"Sex hat keine Kalorien"

19451960198020002020

Seit Aids die unbeschwerte Lust bedroht, müssen eben Kinder für die Sextouristen herhalten. Jetzt wird gegen diese Art der Ausbeutung der Dritten Welt mobil gemacht.

19451960198020002020

Seit Aids die unbeschwerte Lust bedroht, müssen eben Kinder für die Sextouristen herhalten. Jetzt wird gegen diese Art der Ausbeutung der Dritten Welt mobil gemacht.

Werbung
Werbung
Werbung

Mehr als 600 Millionen Menschen reisen pro Jahr, davon etwa ein Viertel in Entwicklungsländer. In den letzten fünf Jahren ist, so eine Studie der internationalen "Ökumenischen Koalition für Dritte-Welt-Tourismus", ein neuer Wirtschaftszweig dramatisch angewachsen - die Kinderprostitution. Die Vereinten Nationen schätzen, daß heute weltweit etwa zehn Millionen Kinder als Sex-Sklaven ausgebeutet werden, es gibt Stimmen, denen zufolge diese Zahlen noch für untertrieben halten.

Seit Aids die unbeschwerte Lust der Sextouristen bedroht, ist die Nachfrage nach Kindern zwischen sechs und 15 Jahren explosionsartig angestiegen. Dafür sorgen Männer aus Europa, den USA und dem Nahen Osten. Die Länder der Dritten Welt liefern die "Ware" - Jungfrauen, "Frischfleisch", "Küken" werden feil geboten. Hunderttausende Kinder werden in den Bordellen Asiens als Sexsklaven gehalten, von denen manche erst drei oder vier Jahre alt sind. Aber auch in Lateinamerika, Afrika und in den westlichen Industrieländern steigt die Zahl der minderjährigen Prostituierten. Mehr als 100 Millionen Straßenkinder in aller Welt bilden ein schier unerschöpfliches Reservoir.

Immer bizarrere Sexwünsche haben die Nachfrage nach Jungfrauen so weit getrieben, daß die Scheiden der Mädchen nach der Entjungferung manchmal wieder zugenäht und die Kinder mehrfach als Jungfrau verkauft werden. Weil es im eigenen Land heute nicht mehr genügend Nachschub gibt, so wird berichtet, kidnappen beispielsweise thailändische Häscherkommandos die Kinder auch aus Burma, Laos und aus dem Süden Chinas. Den Löwenanteil der Einnahmen kassieren Zuhälter, Hotelportiers, Barbesitzer, Taxifahrer, die Polizei, das Reiseunternehmen, die Fluggesellschaft.

Das Prinzip Ausbeutung ist am Exempel der Elendsprostitution in den Entwicklungsländern gut zu studieren. Ausbeutung ist mehrfach überlagert: Da ist eine ausgebeutete Dritte-Welt-Gesellschaft, und eine Gesellschaft, die in ihrer Struktur dieses Modell der Ausbeutung wiederholt. Die Mädchen und Frauen, die die Prostitution in Schwung halten, tun das in der Regel nicht freiwillig. In Thailand stammen die meisten von ihnen aus den armen Regionen des Nordens oder Nordostens. Hier kann kaum einer mehr von der Landarbeit leben. Das Realeinkommen der Bauern hat sich in den letzten Jahren ständig verringert, zwei Drittel der Haushalte sind - bei Zinsen bis zu 150 Prozent - hoffnungslos verschuldet. Ein Drittel der Bevölkerung hat keinen eigenen Landbesitz mehr.

"Vermittelte" Töchter Vor 25 Jahren hatten die Bauern noch keine Existenzsorgen, erst die "Modernisierung" Thailands hat über viele Elend gebracht. Die Bauern sind heute froh, wenn ihre Töchter in die Stadt "vermittelt" werden und die Händler noch ein Handgeld zahlen. Versprochen wird eine gute Stelle, und nach einem Jahr sei das Mädchen wieder zu Hause. In Wahrheit ist das Ziel ein Bordell.

Die finanziellen Aussichten für die Urlaubsländer sind verlockend. Urlauber bringen mehr Devisen in die Staatskasse als jeder Agrarexport. Sextourismus "rechnet" sich.

Sri Lanka galt lange Zeit als Geheimtip für Kinderprostitution, in Kenia geht man auf "Sex-Safari", die Karibik lockt mit dem Spruch "Sex hat keine Kalorien".

Die sogenannten "Bums-Bomber", Flugzeuge mit Destinationen für Sextouristen, fliegen, und sie sind meist ausgebucht. Die Nachfrage ist da, das Angebot auch. Die Globalisierung hat die Welt schrankenlos gemacht - in jeder Hinsicht.

Staatssekretärin Benita Ferrero-Waldner sprach anläßlich eines Symposions über "Kindersextourismus" im Rahmen der Wiener Ferienmesse kürzlich von "einer der abscheulichsten Begleiterscheinungen des modernen Reisewesens." Ferrero -Waldner kritisierte in diesem Zusammenhang, daß viele der Täter ihr Handeln nach wie vor als Kavaliersdelikt sehen und es mit einem Augenzwinkern bagatellisieren. Seit März 1997 wurde der Justiz jedoch mit der Einführung des § 64 StGB ein wichtiges Instrument in der Verfolgung der Täter auch nach dem Verlassen des Urlaubslandes in die Hand gegeben.

Er besagt, daß Österreicher, die sich im Ausland an Kindern vergreifen, auch nach ihrer Rückkehr aus dem Reiseland - unabhängig von den Strafgesetzen des Tatortes - angeklagt und bestraft werden.

Mit den gesetzlichen Maßnahmen allein, die unabhängig vom Ort des Kindesmißbrauchs eine Strafverfolgung des Täters in seiner Heimat möglich machen, ist es aber noch nicht getan. Entscheidend ist eine umfassende Aufklärung und die Kooperation mit den Reiseveranstaltern.

In Stockholm fand im August 1996 der erste Weltkongress gegen die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern statt. 122 Regierungen verpflichteten sich damals, nationale Aktionspläne zum Schutz der Kinder zu erarbeiten. Es kam zur Gründung von ECPAT (End Child Prostitution, Pornography and Trafficking), das als Netzwerk mit Sitz in Bangkok (Thailand) fungiert.

ECPAT hat sich zum Ziel gesetzt, Kinderpornographie, Kinderprostitution und Kinderhandel in allen Teilen der Welt ins öffentliche Bewußtsein zu rücken und zu bekämpfen. ECPAT setzt sich dafür ein, daß Kinderrechte, wie sie in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben sind, auch geachtet werden. Kinder sollen ohne sexuelle Ausbeutung aufwachsen können. Dem internationalen Netzwerk gehören heute über 300 Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen aus 45 Ländern an. ECPAT International beobachtet die Umsetzung dieser Verpflichtung in den einzelnen Ländern und dokumentiert die Fortschritte regelmässig. Bis dato haben aber erst 40 Regierungen ihre jeweiligen Aktionspläne vorgelegt.

Warnung für Reisende Das kürzlich in Wien abgehaltene Symposium war der Auftakt zu einer Reihe von Weiterbildungsmaßnahmen und Informationsveranstaltungen gegen Kinderprostitution, die im Laufe des Jahres 2000 an Tourismusschulen und Universitäten gemeinsam mit engagierten Reiseveranstaltern stattfinden sollen. Das mehrstündige Informationsprogramm wird Entscheidungsträgern, Counterkräften und Reiseleitern vor Ort Trainingseinheiten zu dieser Thematik anbieten. Zusätzlich sollen durch Klauseln in den Partnerverträgen in den jeweiligen Destinationen weitere Unternehmen in dieses Programm involviert werden.

Darüberhinaus können Reiseunternehmen selbst aktiv Maßnahmen in die gewünschte Richtung setzen. Das alles mit der Zielsetzung einer Kennzeichnung engagierter Reiseveranstalter. Betriebe mit dem sogenannten "Certified-Code-of Conduct-Label" melden positive Rückmeldungen ihrer Kunden. Der "Certified Code of Conduct (CCP) wird seit 1997 praktiziert und von der EU gefördert. Heuer wird die Kampagne im Auftrag der EU- Kommission auch nach Österreich und in andere EU-Staaten ausgeweitet.

Auch die Welt-Tourismusorganisation (WTO) hat sich seit Beginn der neunziger Jahre des Themas Kindersextourismus angenommen und verschiedene Resolutionen verabschiedet, in denen sie gegen die sexuelle Ausbeutung mobil macht und ihre Mitglieder verpflichtet, eine derart motivierte Reisetätigkeit nicht zu unterstützen beziehungsweise in sämtlichen Vertagshotels die Duchsetzung des Verbots der Kinderprostitution zu kontrollieren.

Die AUA zeigt bereits bei Flügen zu einschlägigen Zielen ein neues Inflight-Video, das unmißverständlich ausdrückt: "Der Mißbrauch von Kindern ist ein Verbrechen - weltweit."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung