Die letzte Nacht entscheidet

Werbung
Werbung
Werbung

Das Europäische Forum Alpbach hat zu einer Tagung über den EU-Zukunftskonvent geladen und die österreichischen Konventsmitglieder Eva Lichtenberger, Reinhard Bösch, Caspar Einem und Gerhard Tusek nach den letzten Hürden auf dem Weg zu einer europäischen Verfassung gefragt.

Die Furche: In einem Monat, am 20. Juni, soll der EU-Konvent die Ergebnisse seiner eineinhalbjährigen Arbeit vorlegen. Mit welchen Konflikten ist noch zu rechnen?

Reinhard Bösch: Es spitzt sich alles auf den Konflikt zwischen großen und kleinen Staaten zu. Die Gruppe kleinerer und mittlerer Staaten hat in Bezug auf die Institutionen und ihrer Gewichtung und ihrem Verhältnis zueinander klare Vorstellungen vorgelegt. Der Vertragsvorschlag von Konventspräsident Giscard d'Estaing, bei dem er sein Formulierungsmonopol voll ausgenützt hat, widerspricht dem diametral. Deswegen scheint sich für mich dieser Streit Groß gegen Klein zu manifestieren, wobei die Konfliktlinien durch alle im Konvent vertretenen Gruppen mitten durch gehen.

Eva Lichtenberger: Die Bruchlinien im Konvent sehe ich nicht zwischen großen und kleinen Staaten. Für mich spiegelt sich im Konvent vielmehr der Konflikt zwischen Integrationisten und Re-Nationalisierern wider. Solchen, die eine stärkere Vergemeinschaftung wollen und solchen, die wieder die nationale Entscheidungsebene stärken möchten. Dazwischen stehen jene, die versuchen, alles den Regierungen in die Tasche zu stecken. Das steht aber im völligen Gegensatz zur wichtigsten Aufgabe des Konvents, nämlich die der stärkeren Demokratisierung und Parlamentarisierung der Union. Die letzten Regierungskonferenzen haben gezeigt, dass die Einigungen auf Regierungsebene nicht mehr das Erfolgsmodell der Gegenwart sind.

Gerhard Tusek: Es stimmt, dass die Interessenkonflikte quer durch die Staaten, quer durch die politischen Familien gehen. Es ist durchaus so, dass es auch in meinem Fall schwere Konflikte mit der Linie meiner Parteifreunde aus der Europäischen Volkspartei gibt. Ich wehre mich aber gegen eine Vereinfachung des Streits auf den Gegensatz zwischen großen und kleinen Ländern oder zwischen regierungszentrierten und parlamentarischen Ansätzen. Ich habe es in meinen Arbeitsgruppen gesehen: Über grundsätzliche Dinge ist man sich rasch einig, beispielsweise, dass es eine verstärkte gemeinsame Außenpolitik braucht. Das Problem steckt aber hier wie auch sonst im Detail.

Bösch: Im Wesentlichen geht es jetzt um die Frage der EU-Präsidentschaft. Während die kleinen und mittleren Staaten auf eine Rotation bestehen, sieht d'Estaings Vorschlag eine mehrjährige Präsidentschaft vor. Dazu kommt, dass d'Estaing für eine Verkleinerung der Kommission auf rund 15 Personen, plus beigeordnete Kommissare eintritt. Die kleinen und mittleren Länder bestehen hingegen darauf, dass jedes Land weiterhin einen Kommissar stellt. Und in diesem Konflikt rund um die Institutionenreform glaube ich nicht, dass der Konvent zu einem Konsens findet. Deswegen wird der Konvent in seinem Ergebnis, das er den Regierungschefs vorlegt, mehrere Optionen formulieren müssen.

Caspar Einem: Im Streit zwischen großen und kleinen EU-Staaten sehe ich nicht wirklich das Problem. Beispiel EU-Kommission: Im Wesentlichen werden wir in dieser Frage die Lösung der Regierungskonferenz von Nizza beibehalten. Dort wurde entschieden, dass die großen Staaten auf ihren zweiten Kommissar verzichten und dafür jedes Mitgliedsland einen Kommissar stellt - bis die Zahl von 27 erreicht ist. Das heißt, diese Frage ist schon gelöst.Jetzt darüber zu debattieren, was 2015 oder später kommt, halte ich nicht für sinnvoll. Der Streitpunkt ist für mich mehr die Frage, ob es ober- und untergeordnete Kommissare geben soll, oder alle das gleiche Stimmrecht haben. Und da sage ich: jeder Kommissar muss die gleiche Bedeutung haben.

