Kleine Hände, große Profite

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Wer in der Dritten Welt Kinder Kleider nähen oder Korbmöbel flechten läßt, wird hart kritisiert. So wie kürzlich wieder die Firmen IKEA und Hennes & Mauritz.

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Wer in der Dritten Welt Kinder Kleider nähen oder Korbmöbel flechten läßt, wird hart kritisiert. So wie kürzlich wieder die Firmen IKEA und Hennes & Mauritz.

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Woran denken österreichische Kinder beim Wort "Arbeit"? An eine kleine Aufbesserung des Taschengeldes und elterliches Lob? Ganz sicherlich stellen sie sich dabei nicht vor, mit ihren kleinen Fingern schwere Hämmer oder Buschmesser zu umklammern, um Ziegel zu klopfen oder Zuckerrohr zu schneiden, in einer stickigen Fabrik im Akkord Stofftiere zu nähen, stundenlang in verdreckten Straßen Schuhe zu putzen oder in engen Stollen Kohle zu hacken. Das aber ist der Alltag von Millionen Kindern, vorwiegend in Ländern der Dritten Welt.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schätzt, daß es rund 250 Millionen zwischen fünf und 14 Jahren sind, die zur Arbeit in privaten Haushalten, Fabriken, auf Feldern und Straßen oder in Minen gezwungen werden - bis hin zu sexuellen Diensten.

Zunehmend werden Kinder auch für die Exportwirtschaft wichtig. Rund 60 Prozent der Weltbekleidung beispielsweise werden bereits in Entwicklungsländern hergestellt, die Hälfte davon in Asien. Neben ungeschützten Arbeitsverhältnissen sind es auch die Kinderhände, die diese Produkte konkurrenzlos billig machen. Das nutzen internationale Unternehmen, indem sie die billigsten Zulieferfirmen unter Vertrag nehmen.

Diese Geschäftspraxis ist aber immer häufiger Kritik ausgesetzt. Man nimmt es in der Öffentlichkeit nicht mehr hin, daß sich die Manager um die Lebensbedingungen der Minderjährigen wenig bis gar nicht scheren. So wurde kürzlich im ORF über IKEA - nicht zum ersten Mal - berichtet. Das schwedische Möbelhaus wird beschuldigt, seine Korbmöbel auf den Philippinen und in Vietnam von Kindern flechten zu lassen. Tage später sah sich auch das Kleiderhaus Hennes & Mauritz dem Vorwurf ausgesetzt, die Produktionsbedingungen bei seinen Vertragspartnern einfach zu ignorieren. Auch die österreichischen Sternsinger wandten sich dieser Tage gegen diese Form von Ausbeutung, ebenso die Österreichische Gewerkschaftsjugend auf dem Wiener Christkindlmarkt.

Eine Reihe von Unternehmen sieht sich bereits gezwungen, ihr Ausbeuter-Image zu korrigieren, darunter bekannte Namen wie der Otto-Versand, Levi's, Reebok ... In Deutschland hat der drittgrößte Textilhersteller, C & A, laut eigenen Angaben die Zusammenarbeit mit rund 50 Zulieferfirmen aufgekündigt.

Am Problem selbst ändert das aber gar nichts. Im Gegenteil. Schon die Ankündigung von Boykotten führt zur Entlassung der Minderjährigen. In der Folge schleppen diese dann auf Baustellen eben Steine und ähnliches, das Überleben der meisten Familen hängt davon ab, daß jeder etwas beiträgt.

Wer ständig am Rande der physischen Existenz lebt, denkt wohl anders über Kinderarbeit. Und wir? Für die Gutwilligen in den reichen Industrienationen sind diese Tatsachen ein moralisches Dilemma: Was nützen Boykotte, wenn die Auswirkungen die Falschen treffen? Wenn ein Großteil der Familien trotzdem nicht herauskommt aus dem Teufelskreis von Armut, Bildungsmisere und Diskriminierung? Die Lebenswege gnadenlos vorgezeichnet bleiben?

Es ist wichtig - und darüber sind sich inzwischen alle maßgeblichen Organisationen einig -, "Kinderarbeit" nicht einfach nur pauschal zu verurteilen, sondern für Schutzbestimmungen und eine geregelte Arbeit, gekoppelt an die Möglichkeit der Schulbildung für die Kinder zu kämpfen.

UNICEF verwirklicht seit geraumer Zeit entsprechende Ideen: In Kooperation mit Unternehmen und willigen Regierungen wird versucht, Arbeit, Freizeit und Schulbesuch für die Kinder zu koordinieren.

Auch die österreichischen Sternsinger haben die Unternehmen aufgerufen, hier mitzuhelfen, statt einfach nur Verträge zu kündigen und damit ihr Image (und das Gewissen der Konsumenten) reinzuwaschen.

Vielleicht wird der Tag kommen, an dem es auch in Ländern der Dritten Welt zur herrschenden Geisteshaltung gehört, Kindern ein arbeitsfreies Heranwachsen samt Schulbildung zu ermöglichen. Doch bis es soweit ist, muß das Thema auf der Tagesordnung bleiben. Und auch die Unternehmen müssen ihren Teil dazu beitragen.

Verbote & Hilfe Offiziell ist Kinderarbeit in fast allen Ländern geächtet. Die meisten haben die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet, die zumindest "schädigende Kinderarbeit" verbietet. Eine Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verbietet ebenfalls jegliche Arbeit von schulpflichtigen Kindern. Die meisten Entwicklungspolitiker beschränken sich heute darauf, zunächst die schlimmsten Formen der Kinderarbeit, mit gesundheitsschädigenden und ausbeuterischen Arbeitsplätzen, zu bekämpfen.

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