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Große, braune Tabakblätter türmen sich auf den Tischen. Blitzschnell sortieren sie die Arbeiterinnen und Arbeiter und ordnen sie verschiedenen Stößen zu. In der Fabrikshalle eines kubanischen Tabakkonzerns arbeiten 100 Menschen, großteils Frauen, mit ihren bloßen Händen, ohne Mundschutz. Touristen, die durch die Fabrik geführt werden, können kaum aufhören zu husten, so scharf ist der Geruch der halb getrockneten Tabakblätter. "Ja, es beeinträchtigt die Gesundheit", erzählt eine der Arbeiterinnen "Manchmal spürt man es mehr, manchmal weniger", sagt sie. Auf der Haut, im Mund, im Hals.

Die Stadt Estelí im Norden Nicaraguas ist eines der am schnellsten wachsenden Wirtschaftszentren des Landes. Vor allem die Tabakindustrie nützt die günstigen klimatischen und logistischen Bedingungen. In einer anderen Halle der Fabrik werden die Zigarren gerollt, von 6.30 Uhr bis 17.00 Uhr. Die 19-jährige Belkis T. arbeitet seit kurzem hier. Sie ist zuständig für das Ankleben der Etiketten. "Ich arbeite, um mir mein Studium zu finanzieren. Ich möchte Pharmazeutin werden", erzählt die 19-Jährige. Sie arbeitet unter der Woche, am Sonntag besucht sie die Seminare an der Universität. Sonntagsstudien sind in Nicaragua üblich, da viele Studierende fünf bis sechs Tage in der Woche arbeiten müssen, um sich das Studium leisten zu können. Belkis T. stammt aus einer armen Familie. Ihr Gehalt muss sie mit ihrer Familie teilen. In ihrem Haus leben 25 Personen auf engstem Raum. Sie verdient umgerechnet 27 Euro pro Woche. Davon braucht sie 17 Euro fürs das Studium, der Rest ist für die Familie.

Die eigene Landwirtschaft

In den ländlichen Gebieten im Norden Nicaraguas, rund um Estelí, ist die Landschaft hügelig, die Hitze erträglich und der Boden fruchtbar. In dem kleinen Dorf Los Llanos lebt Maria Isabell Muñoz Zamora seit den 1970er-Jahren. Sie hat einen langen Kampf um Grund und Boden hinter sich: Zuerst war sie besitzlos und arbeitete für einen Großgrundbesitzer auf dessen Feldern, dann erhielt sie durch die Agrarreform nach der Sandinistischen Revolution eigenes Land, das ihr die wirtschaftsliberale Regierung in den 1990er-Jahren wieder aberkannte. Die Frauen-Organisation "Fundación entre Mujeres", kurz "FEM", unterstützt durch die Katholische Frauenbewegung Kfb, verhalf ihr danach zu eigenem Landbesitz. Heute kann sie auf 0,7 Hektar Mais, Bohnen und Kaffee anbauen. Zu ihrem Haus geht es einige steinige Stufen hinauf, hier lebt sie auf wenigen Quadratmetern mit ihrem Mann, zwei Töchtern und drei Enkeln. In einem kleinen Raum neben der einfachen Küche, lagert sie ihren Maisvorrat. Darin piepsen Küken.

Bildung und Selbstachtung

Die 54-jährige Bäuerin trägt einen blitzblauen Rock. Mit zerfurchten Händen deutet sie stolz auf ein Diplom auf der unverputzten Wand. Ende 2014 hat sie ihren Schulabschluss nachgeholt, acht Jahre lang ist sie dafür in die Sonntagsschule gegangen -zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Heute kann sie lesen, schreiben und rechnen. "Es war mein größter Traum, diesen Abschluss zu machen", strahlt sie.

Mit der finanziellen Unterstützung der Organisation "FEM" sei dies möglich geworden. Jetzt kann sie selbst den Preis für ihren Kaffee verhandeln und ist auch nicht mehr von ihrem Ehemann abhängig.