Die Furche: Herr Einem, teilen Sie die Meinung von Kollegen Bösch, dass der Konvent zu keinem gemeinsamen Ergebnis findet und daher den Regierungschefs mehrere Möglichkeiten vorlegen muss?

Einem: Wir sind nicht gut beraten, wenn wir den Staats- und Regierungschefs Optionen vorlegen. Es gibt zwar Stimmen im Konvent, die sich von der letzten Verantwortung drücken wollen und für Optionen plädieren. Ich halte das für eine Selbstaufgabe des Konvents. Und wer sagt, dass die Regierungskonferenz, die ja mehr unter Zeitdruck steht als der Konvent, zu besseren Lösungen findet? Darum sollen wir uns bemühen und zu einer Lösung gelangen.

Lichtenberger: Der EU-Gipfel von Nizza war kein großartiger Erfolg, und die Einsetzung des Konvents war eine logische Folge davon. Allein aus diesem Grund wäre die Vorlage von Optionen an die Regierungskonferenz das schlechteste Ergebnis des Konvents. Dann werfen wir die Regierungskonferenz ja dahin zurück, wohin sie ohne uns auch gekommen wäre - nämlich in einen großen Interessengegensatz. Wir haben die Verantwortung übernommen, haben sie zu tragen, und uns auf ein Ergebnis zu verstehen.

Tusek: Es muss dem Konvent darum gehen, das institutionelle Gleichgewicht zwischen Rat, Kommission und Parlament in der Union zu wahren. Das ist das Besondere an der EU. Für die österreichische Bundesregierung ist die Gleichberechtigung aller Mitgliedsstaaten ein zentrales Anliegen. Deswegen können wir uns auch einen gewählten hauptberuflichen Langzeitpräsidenten des Europäischen Rates schwer vorstellen. Wir wollen die halbjährliche Rotation der Ratspräsidentschaft beibehalten.

Einem: Jetzt wird darüber diskutiert, ob es einen hauptberuflichen Vorsitzenden des Europäischen Rates geben soll oder nicht. Das ist nicht das Problem, sondern die Frage: Wie gut ist ein Gremium von Staats- und Regierungschefs - das sich drei-, viermal im Jahr sieht - in der Lage, die grundsätzlichen Entwicklungslinien der Europäischen Union vorzugeben? Die Antwort darauf lautet: Der Rat in dieser Form ist nicht in der Lage, die nötige Kontinuität zu gewährleisten. Ich habe deswegen den Vorschlag gemacht, ein fünfköpfiges Präsidium zu installieren, das zweieinhalb Jahre im Amt ist. Ein Generalsekretariat sollte die Arbeit dieses Präsidiums unterstützen, plus ein Team von Beamten aus Ratssekretariat und Kommission, das für ein Mindestmaß an Weiterentwicklung und Kontinuität sorgt.

Die Furche: Hätte diese Konstellation ein gemeinsames Vorgehen der EU im Irak-Konflikt ermöglicht, oder braucht es dazu einen starken europäischen Außenminister?

Einem: Das Drama, das Europa angesichts des Irak-Konfliktes geboten hat, ist ja nicht die Folge eines fehlenden Außenministers gewesen. Schuld daran war, dass sich der Europäische Rat nie mit dem Irak beschäftigt hat. Das gilt es in Zukunft durch eine konsistente und kontinuierliche Form der Zusammenarbeit zu verhindern. In diese Struktur eingebettet, ist auch ein europäischer Außenminister mit einem eigenen diplomatischen Corps sinnvoll.

Bösch: Niemand hat den Rat daran gehindert, im Irak-Konflikt eine gemeinsame Position zu beziehen. Es hat nicht stattgefunden, weil man keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wollte. Daraus lernen wir: Der Konvent kann in den Verfassungsentwurf hineinschreiben, was er will. Wenn die EU nicht gewillt, bzw. noch nicht reif dazu ist, wird es nicht passieren.

Die Furche: Herr Bösch, soll nicht der Konvent die Struktur für diesen gemeinsamen Willen vorgeben?

