"Herzstück Europas besprochen"

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EU-Festspiele auf der "Europa-Bühne" Niederösterreich: Unterwegs zu einer weniger zentralistischen und bürgernäheren Europäischen Union

Dass entscheidende Tagungen, Treffen und Konferenzen im Rahmen der österreichischen eu-Präsidentschaft in den vergangenen sechs Monaten in Niederösterreich stattgefunden haben, ist kein Zufall. Denn gerade Niederösterreich kann in der Pflege des europäischen Dialogs durch das vor elf Jahren etablierte Europaforum Wachau auf eine lange Tradition im konstruktiven Austausch von europäischen, nationalen aber vor allem auch lokalen Bedürfnissen und Herausforderungen zurückschauen.

"Europa fängt zu Hause an", war in diesem Sinne auch das Motto, das die Mitte April in St. Pölten stattfindende Subsidiaritätskonferenz prägte. Dem europaweiten Phänomen der Europaskepsis sei effizient nur mit einer zunehmend subsidiären Entwicklung entgegenzuwirken, stellte der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll unmissverständlich auf dieser höchstrangig besuchten Konferenz dar. Für die eu-Kommission sah Pröll deswegen den Auftrag zur freiwilligen Selbstverpflichtung, die Rechtsentwicklung im Sinne dieses Prinzips zu verfolgen.

Sorge vor Zentralisierung

Der Sorge vor schleichender Zentralisierung in der eu soll eine Stärkung der Regionen Europas als Gegengewicht gesetzt werden, betonte Bundeskanzler und eu-Ratspräsident Wolfgang Schüssel auf der Konferenz. Es gelte, die Sorgen und Ängste der Bürger ernst zu nehmen. Unter Hinweis auf die international hochkarätige Besetzung lobte Schüssel im "Ringen um Balance" die "durchaus kontroversielle Debatte, die dazu beigetragen hat, eine bürgernähere Zukunft Europas mit Leben zu erfüllen" (siehe dazu auch das Statement von Walter Zimper auf dieser Seite).

"Uns geht es darum, auf die Sorgen und Ängste der Bürger möglichst konkrete Antworten und Lösungen anzubieten", so der eu-Ratsvorsitzender Schüssel. Die richtige Definition des europäischen Sozialmodells könnte eine Antwort auf die Sorge vor dem Neoliberalismus sein. Es gelte, den Dialog mit den Bürgern zu suchen - Schüssel: "Lassen wir uns angreifen!"

"Lassen wir uns angreifen!"

Die staatlichen Parlamente seien die Hüter der Subsidiarität, unterstrich wiederum Nationalratspräsident Andreas Khol. Es gehe um eine sachgerechte Aufgabenteilung zwischen den vier Ebenen der Union, verwies Khol auf Klagen, die eu würde sich zu wenig mit großen, dafür aber zu viel mit lokalen Fragen beschäftigen. Im politischen Dialog solle - in Fortsetzung der Subsidiaritätskonferenzen - beleuchtet werden, wie Parlamente und Landtage ihre Rechte ausüben und wahrnehmen können.

Hintergrund für die in St. Pölten fortgesetzte Subsidiaritätsdiskussion ist, dass sich die eu mit dem Vertrag von Maastricht im Jahr 1993 auf das Prinzip der Subsidiarität festgelegt hat. Dieses besagt, dass staatliches Handeln immer auf jener Ebene stattfinden solle, die dem Bürger am nächsten sei und die jeweiligen Aufgaben bewältigen könne. Was Gemeinden selbst regeln können, soll demnach nicht das Bundesland, der Staat oder die eu übernehmen. Das Subsidiaritätsprinzip wird immer dann thematisiert, wenn von überbordender Zentralisierung und Bürokratisierung in der Union die Rede ist.

In diesem Sinn bezeichnete Landeshauptmann Pröll die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips als Chance auf Mehrwert für ganz Europa. Es gelte, in der Balance zwischen Europäisierung und Regionalisierung den Gestaltungsmöglichkeiten mehr Raum zu geben, das Potenzial in den Regionen zu mobilisieren und sich ständig mit den Bürgern über Europafragen auseinander zu setzen.

Reduzierung der Kosten

Günter Verheugen, Vizepräsident der Europäischen Kommission, begrüßte diese Initiative der österreichischen Ratspräsidentschaft. In St. Pölten sei ein "Herzstück" der europäischen Politik besprochen worden, das Thema werde von den nächsten EU-Ratspräsidentschaften (Finnland und Deutschland) weitergetragen. Verheugen will in der Kommission für die Anwendung der Subsidiaritätsregeln, eine bessere Rechtsetzung und die Reduzierung der Kostenbelastungen eintreten.

Subsidiarität kein Hemmnis

Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber erinnerte daran, dass noch vor 20 Jahren die Subsidiarität als Hemmnis für die europäische Integration gesehen wurde. Heute sei klar, dass die eu der 25 - de facto der 27 - nicht funktionieren könne, wenn die Kommunen nicht deutlicher erfasst werden. Die Akzeptanz für Europa zu erhöhen sei auch Aufgabe der nationalen Parlamente. Er hoffe, dass die Tagung dazu beitrage, den Widerspruch in Europa in Zuspruch zu Europa zu verwandeln. Dass diese Absichtserklärungen ihren Widerhall in konkreten landespolitischen Aktivitäten finden, zeigte Pröll in seiner Funktion als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz bei der Landeshauptleute-Tagung in Laa a. d. Thaya: Die Bundesländer wollten alle Anstrengungen unternehmen, "einen Weg zu finden, um Subsidiarität in den einzelnen gesetzlichen Materien einzufordern", betonte dabei Pröll. Man hat sich daher in der Landeshauptleutekonferenz darauf geeinigt, eine Arbeitsgruppe zu installieren. Ziel ist eine Automatik, "alle gesetzlichen Materien im Hinblick auf das Subsidiaritäts-Empfinden zu überprüfen". Das bedeutet, dass die "Subsidiaritäts-Kontrolle über die Bundesländer vonstatten gehen" werde, so Pröll.

Als "niederösterreichische Facette" und "Zusätzliches an subsidiärer Gesinnung" merkte Pröll an, dass ab 1. Juni die Wohnbauförderung in den Bürgerbüros der Bezirkshauptmannschaften abgewickelt wird. Mit dem selben Datum wird dort auch ein neues Sozialservice eingerichtet.

Anreize für Tourismus

Doch die "Europa-Bühne" Niederösterreich war nicht auf die Landeshauptstadt beschränkt. Das Stift Klosterneuburg bot das barocke Ambiente für ein Treffen der eu-Außenminister Ende Mai. Zum selben Zeitpunkt waren im Rahmen eines informellen eu-Agrarministerrates am Campus Krems Besuche in der Wachau und in Ziersdorf angesetzt.

eu-Ratsvorsitzende Außenministerin Ursula Plassnik hatte ihre Amtskollegen zu diesem Sondertreffen nach Klosterneuburg geladen, um eine Verlängerung der im Juni auslaufenden einjährigen "Reflexionsphase" über die Verfassung zu vereinbaren - was im vertraulichen Ambiente des Treffens auch vielen Unkenrufen zum Trotz tatsächlich gelungen ist.

Aber es gibt auch andere erfreuliche Nebeneffekte dieses niederösterreichischen Konferenzen-Reigens: So freute man sich zum Beispiel über den touristischen Impuls dieser Treffen: Zum Beispiel haben sich im Vorfeld des eu-Agrarministertreffens dutzende Teilnehmer dazu entschieden, länger in Krems zu bleiben und einen Urlaub anzuhängen.

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