"Große Ziele - und dann passiert nichts"

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Maria Berger und Othmar Karas: uneinig, wenn es um den EU-Gipfel geht oder die Lehre aus den Protesten in Frankreich; auf einer Linie aber bei der Dienstleistungsrichtlinie und dem EU-Budget.

Die Furche: Frau Berger, Herr Karas - wie beurteilen Sie als eu-Parlamentarier den Ausgang des Frühjahrsgipfels?

Maria Berger: Dieser Gipfel war so wie die vorherigen das neue Verrühren von alten Luftblasen. Was auf dem Papier gut klingt, ist in Wirklichkeit nicht mehr als das mickrige Ziel von einem Prozent mehr Arbeitsplätzen pro Jahr - angesichts der großen Probleme Europas ist eine solche Bescheidenheit vollkommen fehl am Platz, denn im Endeffekt hofft man mit diesem Ziel nur, dass sich die Konjunktur von selbst wieder erholt.

Othmar Karas: Da muss ich klar widersprechen: Das Ergebnis des Gipfels ist viel besser, als es die Oppositionsraunzer und Schwarzseher vorausgesagt haben. Nach den letzten Gipfeln, die den Bürgern vor allem Krisenstimmung, Stillstand und Instabilität vermittelten, gibt es jetzt ein wohltuendes und Mut machendes Ergebnis - die österreichische Präsidentschaft konnte ihre Ziele, Zahlen und Prioritäten durchsetzen.

Die Furche: Indes gehen die Studentenproteste in Frankreich unvermindert weiter - sehen Sie in diesen Demonstrationen auch ein Warnsignal für die eu - oder ist das allein ein französisches Problem?

Berger: Das ist nur ein Zeichen dafür, dass insbesondere Jugendliche in diesem Europa wenig Chancen haben, ihren Weg zu machen. Die objektiven Daten zeigen ja auch ohne Aufstände, dass Jugendliche große Probleme haben, einen Arbeitsplatz zu finden - und die Mitgliedsstaaten hier ihren Aufgaben einfach nicht nachgekommen sind.

Karas: Ich muss wieder widersprechen: Es ist unrichtig, dass die Jugendlichen in Europa generell keine Chance haben, das ist mir zu defensiv: Europa ist eine Chance und wir haben alles zu tun, um die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass alle diese Chance nützen können. Diese Demonstrationen sind gegen einen Gesetzesvorschlag der französischen Regierung gerichtet; ich halte sie aber für keine Demonstration der Jugend gegen Europa und warne auch davor, sie zu einer solchen umzudeuten.

Die Furche: Viel braucht man da nicht umdeuten: Seit dem Streit um die Dienstleistungsrichtlinie tut sich die eu sehr schwer, sich vom Etikett der sozialen Kälte zu distanzieren.

Karas: Die Dienstleistungsrichtlinie, wie sie jetzt am Tisch liegt, ist das Gegenteil von dem, was Sie der eu unterstellen. Hier wurde im Vorfeld mit Ängsten gespielt und die Fehlinformationen über die Richtlinie haben zur emotionalen Polarisierung beigetragen. Wir haben verhandelt, wir haben zugehört und wir haben einen breiten Kompromiss geschaffen, der den Markt öffnet, gleichzeitig aber die soziale Marktwirtschaft und die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit bejaht. Die Dienstleistungsrichtlinie ist im Zusammenwirken von Europäischer Volkspartei und Sozialdemokraten zu einer Visitenkarte der sozialen Marktwirtschaft geworden: Wir öffnen den Markt und schaffen soziale Sicherheit.

Berger: Bei der Dienstleistungsrichtlinie hat die Öffentlichkeit schon auch mit sehr großer Zustimmung wahrgenommen, dass die Gesetzgebung in der eu ein sehr politischer Prozess ist: Es gibt Vorschläge der Kommission, es gibt aber vor allem auch ein europäisches Parlament, das die Dinge auf die richtigen Beine stellt. Unsere Änderungen an der Richtlinie sind von allen Seiten begrüßt worden und es gibt jetzt ein sehr vernünftiges Ergebnis, das beiden Aspekten gerecht wird: Wir brauchen mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Marktöffnung, aber wir dürfen dabei nicht auf den sozialen Schutz vergessen. In den letzten Jahren ist es zu einem unausgewogenen Verhältnis zwischen Marktorientierung und sozialer Sicherheit gekommen; und die Aufgabe des Lissabon-Prozesses wäre es ja gewesen, beide Aspekte gleichrangig zu verfolgen.

