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Wirtschaftskommentar

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Ein neues Wort ist in jüngster Zeit in der wirfschaftspolitischen Diskussion zu hören. Es lautet Importexplosion. In der Tat, die Daten der Handelsbilanz sind ein wenig alarmierend. Während das Passivum im Außenhandel in den ersten sechs Monaten des Vorjahres 6,23 Milliarden Schilling betragen hatte, belief es sich in der Vergleichszeit dieses Jahres auf 9,23 Milliarden Schilling, das ist also eine Erhöhung um fast die Hällte. Das Wachstum der Importe, das im ersten Halbjahr 1965 noch jenem der Exporte entsprochen hafte, hat in den ersten sechs Monaten 1966 die Exportsteigerung weit überflügelt. (Das Resultat der Handelsbilanz im Monat Juli sieht allerdings wieder ein wenig beruhigender aus, wenngleich natürlich noch nicht gesagt werden kann, ob die Verringerung des Passivums bereits einen „Trend” markiert.)

Schon hört man aus den betroffenen Wirtschaftszweigen Rufe nach Maßnahmen zur Entschärfung dieser „Importexplosion". Nun kann man sich die Dinge gewiß nicht so leicht machen und schwer ringenden Gruppen kalt entgegnen, dann seien sie eben nicht mehr konkurrenzfähig und Österreich müsse auf ihre Dienste verzichten. Auf der anderen Seite wäre es aber ein Irrtum, zu glauben, man könne der „Importexplosion" ausschließlich mit außenhandelspolitischen Mitteln beikommen.

Denn was ist die Ursache der gewaltigen Einfuhrsteigerung? Keineswegs ist es allein die Befreiung des Außenhandels von den ihm ent- gegensfehenden Beschränkungen, vielmehr wirken hier mehrere Fakten zusammen, die niemand anderer als der britische Premierminister bei seiner „Schockrede" vor den Gewerkschaften in Blackpool sehr drastisch dargestellt hat. Er sagte nämlich, daß Einkommenssteigerungen, die nicht durch entsprechende Produktivitätserhöhungen gedeckt sind, die Kosten in die Höhe treiben. Dadurch wird der Einfuhrsog verstärkt, weil die inländische Güterproduktion mit der höheren Nachfrage, die wieder eine Folge der Einkommenssteigerungen ist, nicht mehr Schritt halfen kann. Zwangsläufig verringert sich dann die internationale Wettbewerbsfähigkeit, weil die eigene Erzeugung zu teuer wird, so daß billigere ausländische Produkte auf den Markt drängen. Ähnlich liegen die Dinge auch in Österreich.

Damit bestätigt sich, daß der

„Importexplosion" nur mit einer T i e- fentherapie beizukommen ist. Der Aufbau neuer handelspolitischer Barrieren würde kaum den gewünschten Effekt zeigen. Es genüge in diesem Zusammenhang, sich der düsteren Jahre der Zwischenkriegszeif zu erinnern. Damals bemühten sich viele Länder, der wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Inland dadurch Herr zu werden, daß sie ihre eigene Produktion unter Schutz stellten. Autarkie war die Losung der Stunde, mit dem Erfolg — weil ja die anderen ein Gleiches taten —, daß sich die Schwierigkeiten kumulierten und schließlich verheerende politische Konsequenzen eintraten.

Nach 1945 ist man einen anderen, vernünftigeren Weg gegangen. Mit dem Wiederaufbau setzte auch Zug um Zug der Abbau der Handelsbeschränkungen ein, die Folge war die Entfaltung der internationalen Arbeitsteilung, von der die gesamte industrialisierte Welf profitierte. Es erwies sich einmal mehr, daß hochentwickelte Industriestaaten unter sich die besten Kunden sind und daß der Verbraucher Vorteil aus dieser Arbeitsteilung zieht. Österreich hat sich mit mehr Elan als man off wahrhaben will, in dieses einzig richtige System eingegliedert, es hat seine vielfältigen Fähigkeiten und Talente genutzt, um die Spezialisierung voranzutreiben. Erfreulicherweise zeigt sich dies auch in der Handelsbilanz, weil der Anteil der Rohstoffe am Export zurückgeht, jener der Fertigwaren, vor allem der hochspezialisierten Qualitätsprodukte aber ständig steigt. Davon abzugehen wäre ein gefährlicher Rückschritt.

Aber irgend etwas muß geschehen, damit nicht etwas passiert — „passiert" in einem gesamtwirtschaftlichen Sinn, eingedenk des britischen Menetekels.

