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Eine EU-Richtlinie soll den europäischen Markt für den Dienstleistungsverkehr öffnen. Sehr zum Ärger zahlreicher Interessenverbände, die um Arbeitnehmer- und Konsumentenschutz fürchten.

Die Nachricht kam vergangene Woche gerade recht: Die Zeitungen meldeten Rekordarbeitslosigkeit in Österreich und Deutschland. Und mitten in diese Hiobsbotschaften hinein veröffentlicht die Beratungsfirma Copenhagen Economics den Endbericht einer Studie, nach der in der Europäischen Union bis zu 600.000 Arbeitsplätze entstehen könnten. Es müssten nur endlich die bürokratischen Hürden und rechtlichen Grenzen für den Dienstleistungensverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten fallen. Die Europäische Kommission fühlt sich bestätigt, schließlich plant sie längst eine solche Richtlinie. Der Grund: 70 Prozent der Bruttoinlandsprodukte und der Jobs sind im Dienstleistungsbereich angesiedelt, aber nur ein sehr kleiner Teil davon überschreitet nationale Grenzen.

Das soll künftig anders werden: Jeder Dienstleister aus einem Mitgliedsland soll seine Leistung ohne großen Verwaltungsaufwand in jedem anderen eu-Land anbieten können. Die Konsumenten könnten unter mehr Anbietern wählen, Unternehmer hätten neue Möglichkeiten, ihre Leistungen anzubieten. Und bessere Qualität könnte der angekurbelte Wettbewerb im Idealfall auch noch bringen. Laut Studie sollen zusätzlich die durchschnittlichen Preise der Dienstleistungen um 7,2 Prozent sinken.

Der Teufel im Detail

Der Haken daran: Für jeden Dienstleister soll in weiten Bereichen das Recht seines Heimatlandes gelten. Evelyne Gebhardt von der Sozialdemokratischen Fraktion des Europäischen Parlaments erklärt die Folgen dieses Grundsatzes in einem Interview: "Ich habe einen Juristen gefragt, wie das wäre, wenn ein deutscher Architekt in Helsinki eine Oper bauen möchte und dazu einen britischen Ingenieur und einen polnischen Bauleiter nimmt. Welches Recht gilt denn, wenn beim Bau irgendein Problem auftaucht, das in Helsinki vor Gericht gestellt werden muss? Der Rechtsexperte hat mir geantwortet, dann hätte der finnische Richter ein Problem. Denn dann gilt nicht nur das finnische Recht, sondern auch das britische, das polnische und das deutsche."

Eine Umsetzung dieses Herkunftslandprinzips würde also bedeuten, dass im Dienstleistungsbereich in jedem Mitgliedsland neben der eigenen und der europäischen auch noch 24 andere Rechtsordnungen gelten würden. Genau das scheint die Kommission auch als besonderen Vorteil der Richtlinie zu empfinden, heißt es doch in dem Entwurf: "Mit der Anwendung des Herkunftslandprinzips kann die Dienstleistungsfreiheit sichergestellt und gleichzeitig Raum gelassen werden für ein pluralistisches Nebeneinander der verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten mit all ihren Eigenheiten ..."

Verbraucher ohne Schutz?

Zwar gibt es Dienstleistungen, die nicht von der Richtlinie erfasst sein sollen, etwa Teile des Transportwesens, Post-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung. Aber Handwerk, Handel, Bauwesen, Beschäftigungsagenturen, Immobilienmakler, Tourismus, Steuer- und Rechtsberatung und viele andere Branchen sind betroffen. Kein Wunder also, dass vor allem wegen des Herkunftslandprinzips zahlreiche Interessenverbände und Politiker in vielen eu-Ländern gegen die geplante Richtlinie kämpfen.

Darunter auch die Arbeiterkammern. "Woher soll denn der Verbraucher wissen, welches Recht für ein Geschäft gilt und wer überhaupt seine Vertragspartner sind?", fragt etwa Daniela Zimmer, Konsumentenschützerin der Arbeiterkammer Wien. Es wird kein einheitliches Register mehr geben, in dem sich eruieren lässt, mit wem man es zu tun hat. Zwar schreibt die Richtlinie vor, dass den Verbrauchern Informationen über den Unternehmer zugänglich gemacht werden müssen. Aber auf kompliziertem Weg: Sie müssen sich an eine Verbindungsbehörde in ihrem Heimatland wenden, die sich dann wiederum mit den zuständigen Behörden im Herkunftsland des Unternehmers in Verbindung setzt. Dieses System gibt es schon in der E-Commerce-Richtlinie, mit der Zimmer bereits Erfahrungen gesammelt hat. "Wir haben drei Internetseiten mit illegalen Inhalten angezeigt. Dafür mussten wir uns ans heimische Justizministerium wenden, das dann mit den zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen sollte. Bei zwei der drei Webseiten hat sich nichts geändert - und unsere Beschwerde ist jetzt eineinhalb Jahre her." Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Behörden sei eben alles andere als ausgereift. "Diese Dienstleistungsrichtlinie bedeutet massive Erschwernisse für den Konsumenten und ist sicher nicht geeignet, das Verbrauchervertrauen zu stärken." Ohne dieses Vertrauen in einen gemeinsamen Markt könne es aber diesen gemeinsamen Markt nicht geben. Vernünftiger wäre es daher, branchenspezifische Harmonisierungen mit hohen Standards zu beschließen, fordert die Konsumentenschützerin.

