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Europäischer denken!

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Ein jämmerliches Gerangel um EU-Kompetenzen läßt vergessen, daß es schon die Zeit des „sentire cum Brüssel“, fruchtbringend für Österreich, gegeben hat.

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Ein jämmerliches Gerangel um EU-Kompetenzen läßt vergessen, daß es schon die Zeit des „sentire cum Brüssel“, fruchtbringend für Österreich, gegeben hat.

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Vor dem EU-Ratsgipfel am 10.

Dezember in Essen findet in

Österreich ein ärgerlicher Streit um die Frage, wer Österreichs Mission in Brüssel letztlich Weisungen zu erteilen hat, statt. Dabei ist nach den Erfahrungswerten der anderen EU-Mitgliedstaaten längst klar, daß die normale Arbeit in den EU-Räten von den Außenministerien, manchmal von eigenen Europaministerien, die jedoch auch dem Außenamt unterstehen, koordiniert wird. Nur das sei wirklich praktikabel, so ein hoher Beamter der österreichischen EU-Botschaft in Brüssel zur FURCHE. Keine Frage ist auch, daß beim EU-Rat der Premierminister aufzutreten und mitzureden hat. In Österreich ist das nicht so klar.

Läßt sich in den kleinlichen Streitereien der Koalitionsrangler um EU-Kompetenzen erkennen, daß in nur wenigen Wochen Österreich eine neue Bühne im europäischen Polittheaterleben betritt? Wird die innenpolitische Kleingeisterei Österreichs Rolle auch im neuen Ensemble prägen? Die europäische Ausrichtung. Österreichs darf nicht irgendwo zwischen Purkersdorf und Euratsfeld auf der Strecke bleiben.

Die Frage, wer Österreich in Brüssel hauptverantwortlich vertritt, hat eine politisch-rechtliche und eine praktische Seite. Bei der Alltagsarbeit im EU-Rat hat der Außenminister das Sagen, in den einzelnen Räten kommt dies den einzelnen Fachministern zu. Verkehrs-, Landwirtschafts-, Handelsprobleme und andere werden vom Gremium der entsprechenden Fachminister behandelt.

Das Problem besteht darin, ob es in Österreich so etwas wie eine Koordinierungskompetenz des Kanzlers für die Europapolitik der Regierung gibt, Was, wenn einzelne Minister in Brüssel eine unterschiedliche Politik verfechten? Hier wird nicht nur die Notwendigkeit einer festen Hand und einer starken Kontrolle, die Festlegung einer klaren Linie sichtbar, sondern auch die praktische Seite konkreter Europapolitik: kann ein einzelner - sei es Außenminister oder Bundeskanzler - überhaupt die damit gegebene Herausforderung bewältigen? Mit anderen Worten: kann man die Europa-Arbeit allein dem Außenministerium aufhalsen? Momentan hat diese Frage einen starken, von Alois Mock persönlich bestimmten Akzent.

Der österreichische „Mister Europa“ will seine Finger weiterhin voll im EU-Spiel haben, was verständlich ist. Aber tut man dem Amt und seinen Aufgaben mit der vollen EU-Ar- beitsauflastung etwas Gutes? Warum soll denn nicht ein EU-Staatssekretär den Außenminister bei Sitzungen vertreten, die er nicht wahrnehmen kann?

PERSÖNLICHE EITELKEITEN

Selbstverständlich wird auch das Kanzleramt einen Beamtenstab für den EU-Rat, nicht aber für die alltägliche Arbeit brauchen. Was vermieden werden muß, sind Zweigleisigkeit, Vergeudung von Energie und von Personalressourcen. Praktisch muß Europapolitik in all ihren Facetten doch ohnehin im (nationalen) Ministerrat abbesprochen werden. In Brüssel setzt man diesbezüglich auf ein gutes Gesprächsklima und Zusammenarbeit in der Regierung, wie sich dies bei den EU-Verhandlungen gezeigt habe, wo es - mit Ausnahme neutralistischer Rückzugsgefechte ei niger - kaum Meinungsverschiedenheiten gegeben habe.

Erschwerend in der momentanen Situation wirkt sich die persönliche Ambition des Bundespräsidenten, Österreich nicht nur nach außen repräsentieren, sondern gelegentlich bei den zweimal jährlich stattfindenden Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs vertreten zu wollen, aus. Das ist insofern haarig, als dem Bundespräsidenten nun wirklich keine Regierungskompetenz zukommt. Staatschefs der EU-Mitgliedsstaaten sind nur als regierungskompetente Größen (wie Frankreichs Staatsoberhaupt) zu diesen Zusammenkünften geladen. Aus Brüssel ist zu hören, daß der Bundespräsident höchstens bei außerordentlichen Treffen, wie etwa 1996 bei Maastricht II, „auf- tauchen“, sonst aber die Europa-Politik der Regierung überlassen sollte.

In der Tat: Es kann nicht Europapolitik sein, Herausforderungen, vor denen die EU derzeit steht, mit persönlichen Eitelkeiten oder (scheinbar gerechten) Amtsansprüchen zu begegnen. Denn immer mehr — und das ist das Faszinierendste an der EU-Mitgliedschaft - wird Österreich europäisch denken müssen. Das heißt: heraustreten aus der Nabelbeschau, das heißt größeres Engage-ment und vermehrte Solidarität (ist uns bewußt, daß wir jetzt auch rechtlich für die sozial schwachen Gebiete von Portugal bis Italien verantwortlich sind?), das bedeutet auch zu überlegen, wie wir innere und äußere Sicherheit in der EU gewährleisten können (ist uns bewußt, daß wir in irgendeiner Form auch zur Verteidigung der Gemeinschaft beitragen werden müssen?).

Anstelle des etwas erbärmlichen Gerangels um Kompetenzen sollten Bundeskanzler, Außenminister, die Regierung und auch der Bundespräsident viel mehr mit Taten demonstrieren, daß es ihnen um Österreich im größeren Europa und nicht um persönliche Ansprüche geht.

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