Das macht, auf die niederösterreichischen Verhältnisse bezogen, 510 Schilling aus, aber wohlgemerkt, bei den Spitzenverdienern. Ein Obermelker, der noch zwei Gehilfen unter sich hat, wird mit 34 Schilling auskommen müssen; ein Pferdekutscher erhält nicht viel mehr als 400, ein Feld- oder Gartenarbeiter noch weniger; die Mehrzahl der Frauen muß mit rund 370 Schilling das Auslangen finden. Wohnung und Beleuchtung sind frei. Von der Beschaffenheit der meisten landwirtschaftlichen Arbeiterwohnungen wäre viel zu schreiben; nicht zuletzt trägt auch sie einen Guteil der Schuld an der relativ hohen Ziffer unehelicherGeburten.

Die Naturalien schließlich, die man so oft ins Treffen führt, werden zum Selbstkostenpreis vom Lohn abgezogen. So bleibt, selbst wenn man keine unnötigen Ausgaben rechnet, wöchentlich ein Betrag von 70 Schilling übrig, für den man eine minderwertige Hose kaufen kann. Zusammengefaßt ergibt das die halbe Höhe des Einkommens eines Industriearbeiters. Man darf sich dann über die Landflucht nicht wundern.

Die Fürsorgearbeit in einem so kargen Gebiete, wie dem niederösterreichischen Granitplateau, steht demnach vor schweren Aufgaben. Es wäre zu weitgehend, die materiellen Zustände zu überschätzen; man muß auch die Denkweise der Bauern berücksichtigen, die erst dann den Hof abgeben, wenn sie im vorgerückten Alter stehen; der Sohn hat dann meist eine Reihe von folgereichen Erlebnissen hinter s'ch. Das Lohnproblem ist von hoher Bedeutung; der Bau von Landarbeiterwohnungen nicht minder; die Kultivierung weniger fruchtbarer Gebiete und die Ertragssteigerung durch rationelle Bearbeitung, wozu eine angemessene Motorisierung gehört, wollen auch nicht übersehen werden. Wenn aber von 1000 Fürsorgefällen 235 männliche und 398 weibliche Minderjährige sind, handelt es sich auch um ein menschliches, sittliches und kulturelles Problem. Dieses zu lösen ist Sache der Gesetzgebung und Erzieher.

Auf diese hart arbeitenden Menschen — und im Waldviertel lebt ein genügsamer und fleißiger Schlag — muß auch von der Seite der Bildung her eingewirkt werden. Landwirtschaftliche Schulen sind mit Landesunterstützung zu vermehren; die natürlichen Bodenschätze zu erforschen; begabte Landarbeiter und Arbeiterinnen in die städtischen Laboratorien auf Freiplätze zu schicken. Landbüchereien und kulturelle Dorfgemeinschaften sind auszubauen; Volkstanzgruppen und Laienspieler heranzubilden; die dort zur Aufführung gelangenden Filmstreifen sorgfältig auszuwählen; gute Zeitschriften, Broschüren und Kalender auszuschicken.

Die Ziffern reden ihre Sprache. Nun haben jene das Wort, die hinter den Ziffern die Menschen sehen.

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