"Beschäftigung ja - aber mit Würde!

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Besonders in den Entwicklungsländern sind die Frauen ungerechten und schlechten Arbeitsbedingungen ausgeliefert. Die weltweite Kampagne "Clean Clothes" versucht, faire Produktionsbedingungen durchzusetzen.

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Besonders in den Entwicklungsländern sind die Frauen ungerechten und schlechten Arbeitsbedingungen ausgeliefert. Die weltweite Kampagne "Clean Clothes" versucht, faire Produktionsbedingungen durchzusetzen.

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Rund eine halbe Stunde Auto-fahrt vom Stadtzentrum der nicaraguanischen Hauptstadt Managua entfernt liegt die Freihandelszone Las Mercedes. Das Gelände ist eingezäunt und wie alles Privateigentum in Zentralamerika mit Stacheldraht und Wächtern geschützt. Davor stehen ausrangierte gelbe Schulbusse aus den USA, die den Nicaraguanern heute als öffentliche Verkehrsmittel dienen. Frauen verkaufen auf kleinen Ständen Obst, Getränke und Tortillas.

Der Schranken öffnet sich und läßt uns in das Zoll- und Steuerparadies passieren. Um zu fotografieren oder Tonaufnahmen zu machen, braucht man eine Genehmigung. Auf dem riesigen Gelände betreiben heute 17 Firmen aus den USA, Taiwan, Südkorea und Italien Textil- und Schuhfabriken.

Lokalaugenschein beim italienischen Schuhhersteller Ecco in Las Mercedes. In der Fabrikshalle ist es heiß und drückend schwül, der Lärm ist so groß, daß man sich kaum verständigen kann. Hier produzieren 200 Arbeiterinnen und Arbeiter. Gearbeitet wird von 7 Uhr früh bis halb sechs Uhr abends, 48 Stunden pro Woche, das entspricht der nicaraguanischen Normalarbeitszeit. Der Lohn, so erklärt der Produktionsleiter, der uns durch die Halle führt, hänge von der Ausbildung ab: Neulinge erhielten umgerechnet rund 1.000 Schilling, langjährige Mitarbeiter könnten bis zu 1.600 Schilling pro Monat verdienen. Für Überstunden gebe es 100 Prozent Zuschlag.

Giftige Dämpfe Doch schon wenige Schritte weiter widerspricht eine junge Frau der genannten Summe. Ihre Arbeit besteht darin, im Stehen die fertigen Schuhe mit einer scharf riechenden Flüssigkeit zu waschen. Sie verdient umgerechnet knapp 880 Schilling pro Monat. Der einzige Grund, weshalb sie hier arbeite, sei das Geld, obwohl auch das zum Leben kaum reiche. Zu schaffen macht ihr die Hitze in der Halle, denn es gibt keine Ventilatoren, von einer Klimaanlage ganz zu schweigen. "Außerdem atmen wir ständig die Dämpfe von den Flüssigkeiten und Chemikalien ein. Wir bekommen Kopfschmerzen und es wird uns schlecht!", klagt sie. Dem Produktionschef ist zumindest das Hitzeproblem durchaus bewußt. Mit Bedauern stellt er jedoch fest, daß die Mittel für eine Klimaanlage leider nicht reichten und verweist auf die große Konkurrenz auf dem Schuhmarkt.

In den sogenannten Maquilas, den Fertigungsbetrieben in den Freihandelszonen des Südens, nähen zumeist Frauen im Akkord Kleidungsstücke fertig. Die Kleider kommen fertig zugeschnitten ins Land - zollfrei. Und zollfrei wird die fertige Ware wieder ins europäische oder amerikanische Herkunftsland exportiert. Zollfrei sind auch die Maschinen und Ersatzteile. Die Unternehmer genießen zudem Steuervorteile, vor allem aber profitieren sie von Löhnen und arbeitsrechtlichen Standards, die weit unter dem Niveau der Industrieländer liegen.

In Österreich wird zum Beispiel um rund zehn Stunden pro Woche weniger gearbeitet als in Nicaragua, das Lohnniveau liegt bei einem Vielfachen.

Gewerkschaften sind an den ausgelagerten Werkbänken von Managua bis Bangladesh oft verboten. Versuche der Arbeiter- und Arbeiterinnen, sich zu organisieren, endet oft mit dem Verlust des Arbeitsplatzes. Immer wieder werden Menschen- und Arbeitsrechte verletzt. In El Salvador gebe es schwarze Listen, die beim Arbeitsministerium aufliegen, erzählt Maria Marina Gonzalez, die nach langjähriger Tätigkeit in verschiedenen Maquilas heute für die Gewerkschaft Comutras arbeitet. In den Maquilas habe sie immer wieder vergeblich versucht, Kolleginnen zu organisieren. "Die Frauen haben Angst", sagt sie. "Denn wenn sie einmal wegen gewerkschaftlicher Organisation gekündigt worden sind, finden sie nirgends mehr eine Anstellung."

