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Digital In Arbeit

Im Wirbel der Extreme

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Diese Entwicklung ist augenblicklich voll im Gange, und es ist daher schwer, die schließlichen Auswirkungen ökonomischer und sozialpolitischer Natur abzuschätzen. Eines aber ist sicher, wenn diese Entwicklung aüch vom innenpolitischen Standpunkt wohl zu begründen sein mag, wirkte sie erschütternd für die „Neuaustralier". Die immer weiter um sieh greifende Arbeitslosigkeit, von der die Einwanderer am meisten betroffen werden, gibt seit Monaten Anlaß zu unzähligen Parlamentsdebatten und Pressebulletins, die alle fruchtlos verlaufen. Tausenden von Neuaustraliern, denen in diesem Land Arbeit, Heim und eine gesicherte Zukunft versprochen • wurde, sehen sich von tiefer Not bedrängt. Arbeitslose Einwanderer müssen von einer wöchentlichen Unterstützung, die sich auf 2.10 Pfund Sterling beläuft, sich selbst und ihre Familien erhalten und leben in dürftigsten Verhältnissen. Der folgende Brief illustriert die Lage, in der sich Tausende befinden; er ist der Ausgabe des „Australian Worker“ vom 20. August entnommen.

„Im Elend

„Ich, geboren den 10. November

1918, verheiratet, Vater von drei kleinen Kindern (eines 4 Jahre und zwei 19 Monate alt), Ankunft in Australien 1949, wurde am 6. Juni 1952 von der Railway Canteen,

- Meadowbank, N. S. W., wo ich als Arbeiter beschäftigt wurde, entlassen. Seit dieser Zeit bin ich arbeitslos und in einer sehr schwierigen Lage. Seit dieser Zeit sprach ich oftmals bei allen Arbeitsämtern in Sidney und den Sidneyern Vororten vor und hatte eine Rücksprache mit Beamten des „Immigration Department“, welche ich bat, mir jederlei Arbeit, egal wo, zuzuweisen, da meine Kinder, meine Frau und ich durch meine Arbeitslosigkeit in einer grenzenlosen Notlage befinden. Es wurde mir dann endgültig gesagt, daß ich bei meiner Union um Arbeit vorsprechen solle Am 1. August 1952 traf ich im Warteraum der CES, Grâce Building, mehr als 700 Neuaustralier, welche um Arbeit vorsprachen, aber sie bekamen keine Arbeit.

Ich zählte diese Anzahl von 10 Uhr morgens bis 4 Uhr nachmittags.“

Die Reihe solcher Briefe könnte ins Unendliche fortgesetzt werden. Immer dieselbe Anklage, dieselbe Bitte: Arbeit und Brot. Die Einwanderer, die von diesem bitteren Schicksal betroffen wurden, tragen in 99 vron 100 Fällen keine persönliche Schuld. Im Gegenteil. Regierung sowie Arbeitgeber sprachen sich im Laufe der letzten Jahre wiederholt wohlmeinend über die Einwanderer aus. Besonders die Holländer erfreuen sich großer Beliebtheit, Italiener werden als gute Siedler mit erstaunlicher Assimilationsgabe gerühmt, der Vortrupp der Deutschen, dem im Laufe des Jahres noch 5000 Neuankömmlinge folgen sollen, hat sich in Stadt und Land gut bewährt, die Deutschen sind als fleißig und ordentlich allgemein geachtet und geschätzt. Von anderen west- und südeuropäischen Ländern steckt die Zuwanderung noch in den Kinderschuhen, und es gab daher wenig Gelegenheit, Nationen wie Österreich oder die Schweiz als „Sammelbegriff“ in Australien zu werten.

Trotz der guten Bewährung genießen die Einwanderer von seiten der Trade Unions wenig Sympathien. Die Neuaustralier werden als Leute betrachtet, die sich unrechtmäßig in ein warmes Nest setzen wollen. Man scheint zu vergessen, daß jeder Einwanderer vor Verlassen seines Heimatlandes einen zweijährigen Arbeitskontrakt unterschrieben hatte, der es ihm praktisch unmöglich macht, nach seiner Landung seinen Beruf oder neues Tätigkeitsfeld selbständig zu bestimmen. Der Neuankömmling muß jede wie auch immer geartete Arbeit für eine Periode von zwei Jahren annehmen, sollte diese auch im Widerspruch zu seinem eigentlichen Beruf stehen.

Viele Facharbeiter, Verkehrsbedienstete, Bauern oder kaufmännische Ge-

hilfen leisteten zwei Jahre lang Straßen- und Bauarbeiten in Australien.

Trotz der guten Erfahrungen, die man im allgemeinen mit Einwanderern gemacht hatte, sah sich Minister Holt infolge der wirtschaftlichen Krise veranlaßt, die Zahl der Einwanderer für 1953 mit 8 0.0 00 zu begrenzen. Australien hatte in den letzten fünf Jahren seine Bevölkerung um eine Million vermehrt, 50 Prozent dieses Zuwachses erfolgten dank Einwanderung.

Die folgende Tabelle zeigt den Bevölkerungszuwachs Australiens seit 1947:

Vor dem Antritt seiner überseereise erklärte Minister Holt, das weitere Einwanderungsprogramm würde Änderungen unterworfen sein. Bei seiner Ankunft in Den Haag erklärte auf seiner Europa- ieise Minister Holt, Australien hätte jetzt einen Überschuß an ungelernten Arbeitskräften, es brauche in erster Linie Facharbeiter, Mechaniker und Metallarbeiter im besonderen, sowie landwirtschaftliche Arbeiter und Bauern, für die das Land große Möglichkeiten hätte.

In Bonn Wurde der zwischen der Bundesregierung und der australischen Regierung geschlossene Vertrag über die zukünftige deutsche Einwanderung nach Australien von Minister Holt unterzeichnet. Auf Grund dieses Vertrages werden 1953 10.000 deutsche Einwanderer nach Australien kommen. Auch andere europäische Länder werden ihren Anteil senden, wenn auch in geringerem Ausmaß. Besonders England wird die Zahl der Auswanderer zu beschränken haben. Die englischen Verkehrsbediensteten, die kürzlich in Australien landeten und denen man keine Arbeit zuweisen konnte, sondern eine Unterstützung für Arbeitslose bezahlte, alarmierten das Mutterland sowie das Gewissen vieler Australier. Der von ihnen erhobene Protest blieb nicht ungehört, jedoch fruchtlos. Diese unglücklichen Männer, die zu Hause ein gutes Einkommen als Verkehrsbeamte gefunden hatten, verließen das Mutterland, nach-

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