Zum Ersten ist es ohne Zweifel richtig, dem „wirtschaftlichen Minderwertigkeitskomplex" des österreichischen Volkes, der sich zwar in den letzten

Jahren dank dem Wiedererwachen des Nafionalgefühls in unserem Land gemildert hat, der aber noch immer nicht ganz überwunden ist, entgegenzutreten. Nicht darum geht es, die Parole „Kauft österreichische Waren" zu forcieren, sondern die Aufmerksamkeit der Verbraucher auf die österreichische Qualität zu lenken, so wie dies die Veranstalter der „Österreichwoche" tun. Nicht Wirtschaffsnationalismus ist das Gebot, sondern Vernunft, Überlegung und ein wenig patriotische Gesinnung beim Einkauf, so wie dies andere Staaten — für sich selbstverständlich! — handhaben. Bei der Auswahl unter gleichwertigen Produkten soll nicht blindlings und mit jenem österreichischen Masochismus, der sich auch in dem geringschätzigen Wort „typisch österreichisch' äußert, das ausländische Erzeugnis a priori für besser gehalten werden.

Die Bundeswirtschaftskammer hat kürzlich das Ergebnis einer Untersuchung über das wirfschattliche „Image" Österreichs in Frankreich veröffentlicht, die zu bedenklichen Resultaten gekommen ist. Aber wer sagt, daß eine ähnliche Untersuchung in Österreich selbst nicht ein Resultat zeitigen könnte, das nur um Nuancen besser wäre als der Test in Frankreich? Aut diesem Gebiet ist zweifellos noch vieles zu tun, und der wirtschaftliche Patriotismus ist ein wesentlicher Teil des österreichischen Patriotismus.

Wir müssen mehr exportieren das ist die zweite Forderung, um die Handelsbilanz einzurenken, nicht zuletzt deswegen, weil ja auch die Steigerungsraten im Fremdenverkehr Abflachungstendenzen zeigen. Die gute Konjunktur ist — leider — ein Dämpfer für den Exportelan, auch das muß ausgesprochen werden, und die Märkte werden in solchen Zeiten lieber „vor der Haustüre" als anderswo gesucht. Das „Exportare necesse esf", Schlachtruf der ersten Nachkriegsjahre, ist heute wieder einmal aktuell. Der Ausbau der Außenhandelsorganisation, eine bessere, wirksamere Exportfinanzierung und vor allem die Überwindung der „inneren Exportscheu" müssen Zusammenwirken, um das gewünschte Resultat zu bringen.

Postulat Nr. 3: Österreich muß sich bemühen, seine Wettbewerbsfähigkeit nicht nur zu erhalten, sondern zu verstärken. Bedauerlicherweise muß gesagt werden, daß wir — gesamtwirtschaftlich gesehen — zu teuer produzieren. Dies ist die Resultante aus mehreren Komponenten: Hohe Steuersätze, ständig steigende Anforderungen an den Staat, Verzerrungen in unserem volkswirtschaftlichen Kostengefüge (siehe Subventionen und Wohnungswirtschaffl), ungelöste Probleme der verstaatlichten Industrie, ungenügende Dotierung der „Infrastruktur", vor allem bei Bildung und Forschung, was wieder eine Folge dessen ist, daß das Budget rebus sic stantibus zu sehr auf Konsum und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet wird, Schwerfälligkeiten in der öffentlichen Verwaltung, vor allem eine würgende Kapitalnot, die ihre Wurzeln in so manchem hier geschildertem Phänomen hat.

Mit einem Wort: Unsere „volkswirtschaftlichen Gemeinkosten" müssen reduziert werden. Dazu gehört auch eine zielstrebige Wachstums- polifik durch Forcierung von Bildung und Forschung und damit Mobilisierung des oft übersehenen Produk- tionsfakfors „technologischer Fortschritt", der an Bedeutung die Pro- duktibnsfakforen Kapital und Arbeit immer mehr überrundet. Es gehört dazu auch eine sinnvolle Interpretation des Wortes „Vollbeschäftigung". Ein kluger Mann hat kürzlich gesagt, man könne doch nicht im Ernst behaupten, daß wir „Voll"-beschäfti- gung im ursprünglichsten Sinn des Wortes hälfen, weil — und dafür gibt es sogar kühne mathematische Schätzungen — ein Teil unserer Arbeitskräfte nicht „voll" beschäftigt, also nicht sinnvoll, ihrer Qualität und Leistungsfähigkeit gemäß, mit dem höchsten volkswirtschaftlichen Nutzeffekt eingesetzt ist.

Von hier aus wird der Ruf nach der „Strukturpolitik" im Sinne einer Sanierung der Volkswirtschaft an Haupt und Gliedern durch Beseitigung aller Verzerrungen verständlich. Die „Imporfexplosion" verlangt nicht nach einer Symptomkur, sondern nach einer Generaluntersuchung des Organismus „Volkswirtschaft", nach der dann die Therapie — aber nicht bloß eine Psychotherapie! — einsetzen kann.

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