Nichts unter den Teppich kehren

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Dumpingpreise im Teppichhandel machen faire Löhne für die Knüpfer unmöglich. Die Stiftung Step will genau diese aber durchsetzen.

Zuerst wollten viele Frauen nicht lesen lernen. Nur zögerlich kamen sie zum Unterricht, blieben bald wieder weg. "Wir sind zum arbeiten hier, nicht zum studieren", sagten die nepalesischen Teppichknüpferinnen, wenn Sherab Dolma Rana sie zum Unterricht überreden wollte.

Die gebürtige Tibeterin war als Sechsjährige auf der Flucht in Nepal gelandet, hatte selbst als Knüpferin gearbeitet. Sie weiß also, wovon sie redet, wenn sie von den schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterinnen erzählt. Heute arbeitet sie in Nepal als Koordinatorin der Schweizer Stiftung Step, die es sich zum Ziel gesetzt hat, faire Arbeitsbedingungen in der Teppichproduktion im Iran, in Pakistan, Indien, Nepal und Marokko zu etablieren. Die Stiftung feiert heuer ihr zehnjähriges Bestehen, inzwischen existiert sie auch in Österreich und Frankreich. 44 Verkaufsstellen gibt es in ganz Österreich, darunter so große wie Möbel Leiner oder die Teppichkette Adil Besim, die ausschließlich gerecht produzierte Teppiche vertreiben. Nach eigenen Angaben machen hierzuland die zertifizierten Teppiche bereits 30 Prozent aller verkauften handgemachten Teppiche aus, in der Schweiz sind es sogar 40 Prozent. Den Preisverfall der vergangenen Jahre können sie nicht mitmachen. "Wenn hier die Preise für die Teppiche ins Bodenlose fallen, verlieren nicht die Händler oder Fabriksbetreiber, sondern die Knüpfer, weil sie weniger Lohn bekommen", erklärt Günter Lenhart, Step-Chef in Österreich.

Strenge Kriterien

Mit dem Label Step können sich Händler und Importeure zertifizieren lassen. Dazu müssen sie bereit sein, ausschließlich von den Produzenten zu kaufen, die den Step-Regeln folgen. Halbjährlich nennen die Händler der Stiftung ihre Produzenten, mit denen dann vor Ort Kontakt aufgenommen wird. Die Fabriksbetreiber müssen bereit sein, den Koordinatoren zweimal im Jahr ohne vorherige Ankündigung Zutritt zum Betrieb und Kontakt mit den Arbeitern zu ermöglichen. Weigern sie sich, werden sie von der Liste der Produzenten gestrichen, die an zertifizierte Händler liefern dürfen. Missbräuchliche Kinderarbeit ist ebenso tabu wie zu dunkle und stickige Arbeitsräume, faire Löhne und Arbeitszeiten und -pausen müssen fixiert werden. In Nepal beispielsweise sind die durchschnittlichen Löhne 30 Prozent geringer als die Kosten, um die Grundbedürfnisse zu decken. Die Löhne, die Step-Lieferanten zahlen, müssen zumindest ausreichen, um diese Grundbedürfnisse der Arbeiter und ihrer Familien zu finanzieren. Die Koordinatoren bewerten die Fabrik, helfen bei den notwendigen Veränderungen und kontrollieren die Fortschritte. "Das Gespräch mit den Eigentümern verläuft meistens sehr positiv", erzählt Sherab Dolma Rana, Koordinatorin in Nepal. Nur einen einzigen Eigentümer habe es bisher gegeben, der für Verbesserungsvorschläge nicht zugänglich war. Er ist nicht mehr im Projekt, Step-Händler beziehen keine Produkte mehr von ihm.

Mehr als 65.000 Menschen in der Teppichproduktion ist seit Step-Bestehen die Kontroll- und Projektarbeit zugute gekommen. Unter anderem eben mit einer Bildungsoffensive, in der die Alphabetisierung der Arbeiter und Arbeiterinnen, aber auch Themen wie Menschenrechte, Familienplanung und Gesundheitsvorsorge auf dem Lehrplan steht.

