Hochtechnologie gegen Armut

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Der neue Weltentwicklungsbericht untersucht die Möglichkeiten des Einsatzes von Hightech in der Dritten Welt

Als vor rund zwei Wochen der neue "Bericht über die Menschliche Entwicklung" vom UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) veröffentlicht wurde, war die Aufregung groß. Was war geschehen? Der Bericht plädiert für Offenheit und versuchte, ein differenziertes Bild der Chancen und Gefahren des Einsatzes neuer Technologien zur Armutsbekämpfung zu zeichnen. Kritiker unterstellten, dass sich die UNDP von den großen "Agrochemie-Multis" kaufen ließ und es daher zu einem Paradigmenwechsel gekommen sei.

Dieser Aufschrei erscheint unberechtigt. Der Bericht fordert nämlich beispielsweise nicht den Einsatz von Gentechnik, sondern stellt die Frage nach ihrem Nutzen für die menschliche Entwicklung. Das entspricht auch der selbstgestellten Aufgabe und dem Sinn der seit 1990 erscheinenden Berichte. Sie untersuchen jedes Jahr ein relevantes Thema: Frauen, Sicherheit, Menschenrechte, Globalisierung ... Heuer war es eben die Technologie.

Schon im Vorwort warnt UNDP-Koordinator Mark Malloch Brown vor der übertriebenen Hoffnung, dass die Anwendung technischer Hilfsmittel auf einen Schlag alle Probleme dieser Welt (Unterernährung, Analphabetismus und so weiter) lösen könnte. Ganz im Sinne der Tradition des Konzepts der menschlichen Entwicklung stellt er auch klar, dass jedes Land eine eigene Technologie-Strategie benötigt, da es eben kein universelles Rezept zur Problemlösung gibt.

Was ist nun "Menschliche Entwicklung"? Das Konzept versteht sich als Alternative zur Gleichsetzung von Entwicklung und Wirtschaftswachstum, einer Annahme, die jahrzehntelang die Entwicklungspolitik geprägt hat. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Menschen frei entfalten können. Darauf bezieht sich auch die Definition der Menschlichen Entwicklung als "Erweiterung der Wahlmöglichkeiten der Menschen".

Chancen für 3. Welt

Der Index der menschlichen Entwicklung (HDI) reiht die Länder daher nicht bloß nach ihrer Wirtschaftsleistung, sondern auch nach ihrem Bildungs- und Gesundheitsniveau. Beide Dimensionen bilden die Grundlage für das Ausschöpfen des im Menschen befindliche Potenzials. Ist ein Mensch ständig damit beschäftigt, sein tägliches Überleben zu sichern, bleiben ihm nicht viele Ressourcen an Zeit und Mittel übrig, sein eigenes Lebenskonzept zu entwickeln und zu verfolgen. Daher ist die Armutsbekämpfung auch eine der Prioritäten der UNDP.

Der Bericht 2001 erkennt nun in den neuen Technologien auch Chancen für die Länder des Südens. Dazu ist es aber notwendig, auf die Bedürfnisse dieser Länder einzugehen. Der Marktmechanismus allein, so eine Schlussfolgerung, leiste das nicht, da arme Menschen zu wenig Kaufkraft aufbrächten. Die Autoren belegen dies mit eindrücklichen Zahlen: Nur 13 von 1.223 neuen Arzneien zwischen 1975 und 1996 wurden zur Bekämpfung tropischer Krankheiten entwickelt. Die Ursache für das Fehlen entsprechender Forschung sei - wenig überraschend - der Geldmangel. Daher fordert der Bericht, wie jedes Jahr, eine vermehrte Zuwendung von Mitteln an Bildungsinstitutionen, die er für zentral in der Anpassung von Technologien an lokale Gegebenheiten hält.

Ein Bereich, der viele Chancen mit sich bringt, ist das Internet. Im "Netzwerk-Zeitalter" ermöglicht es internationale Forschung, aber auch eine effizientere Basisbildung. Die Einrichtung von kollektiven Internetanschlüssen, also etwa auf Dorfebene, ermöglicht den Zugang zu wichtigen Informationen wie Wettervorhersagen, Weltmarktpreisen für lokale Produkte und ähnliches mehr. Auch hier bedürfe es staatlicher Bemühungen, um die Entwicklung von günstiger Hardware, drahtlosem Internetzugang oder Software für Analphabeten voranzutreiben. Der Markt alleine bringe offensichtlich zu wenig Anreize für derartige Forschungen. Wie ungleichmäßig das Internet nach wie vor verbreitet ist, zeigt sich beispielsweise daran, dass 79 Prozent der Nutzer in den OECD-Staaten beheimatet sind. Ganz Afrika hat weniger Zugänge als etwa São Paulo in Brasilien.