Bösch: Die große Auseinandersetzung zwischen Integration und Vertiefung der EU auf der einen und Stärkung der nationalen Ebene auf der anderen Seite hat keine entscheidende Rolle im Konvent gespielt. Bei allen Vorschlägen, die jetzt auf dem Tisch liegen, können beide Ebenen profitieren. Die europäische Ebene wird aus diesem Verfassungsprozess gestärkt hervorgehen. Ebenso ist die nationale Ebene als entscheidender Grundpfeiler der Union festgeschrieben. So ist unstrittig, dass die nationalen Parlamente ein Klagerecht bei Verdacht auf Verletzung des Subsidiaritätsprinzips bekommen sollen.

Einem: Es wurde im Konvent sehr viel über die Rolle der nationalen Parlamente diskutiert. Ich halte das für reinen Luxus. Die nationalen Parlamente bekommen alles, was sie sich vorstellen können, sie interessieren sich aber nicht dafür. Das Problem ist nicht, dass die nationalen Parlamente zuwenig Rechte hätten, das Problem ist, dass ihnen die EU wurscht ist. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, dass 70 Prozent der Gesetze, die in Europa gemacht werden, für den Nationalstaat wichtig sind. Wir brauchen einmal im Jahr einen europäischen Vertreter, aber nicht den eigenen Kommissar, der vor dem Nationalrat oder der Bundesversammlung über das europäische Arbeitsprogramm berichtet und so eine Debatte initiiert.

Lichtenberger: Die Mitwirkung der nationalen Parlamente scheitert am Desinteresse der Mehrheit der Abgeordneten. Wenn wir im Hauptausschuss des Nationalrates über den Konvent debattieren, diskutieren wir vier, wie wir hier sitzen. Derzeit ist die EU auf nationaler Ebene eher eine Folie für Verschwörungstheorien. Das Gute im Land hat immer die Regierung gemacht und das Böse kommt von der Union. Das ist ein Spiel, das in Österreich seit dem Beitritt bis zum Erbrechen gespielt wird. Da kann sich kein Europabewusstsein entwickeln. Wir haben im Konvent die Pflicht, eine optimale Struktur zur Einbeziehung der nationalen Parlamente zu bauen. Aber um diese Struktur mit Leben zu erfüllen, braucht es den politischen Willen in den Nationalstaaten

Tusek: Wir haben in Österreich gute Möglichkeiten der Kontrolle. Der jeweilige Minister kann durchaus diese oder jene Einschränkung für sein Abstimmungsverhalten nach Brüssel mitbekommen. Im Gegensatz zu den skandinavischen Ländern, wo die Parlamente den Ministern entsprechende Auflagen mitgeben, wird bei uns aber davon nicht Gebrauch gemacht.

Die Furche: Dem Konvent bleibt noch ein knappes Monat, um ein Ergebnis vorzulegen. Reicht das?

Lichtenberger: Wir haben viel zu wenig Zeit, um den dritten Teil der Verfassung zu diskutieren. Das ist der Teil, wo die konkreten Politikfelder drin stehen, das, worüber mich die Menschen am oberen Marktplatz von Hall fragen, wenn es um die EU geht. Der Großteil der Bürgerinnen und Bürger will wissen, wie in Zukunft über dieses oder jenes konkrete politische Thema entschieden wird. Welche Rolle wird der Euratom-Vertrag spielen? Wird es gelingen, die Umweltrechte zu halten?

Einem: Mein Optimismus wird ein wenig gedämpft, weil ich sehe, dass der Konvent in die Rolle einer Quasi-Regierungskonferenz hinüberrutscht. Es tauchen immer mehr Minister im Konvent auf, und die spielen dort ihr Spiel. Das ist keine Konventslösung. Wir haben nur mehr sehr wenig Zeit. Und jeder, der die EU nicht kennt, wird sagen, eine Lösung ist unmöglich. Aber jeder, der die EU kennt, weiß, dass es nur unter diesem Druck zu Lösungen kommt. Wäre ich nicht fünf Jahre in Ministerräten gesessen, dann wüsste ich nicht, dass die letzte Nacht von entscheidender Bedeutung sein wird. Dann sitzen alle so lange, bis der Kompromiss da ist. Und das werden wir auch machen müssen.

Das Gespräch redigierte Wolfgang Machreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung