Der falsche Weg zum richtigen Ziel
Die EU braucht keinen europapolitischen Urknall, sondern die konsequente Weiterentwicklung bestehender Institutionen.
Die EU braucht keinen europapolitischen Urknall, sondern die konsequente Weiterentwicklung bestehender Institutionen.
Joschka Fischer ist zu danken, dass er mit seiner Rede, seinen offiziell-inoffiziellen Vorstellungen für eine europäische Föderation Bewegung in die erstarrten Fronten seiner Amtskollegen brachte. Diese begnügen sich bei der laufenden Regierungskonferenz mit kleinlichen Grabenkämpfen; vom großen Wurf, der die EU erweiterungsfähig, stärker nach außen und innen, sowie bürgernäher macht, ist nichts zu merken. Zu unterstützen sind Fischers Vorstellungen zu einer doppelten Souveränität Europas und seiner Nationalstaaten und einer klaren Kompetenzabgrenzung zwischen diesen Ebenen. Die EU wird immer ein Gebilde sui generis bleiben, und weder der nationalstaatliche Bundesstaat noch die Konstruktion der Vereinigten Staaten von Amerika sind dafür ein hinlängliches Modell.
Unausgegoren waren Fischers Vorschläge für die Reorganisation der europäischen Institutionen. Das Europäische Parlament will er doppelt renationalisieren. Eine Kammer mit Abgeordneten nationaler Parlamente und eine "Staatenkammer" mit weiteren nationalen Vertretern. Ungeklärt ist, wer in diesem Parlament das demokratisch legitimierte, gemeinsame europäische Beste wahrnehmen soll?
Denn nationale Abgeordnete - die zusätzlich zu ihrem nationalen Mandat noch einen mehr als Full Time Job in Straßburg und Brüssel ausüben - werden noch weniger Zeit haben, um die europäischen Interessen ihrer Wähler zu vertreten. Wenn Fischer vorschlägt, eine Europäische Regierung könnte nicht nur, wie viel diskutiert, aus der jetzigen Europäischen Kommission hervorgehen, sondern auch aus den Ministern der nationalen Regierungen, dann ist der Außenminister in seiner als Privatperson gehaltenen Rede durchgekommen.
Letztendlich ist es der drohende Machtverlust, der die nationalen Regierungen von mutigeren Schritten bei der Reform der Institutionen abhält. Eine Europäische Regierung nach den Vorstellungen Fischers aber wäre weder stark noch unabhängig und auch die Kontrollfrage bleibt ungeklärt. Wird diese Regierung vom Parlament kontrolliert oder kontrolliert jedes nationale Parlament jeweils seinen nationalen Vertreter in dieser Europäischen Regierung?
Die unter "fortschrittlichen" Europäern diskutierten Modelle gehen eher in folgende Richtung: ein Europäisches Parlament mit zwei Kammern, dessen erste Kammer direkt gewählt wird, gestärkt durch ein europaweit einheitliches Wahlverfahren, mit teilweise länderübergreifenden Wahllisten und einheitlichem Statut für die Abgeordneten. Die zweite Kammer sollte als Art "Bundesrat" ausgestaltet sein, nationale Interessen wahrnehmen und den bisherigen Rat der Union ersetzen. Die Europäische Kommission (Regierung) sollte gemäß der politischen Kräfteverhältnisse im Europäischen Parlament gebildet werden. Zum Kommissionspräsidenten (Europäischer Ministerpräsident) könnte der Spitzenkandidat der bei den Wahlen zum Europäischen Parlament stärksten politischen Partei gekürt werden. Das würde Handlungsfähigkeit und demokratische Legitimität verbessern.
Nicht nur unausgegoren, geradezu gefährlich ist eine weitere Idee Fischers. Um zu einer Europäischen Föderation zu kommen, schlägt er vor, dass eine Gruppe von dazu bereiten Staaten zusätzlich zu ihrer EU-Mitgliedschaft diese Föderation neu gründet und in ihr das abhandelt, was ihnen die "Bremser" in der EU versagen. Gegen dieses in ähnlicher Form bereits von Jacques Delors vorgeschlagene "Gravitationszentrum" ist vieles einzuwenden, vor allem aber, dass es zu einer gefährlichen Spaltung der EU führen würde und für die Erweiterungsländer eine für lange Zeit unüberwindbare Hürde aufstellt. Was wir brauchen ist kein europapolitischer Urknall, sondern eine konsequente Weiterentwicklung und Straffung der bisherigen Institutionen und ihrer Entscheidungsmechanismen.
Die Autorin ist stellvertretende Delegationsleiterin der SPÖ im Europäischen Parlament.
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