Ein neuer Technologieindex (TAI) unterstreicht diese Diskrepanz aber auch bei den "alten" Errungenschaften wie Telefon oder Elektrizität, die ja erst die Grundlage für den Einsatz neuerer Technologien bilden. Während in der führenden Nation Finnland auf 1.000 Einwohner 1.203 Telefone (Handys und Festnetz) kommen, ist der Wert für das Schlusslicht Mozambique fünf. Ähnlich groß ist die Diskrepanz beim Stromverbrauch.

Der Bericht erklärt, dass zur Nutzung der Chancen, die in den Hochtechnologien liegen, Rahmenbedingungen auf nationaler und internationaler Ebene geschaffen werden müssten. Das Vertrauen in die Wissenschaft etwa, das durch BSE und andere Seuchen untergraben wurde, müsse wiederhergestellt werden. Die Hauptaufgabe der Entwicklungsländer sei es, Risikoanalysen durchzuführen, also die verschiedenen Technologien auf Nutzen und Gefahren zu untersuchen.

Leider scheint der Bericht an dieser Stelle von der Realität abzuheben. Er geht nämlich von funktionierenden Staatswesen aus, was de facto vor allem in Afrika nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Von zerfallenden Staaten zu fordern, dass sie sich um eine Expertise im Bereich der Gentechnik bemühen und dabei alle Gefahren ins Kalkül ziehen, scheint sehr realitätsfern zu sein.

Mehr Realitätsbezug

Bei solchen Fragen ist es auch schwer, eine Partizipation der Zivilgesellschaft vorauszusetzen, da diese in vielen Ländern entweder überhaupt nicht besteht oder sich demokratische Freiräume erst erkämpfen muss, um an politischen Entscheidungen teilnehmen zu können. Es hat den Anschein, als ob positiv belegte Begriffe wie Partizipation auf verschiedenste Themen angewandt werden, ohne sich um einen Bezug zur Realität zu bemühen.

Wie positioniert sich nun Österreich in den internationalen Vergleichen des Berichts? Im HDI liegt es unverändert zum Vorjahr an 16. Stelle, einen Rang vor Deutschland. In dieser Dimension ist diesmal Norwegen vor Australien und Kanada führend. Interessanter, vor allem hinsichtlich der immer wieder aufkeimenden Diskussionen über den IT-Bereich, ist aber das Abschneiden Österreichs im TAI. Da liegt es gerade noch in der Rubrik "führende Nationen", knapp vor Frankreich und Israel. Besonders aufschlussreich ist die Reihung nach Investitionen in die Technologie. In diesen Bereich fließen in Österreich nur 1,5 Prozent des Bruttonationalprodukts, während es in Schweden 3,8 Prozent sind. Auffällig ist auch der vergleichsweise niedrige Wert bei den in der Forschung beschäftigten Wissenschaftlern.

Insgesamt erscheint es richtig und wichtig, dass sich die UNDP in ihrem mittlerweile viel gelesenen "Bericht über die Menschliche Entwicklung" eines Themas angenommen hat, mit dem sich heute jede ernstzunehmende Organisation auseinandersetzen muss. Natürlich handelt es sich bei der Hochtechnologie um ein "verdächtiges" Thema, warten doch in diesem Bereich allerorts westliche Großunternehmen, um Profit zu machen. Andererseits zeigt der Bericht auch Möglichkeiten auf, "vergessene" Bedürfnisse armer Menschen durch Technologien wie das Internet publik zu machen und mit rein wirtschaftlichen Interessen zu verbinden. Denn: Wo öffentliches Interesse und ein Markt, da auch Forschung

Der Bericht versucht erfolgreich, einen Mittelweg zu finden zwischen einer Verdammung von Technologien und der Überschätzung ihrer Möglichkeiten.

Der Autor ist

freier Journalist in Wien.

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