In Nepal, erzählt Sherab Dolma Rana der Furche, arbeiten fast nur Frauen in der Teppichproduktion. Die meisten von ihnen sind vom Land nach Kathmandu gekommen, ins Zentrum der nepalesischen Teppichproduktion, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder zu verdienen. Viele von ihnen sind alleinerziehend, ihre Ehemänner sind an den arabischen Golf oder nach Asien ausgewandert, um bessere Arbeit zu finden. Trotz harter Arbeit reichte das Geld oft kaum zum Leben. Dass plötzlich auch noch zwei Stunden Unterricht auf der Tagesordnung stehen sollte, war ihnen anfangs unverständlich. Es galt, das Bewusstsein zu wecken für die Notwendigkeit von Bildung, für die eigenen Rechte und die ihrer Kinder.

Kinder im Wollstaub

Die Gewerkschaft konnte die meisten Teppichknüpferinnen in den nepalesischen Fabriken dann doch überzeugen, am Unterricht teilzunehmen. "Jetzt sind sie froh, dass sie lesen und schreiben können und ihre Rechte kennen", sagt Sherab Dolma Rana.

Vor dem Step-Projekt sah es in vielen Betrieben schlecht aus - vor allem für die Kinder. Sie verbrachten die meiste Zeit ihres Lebens mit ihren arbeitenden Müttern in den Fabriken, spielten, schliefen dort. Immer mitten im ungesunden Wollstaub, umgeben von spitzen und scharfen Werkzeugen, an denen sie sich verletzten. Heute, sagt Sherab Dolma Rana, sehe es in den Fabriken schon viel besser aus. Die Kinder würden nicht mehr zwischen den Arbeiterinnen herumlaufen. Es gibt Betreuerinnen, die sich um die Kinder kümmern. Die Einrichtung der Räumlichkeiten bezahlt die Stiftung Step, den laufenden Betrieb übernimmt der Eigentümer der jeweiligen Fabrik. Auch eine extra für die Arbeiterkinder gebaute Grundschule gibt es mitten im Teppichfabriken-Viertel in Kathmandu.

Sauberes Wasser

Je nachdem, was sonst noch gebraucht wird, werden weitere Projekte gefördert. In Kathmandu zum Beispiel ist es eine Wasseraufbereitungsanlage, die den Wasserverbrauch um 50 Prozent gesenkt hat und dafür sorgt, dass sich in dem dicht besiedelten Gebiet Krankheiten nicht seuchenartig ausbreiten. In Indien dagegen war die medizinische Versorgung so schlecht, dass verschiedene Gesundheitseinrichtungen etabliert wurden. Finanziert werden die Projekte zu 40 Prozent durch die Step-Gründer in der Schweiz, darunter Caritas, Brot für alle und Swissaid. 60 Prozent der Kosten werden aus den Gebühren der Lizenznehmer gedeckt. Sie bezahlen ein Prozent des Einkaufswertes an Step. "Es ist eine Win-Win-Situation", sagt Lenhart, "darum ist es gar nicht so schwierig, die Händler von unserem Konzept zu überzeugen." Was sie dafür bekommen, ist neben dem reinen Gewissen auch das Image, sozial verträglich zu wirtschaften. Die Produzenten, die zur Kooperation bereit sind, bekommen faire Preise und geben diese in Form höherer Löhne an ihre Arbeiter weiter. Die wiederum sind zufriedener und dadurch zuverlässiger.

Gerechte Löhne

Die Produzenten müssen bereit sein, geregelte Arbeitszeiten und gerechte Löhne zu gewähren, dazu müssen die Arbeiterinnen die Möglichkeit bekommen, während des sechsmonatigen Ausbildungsprojektes zwei Stunden täglich den Unterricht zu besuchen. Missbräuchliche Kinderarbeit ist den Betrieben untersagt, und sie müssen grundsätzlich gewillt sein, die Schulkosten für die Kinder der Angestellten zu übernehmen. "Viele Betriebe können das nicht, weil es sehr viele Kinder sind - viele Frauen haben drei oder sogar vier. Oft lässt es die wirtschaftliche Lage nicht zu, dass der Betrieb alle Kosten trägt. Dann übernimmt die Step-Stiftung einen Teil", erklärt Sherab Dolma Rana. Fast 7000 Kinder erhielten durch die Projekte bisher eine Grundschulausbildung. Viele von ihnen werden - wie ihre Mütter - Teppichknüpfer. Aber im Gegensatz zu diesen werden sie von vornherein lesen und schreiben können und ihre Rechte kennen. Günter Lenhart ist überzeugt: "Das ist die Basis für jede dauerhafte Verbesserung."

Weitere Informationen und eine Liste aller Vertriebspartner:

www.label-step.org

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