Seit fast zwanzig Jahren unterstützt "FEM" Frauen bei der Organisation von so genannten Kooperativen, also Genossenschaften, in 17 Dörfern haben sie bereits 2000 Mitglieder. Die Frauen bekommen außerdem Zugang zu Bildung, erhalten Stipendien für Schulabschlüsse oder ein Studium. "Wir arbeiten auf verschiedenen Ebenen, auf der wirtschaftlichen, auf der politischen und der rechtlichen Ebene -immer für die Stärkung der Frauen", erklärt Juana Villareyna, Vorstandsmitglied der Organisation.

Ein Dachverband vermarktet die Produkte und hat auch die Finanzen im Blick. Die Frauen nennen sich "Die Göttinnen" und haben damit auch schon eine Marke in der Region etabliert. Der Projektreferent der katholischen Frauenbewegung in Nicaragua, Clemens Koblbauer meint, dass "FEM" das Prinzip des solidarischen und fairen Wirtschaftens verwirkliche.

Nicaragua ist eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, 42 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Mit Perspektivenlosigkeit geht auch Kriminalität und Gewalt einher, Frauen sind am stärksten davon betroffen -von psychischer wie physischer Gewalt.

In der Hauptstadt Managua hat laut Studien ein Drittel der Frauen im Jugendalter ihre ersten sexuellen Kontakte unter Gewaltanwendung oder Nötigung erlebt. Der 30-jährigen Kenia T. aus Managua fällt es immer noch schwer, über ihr Trauma zu sprechen. Im Alter von neun Jahren sei sie von einem männlichen Familienmitglied sexuell missbraucht worden, erzählt sie. "Genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern, aber es waren noch drei oder vier andere Personen dabei. Das Ganze ist nur wie ein kurzer Filmausschnitt", sagt Kenia T. Bei der Organisation "Aguas Bravas" ("Wilde Wasser") hat sie erst vor zwei Jahren Hilfe gesucht. "Damals hatte ich eine schwere Depression, die dazu führte, dass ich versuchte, mir das Leben zu nehmen. Dann habe ich gemerkt, dass sich in meinem Leben etwas verändern muss", meint die heute 30-jährige Soziologin.

Im Zentrum der Organisation "Aguas Bravas" werden Frauen ab 18 Jahren betreut, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden sind. Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen unterstützen derzeit rund 60 Frauen, in Gruppen und individuell. Die Sonne scheint in die Besprechungsräume und in den grünen Innenhof, in einer schattigen Ecke hängt ein Boxsack. "Jede Frau verarbeitet ihr Trauma anders", meint Kenia T. Den Boxsack habe sie nie gebraucht, nur einen sicheren Ort, wo sie weinen konnte.

Traumata verarbeiten

Betreut wird Kenia T. von der Psychologin Nora Rugáma González. Die 29-Jährige ist von ihrem zweiten Lebensjahr an missbraucht worden. Bevor sie anderen Frauen helfen konnte, musste sie ihren eigenen Verarbeitungsprozess zu Ende bringen, sagt Gónzalez. Das aber schaffen nur sehr wenige, meint sie. Sexuelle Gewalt gegen Frauen sei üblich: "Meine Mutter ist missbraucht worden, meine Schwester, meine Cousine. Ich wollte Hilfe bei meiner Tante suchen, aber die konnte mir auch nichts sagen -sie selbst musste mit 13 Jahren ihren Vergewaltiger heiraten", erzählt die Psychologin. Nachsatz: "Wie soll man da herauskommen?"

Die Kfb unterstützt "Aguas Bravas" seit acht Jahren. Künftig solle auch die individuelle Betreuung in den ländlichen Provinzen ausgebaut werden, erklärt Projektreferent Koblbauer. Kenia T. sieht sich mittlerweile auf einem guten Weg: "Ich habe Selbstsicherheit gewonnen, die immer mehr wächst. Ich kann jetzt offener auf Menschen zugehen und meine Rechte einfordern." Ihre Ziele für die kommende Zeit: " Jus-Studium abschließen, Nein-Sagen lernen und endlich von zu Hause ausziehen." Etwas geduckt geht sie immer noch, "aber mit der Zeit sieht man auch äußerlich, dass sich die Frauen wieder aufrichten", sagt ihre Psychologin González. Und in Nicaragua schaffen es mit Projekten wie diesen immer mehr Frauen, sich aufzurichten, aufzustehen gegen Diskriminierung und Gewalt und ihre Rechte einzufordern.

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