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Wird der Kunde König sein?

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Der EWR bewirkt, daß sich erstmals ausländische Anbieter ein Stück vom bisher geschützten heimischen Versicherungskuchen abschneiden können.

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Der EWR bewirkt, daß sich erstmals ausländische Anbieter ein Stück vom bisher geschützten heimischen Versicherungskuchen abschneiden können.

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Wenn demnächst der „Europäische Wirtschaftsraum” die weitgehende Einbeziehung Österreichs und anderer Länder in den einheitlichen Binnenmarkt der zwölf EU-Staaten bringen wird, dann ist das für die Versicherungsbranche besonders spannend:

Derzeit ist ein einheitlicher Versicherungsmarkt im Entstehen begriffen. Im EG-Raum übrigens nicht erst seit heute. Das Instrument dazu waren meist „Richtlinien”. Das sind EG-Vorschriften, die den Mitgliedstaaten bestimmte Ziele vorgeben, aber den jeweiligen Regierungen -im Unterschied zu den wie ein Gesetz direkt anwendbaren „Verordnungen” - die Wahl der Formen und Mittel überlassen. Die erste Versicherungsrichtlinie erging schon 1964, die erste Verordnung für diesen Sektor erst 1991. Schon diese Entwicklung ist sehr aufschlußreich: Im Versicherungswesen, auch im Versicherungsrecht, gibt es nämlich zwischen den Staaten Europas große Unterschiede. Eine schematische Gleichschaltung würde daher Verwirrung stiften und den Markt völlig durcheinanderbringen. Das ist deshalb so, weil sich das Versicherungswesen in den einzelnen Ländern unterschiedlich entwickelt hat:

■ Es gibt Länder, in denen eine obrigkeitsstaatliche Tradition nachwirkt. Der Staat richtet zwar nicht mehr, wie das früher der Fall war, „ fürsorglich ” Versicherungsanstalten ein. Aber er sorgt mit detaillierten Vorschriften und einer stark entwickelten Aufsicht dafür, daß dem Versicherungsnehmer nichts passiert; „staatlicher Konsumentenschutz” also, längst bevor dieser Begriff üblich wurde. Die Kehrseite der Medaille ist ein gedrosselter Wettbewerb mit höheren Prämien als anderswo (siehe Seite 17).

■ Eine ganz andere Versicherungskultur gibt es da, wo Versicherungen seit jeher frei'operierende, gewinnorientierte Geschäftsunternehmen sind. In England zum Beispiel, wo der Kunde mit weit unterschiedlicheren Angeboten, aber natürlich auch mit weit unterschiedlicheren Risken umworben wird. Hier traut man dem Konsumenten zu, daß er selbst auswählt, was ihm zusagt (natürlich mit Hilfe von Beratern und Vermittlern).

Daher ist die EU mit der Öffnung der Märkte und der Angleichung der Marktordnungen phasenweise vorgegangen. Erst jetzt steht die „dritte Generation” von Rechtsregeln zur Umsetzung an. Diese Umsetzung bringt einen starken Liberalisierungsschub. Auch die EWR-Partner-staaten werden weitgehend in das neue Regelsystem miteingebunden.

Besonders bedeutsam ist dabei die Einführung des sogenannten „Herkunftslandprinzips”: Was in einem Mitgliedstaat zulässig ist, wird es auch in alien anderen Ländern sein. Dies gilt sowohl für die Zulassung von Unternehmen, wie für die Möglichkeiten der Vertragsgestaltung. Das heißt, auch in Östereich werden dann mehr Versicherer auf Kundenfang gehen dürfen, und sie werden auch neue Produkte anbieten, die vielen Kunden - zumindest auf den ersten Blick - attraktiv erscheinen.

Was bedeutet das für die heimischen Versicherer? Sie werden sich jedenfalls nicht zurücklehnen, auf die eigene Stärke vertrauen und abwarten können, was kommt. Sie werden mit der neuen Konkurrenz aus Europa mithalten müssen, neue Vertragsvarianten entwickeln, ihr Angebot attraktiv machen müssen. Je mehr außerdem in einer Gesellschaft das Streben nach stabiler und doch lukrativer Anlage von Geldvermögen eine Rolle spielt, desto mehr wird sich auch das Interesse für die neuen Dienstleistungen entwickeln.

Dieser sogenannte „Allfinanz”-Markt ist stark im Kommen. Das ist die Vermittlung kombinierter Dienstleistungen zur Vermögenspflege, in denen die „klassische” Versicherung nur eines von mehreren Elementen ist.

In Deutschland ist man da schon weiter. Die Banken treten auf den Plan, gliedern sich in Versicherungen ein. Die Deutsche Bank beispielsweise hat sich mit einer eigenen Lebensversicherungstochter massiv bei Versicherungen eingekauft. Sie sieht für das, was sie zu bieten hat, auch in Österreich interessante Möglichkeiten und Chancen (siehe Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Lebensversicherungs AG, Wiesbaden, Hans Dieter Ritterbex, S. 15).

Wie dieses Interesse befriedigt wird, das heißt, ob auch auf diesem neuen Markt der Kunde König sein wird, ist ein Frage für sich. Das gilt auch für die „klassische” Versicherung. Es wird demnächst mit Sicherheit Angebote mit niedrigeren Prämien und höheren Leistungen geben. Aber vielleicht mit größerem Risiko (Lebensversicherungen zum Beispiel haben eine Laufzeit von Jahrzehnten. Die Frage ist, wird es dann die bisher unbekannten Gesellschaften noch geben?). So setzen die heimischen Versicherungsbosse auf die „konservative” Einstellung ihrer Kundschaft (siehe Interview S. 14).

Sitzen bleiben auf dem, was sie haben, wird man den Versicherern trotzdem nicht empfehlen können. Denn die Österreicher lernen, ertragsorientiert zu denken, sich umzusehen. Dabei kommt es vor allem auf die Urteilsfähigkeit, Mündigkeit und die Qualität der Beratung an.

„Alles prüfen und das Gute behalten.” Das ist die große Herausforderung für die Konsumenten, wenn sich im nächsten Jahr die unterschiedlichen wirtschaftlichen Kulturstile aufeinanderzubewegen. Das muß und sollte nicht zum Einheitsmenü führen. Aber doch zu einer Bereicherung der Speisekarte.

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