230 Schilling/Woche Für die Regierungen hier in Zentralamerika ist die Ansiedelung ausländischer Unternehmen in den Freihandelszonen ein willkommener Beitrag zur Lösung des enormen Arbeitslosenproblems. Doch die Arbeitsplätze, die geschaffen werden, schaffen lediglich eine Klasse von "working poor". Denn die geringen Löhne decken meist nicht einmal die Lebenshaltungskosten, wie eine nicaraguanische Textilarbeiterin aus der Freihandelszone Las Mercedes erzählt. Sie verdient rund 230 Schilling pro Woche, das reicht, um sie und ihre Familie drei Tage durchzufüttern: "Ich bin eine alleinstehende Mutter und habe fünf Kinder. Glauben Sie, daß ich die mit 200 Cordoba durchfüttern kann? Damit kann ich gerade den Reis, die Bohnen, das Öl und den Zucker kaufen - dann ist der Wochenlohn weg. Für mehr reicht es nicht."

Zu den Dumpinglöhnen, zu denen die Frauen arbeiten müssen, komme oft noch eine menschenverachtende Behandlung, weiß die Salvadorianerin Maria Solis Duarte aus eigener Erfahrung: "Die Frauen werden von den Vorarbeitern angeschrien oder sogar geschlagen!" Maria arbeitet in einer amerikanischen Maquila, die Hosen und Shorts für das Label "Royal Park" produziert. Während die Manager in ihren Büros Klimaanlage und Trinkwasser hätten, gebe es für die Arbeiterinnen nur verschmutztes Wasser, erzählt sie. Einmal seien Würmer im Wasser gewesen. Das Gesundheitsministerium wurde eingeschaltet. "Daraufhin ließ der Manager Filter einbauen und sagte zu uns: so, jetzt könnt ihr das Wasser trinken, die Würmer sind gemahlen!"

Um auf Bedingungen wie diese aufmerksam zu machen, hat sich 1990 in Amsterdam die Bewegung Clean Clothes formiert. Mittlerweile beteiligen sich NGOs aus zehn europäischen Ländern, sowie aus den USA, Kanada, Australien und sogar Südkorea an der Kampagne. Durch den Druck der Konsumenten und Konsumentinnen sollen die transnationalen Unternehmen dazu gebracht werden, auch in den Ländern des Südens unter fairen Bedingungen produzieren zu lassen und die sozialen und arbeitsrechtlichen Bedingungen zu verbessern. Ein Boykott wird abgelehnt. Das Motto lautet vielmehr: Beschäftigung ja - aber mit Würde!

Postkarten an Firmen Mehr als eine Million Postkarten wurden in Europa bereits an Firmen und Regierungen verschickt. In Spanien schrieben 50.000 Menschen an Fußballstars und baten sie, die Herstellerfirmen von Sportbekleidung, Schuhen und Fußbällen auf die schlechten Arbeitsbedingungen in den ausgelagerten Produktionsstätten aufmerksam zu machen.

In Österreich gibt es die Kampagne seit Herbst 1998. Seither wurden über 100.000 Postkarten an Adidas, Nike und an Wirtschaftsminister Farnleitner geschickt, der sich positiv zur Aktion geäußert hat. Zu den Trägerorganisationen der Kampagne in Österreich gehören neben Frauensolidarität und Südwind vor allem kirchliche Organisationen wie die Diözesankommissionen für Weltkirche und Entwicklung in Graz und Salzburg, Missio Austria, das Referat der Erzdiözese Wien für Mission und Entwicklung, die Romero Gruppe Salzburg sowie die Referate Weltkirche und Entwicklungsförderung in Innsbruck und Linz.

Erste Erfolge der Kampagne gibt es bereits. So haben Unternehmen der Textil- und Sportartikelbranche, wie zum Beispiel Nike oder Adidas, erste Schritte gesetzt und Verhaltenskodices beschlossen - eine zentrale Forderung von Clean Clothes. Grundlage des Arbeitsverhaltenskodices der Kampagne sind die sozialen Mindeststandards der internationalen Arbeitsorganisation ILO. Nun geht es darum, eine unabhängige Kontrollinstanz zu installieren.

Als positiver Schritt in die richtige Richtung wertet die Kampagne auch eine Resolution des Europäischen Parlaments. Anfang des Jahres haben die EU-Parlamentarier Standards für europäische Unternehmen, die in Ländern des Südens tätig sind, beschlossen. So soll ein Soziallabel eingeführt, ein einheitlicher, europäischer Sozialstandard auf Grundlage der ILO-Konventionen entwickelt und ein unabhängiger Prüfungsmechanismus eingerichtet werden.

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