Die Furche: Aber sowohl in diesem als auch in anderen Punkten ist die Lissabon-Strategie gescheitert?

Berger: Wir sind hier in einem großen Dilemma: Lissabon wäre das wichtigste wirtschafts-und sozialpolitische Instrument der eu, aber man wollte die Kompetenzen nicht wirklich der Union übertragen; die sind bei den Mitgliedsstaaten geblieben und jetzt verfolgt halt jeder Mitgliedsstaat je nach Zuschnitt seiner Regierung eine eigene Politik und insgesamt hängen wir viel zu weit zurück. Darum wäre unsere Erwartung an den Frühjahrsgipfel gewesen, dass es eine koordinierte Investitionsstrategie der Mitgliedsstaaten gibt, um eine Wachstumsrate in der Größe von drei Prozent zu erreichen und parallel Investitionen mit einem längerfristigen Effekt in Bildung und Forschung vorzunehmen.

Karas: Was kann es für ein konkreteres und überprüfbareres Ziel eines Gipfels geben, als dafür sorgen zu wollen, dass jeder arbeitslose Schulabgänger einen Arbeitsplatz, eine Lehrstelle oder eine Weiterbildung angeboten bekommen soll - jetzt liegt es an den Mitgliedsstaaten, diese Vorgaben umzusetzen. Denn alles was die eu tut, sind Beschlüsse der Mitgliedsstaaten. Diese spielen die Innenpolitik nur allzuoft gegen die Europapolitik aus. Ein Beispiel ist die finanzielle Vorausschau: Wir haben derzeit das Geld nicht, um das umzusetzen, was politisch beschlossen wurde. Da passen Wort und Tat nicht mehr zusammen und wir müssen Wort und Tat zusammenführen.

Die Furche: Herr Karas, gerade beim eu-Budget - schlagen da nicht zwei Seelen in Ihrer Brust: Sie sind doch auch als eu-Abgeordneter immer noch övpler und müssen als solcher die Linie der Regierung mittragen?

Berger: Soll ich weghören ...

Karas: Ich habe eine Seele, hätte ich zwei, hätte ich wirklich ein Problem; ich bin nicht gespalten, weil ich in der eu tätig bin, nichts was wir hier tun, ist gegen zuhause gerichtet, alles was wir hier tun, ist für die Bürger Europas. Ich lasse mich da auch nicht ausspielen. Die Europapolitik gegen die Innenpolitik ausspielen, tun ohnehin andere permanent. Wir sind eine Gemeinschaft und diese Gemeinschaft kann dann funktionieren, wenn jeder bereit ist, aufeinander Rücksicht zu nehmen, solidarisch zu sein und einen europäischen Mehrwert zu entwickeln. Das Parlament fordert nicht mehr Geld: Wir verlangen nur das, was zur Umsetzung der Beschlüsse notwendig ist. Wir wollen, dass die Versprechen gegenüber den Bürgern erfüllbar sind. Und mit dem Ratsvorschlag können viele Projekte nur reduziert umgesetzt werden. Genau diese Differenz verlangen wir und da erwarte ich mir in den nächsten 14 Tagen Fortschritte.

Berger: Europa setzt sich große Ziele und die Mitgliedsstaaten ergreifen dann die dafür nötigen Maßnahmen nicht oder stellen die Mittel nicht zur Verfügung. Dadurch werden die Bürger laufend von Europa enttäuscht: Großartige Ziele - und dann passiert nichts! Aus dem entsteht sehr viel europäischer Frust. Uns geht es nicht darum, uns bei einer Gesamtsumme durchzusetzen, aber bei den wichtigen Sozial-und Bildungsprogrammen oder bei den europäischen Netzen muss mehr Geld fließen, sonst gibt es mit uns keine Einigung.

Das Gespräch moderierte Wolfgang Machreich.

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