Das aber schließt die Richtlinie explizit aus. In dem Papier heißt es, es sei "nicht Ziel des Vorschlags, detaillierte Regelungen festzulegen bzw. die Gesamtheit der Vorschriften der Mitgliedstaaten für den Dienstleistungssektor zu harmonisieren."

Angst vor Sozialdumping

Auch die Angst vor Sozialdumping ist groß. Im Wettbewerb mit ausländischen Unternehmern, die sich um strenge Umwelt- und Sozialgesetze nicht kümmern müssen, wären österreichische Anbieter massiv im Nachteil, warnt etwa Angela Pfister vom Volkswirtschaftlichen Referat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Sie fürchtet einen Standortwettbewerb um die geringsten Auflagen. Denn in einem freien Markt sei es für einen Unternehmer einfach, sich in dem Land anzusiedeln, das die geringsten Sozialstandards und weniger Regelungen für den Schutz der Arbeitnehmer habe.

Auch das Lohnniveau stehe mit der Richtlinie zur Disposition, befürchtet Pfister. Zwar gibt es die Entsenderichtlinie. Sie schreibt vor, dass ein Arbeitgeber, der Dienstnehmer in ein anderes Mitgliedsland entsendet, den Lohn des Einsatzortes zu zahlen hat. Das gilt freilich nicht, wenn der Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedsland erst Arbeitnehmer anwirbt. Pfister erklärt die Sache mit einem Beispiel: "Wenn ein polnischer Bauunternehmer in Österreich ein Haus baut und hier Arbeiter dafür anstellt, dann kann er das nach polnischem Recht tun." Nach Pfisters Aussage also auch mit polnischen Löhnen. Wie sich das für die Arbeitnehmer dann mit dem hiesigen Preisniveau ausgehen soll, ist für die Volkswirtschaftsexpertin ein Rätsel.

Paradies für Schwarzarbeiter

Und dann ist da auch noch die Sache mit den Kontrollen. "Das ist der nächste Haken", klagt Pfister. Denn die Richtlinie schreibt auch vor, wer für die Überprüfung zuständig ist, ob ein Unternehmer das Recht seines Herkunftslandes auch tatsächlich einhält. "Kontrollen dürfen nur noch die Behörden des Herkunftsland durchführen. Die Behörden in dem Land, in dem die Dienstleistung ausgeführt wird, dürfen also beispielsweise nicht mehr verlangen, dass ihnen die Sozialversicherungsanmeldung der Dienstnehmer vorgelegt wird. Die einzige Möglichkeit ist ein Rechtshilfeersuchen an Behörden im Herkunftsland." Dass solche Kontrollen nicht besonders effizient sind, ist allein schon aufgrund der möglicherweise großen Entfernung zwischen Kontrollbehörden und Dienstort evident. Firmen, die bereits jetzt von Schwarzarbeit profitieren, reiben sich vermutlich schon die Hände. Und weniger schwarze Schafe werden es durch diese Regelung wohl auch nicht.

Die Richtlinie soll laut Plan bis Ende 2005 beschlossen und schrittweise bis 2010 umgesetzt werden. Allerdings hat beispielsweise der französische Premierminister Jean-Pierre Raffarin im Parlament die geplante Richtlinie als "nicht akzeptabel" bezeichnet. Mittlerweile hat der Kommissar für den Binnenmarkt, Charlie McCreevy, sehr vage die Möglichkeit eines Kompromisses in Aussicht gestellt. Für Angela Pfister ein Lippenbekenntnis. "Die Kommission denkt nicht an eine grundlegende Überarbeitung. Sie hält ausdrücklich am Herkunftslandprinzip fest." Das Zugeständnis beziehe sich nur auf eine Bereitschaft zu mehr Ausnahmen von diesem umstrittenen Artikel. "Und das reicht nicht." Sie fordert eine Rücknahme der Richtlinie und einen völlig neuen Entwurf. Den hat die Kommission aber bereits ausgeschlossen.

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