"Die EU überrumpelt keiner mehr"

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Der Konvent hat die EU außenpolitisch handlungsfähig gemacht. Davon zeigt sich Konventsmitglied Jacques Santer im Furche-Gespräch überzeugt. Über die Frontstellung zwischen kleinen und großen Mitgliedsstaaten ist er bestürzt. Und auch Österreichs Ablehnung des fixen Ratspräsidenten sowie der Kommissare ohne Stimmrecht teilt er nicht.

Die Furche: Herr Santer, hat der Konvent die EU außenpolitisch handlungsfähig gemacht? Würde die Union bei einer Krise wie im Fall Irak mit einer Stimme sprechen und handeln?

Jacques Santer: Das scheint mir der Fall zu sein. So beschämt wir sein können über die Rolle der EU und ihrer Mitgliedsländer in der Irak-Krise, so sehr hat uns diese Krise genützt. In dem Sinne, dass wir daraus die richtige Schlussfolgerung gezogen haben: Wir brauchen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Furche: Garantiert ein EU-Außenminister schon eine gemeinsame Außenpolitik?

Santer: Dieser Außenminister konzertiert die EU-Außenpolitik. Dafür hat er das Initiativrecht bekommen, Vorschläge an die Staats- und Regierungschefs zu machen. Ich weiß, es genügt nicht, nur Instrumente zu erarbeiten, auch der politische Wille muss vorhanden sein. Doch geeignete Strukturen braucht es zuerst. Und die haben wir jetzt. Deshalb kann ich mir nicht vorstellen, dass es bei einer künftigen Krise zu einer solchen Überrumpelung der EU und ihrer Mitglieder kommt, wie das beim Irak der Fall war.

Die Furche: Wird das Zusammenwachsen der EU von Außen nur wohlwollend kommentiert, oder gibt es auch Befürchtungen, Konkurrenzdenken etc.?

Santer: Wir leben in einer multipolaren Welt. Europa ist darin ein Pol, der gleichberechtigt ist mit anderen Polen.

Die Furche: Sind wir in vielen Dingen, verglichen mit den USA, nicht noch ein recht mickriger Pol?

Santer: In wesentlichen Punkten nimmt Europa bereits eine starke Position ein. Mit unserer Währung sind wir - das darf man nicht unterschätzen - zu einem der wichtigsten Finanzfaktoren geworden. Dasselbe gilt für den Außenhandel, wo die EU eine wesentliche Rolle in der WTO spielt. Wir sind die stärkste Handelsmacht der Welt. Die Erweiterung ist ein weiterer großer Erfolg, der unsere Stellung festigt - und das wird auch von außen so gesehen.

Die Furche: Hängen die Störungen im Verhältnis zwischen Amerika und Europa auch mit dem Erstarken der EU zusammen?

Santer: Die transatlantische Partnerschaft ist intakt. Das heißt nicht, dass wir sie nicht ständig vertiefen müssen. Diese Partnerschaft gibt es ja nicht nur auf dem Papier, sondern sie wird durch die wirtschaftlichen Zahlen, durch die gegenseitigen Investitionen bestätigt. Unsere Außenbeziehungen sind zu 97 Prozent störungsfrei. Drei Prozent machen negative Schlagzeilen: Bananenkrieg, Gentechnikverbot...

Die Furche: Die Konflikte mit den USA gründen vor allem in unterschiedlichen politischen Ansichten...

Santer: Deshalb ist es so wichtig, dass sich Europa politisch zusammenrauft, damit wir mit einer Stimme sprechen können. Alle Umfragen belegen: Über 70 Prozen der EU-Bürger wünschen sich, dass Europa nicht nur ein Wirtschaftsraum bleibt, sondern auf dem politischen Parkett eine Rolle spielt. Mit dem Konvent haben wir einen Schritt in diese Richtung gesetzt. Die Weichen im institutionellen Gefüge der EU sind jetzt so gestellt, dass sie Perspektiven eröffnen und nicht die Zukunft verbauen.

Die Furche: Was halten Sie vom "Aufstand der Zwerge", vom Streit zwischen kleinen und großen Staaten im EU-Konvent, der jetzt in der Regierungskonferenz fortgesetzt wird?

Santer: Ich bin nach wie vor bestürzt über diese Konfrontation, diese Polarisierung zwischen Groß und Klein. Bisher - und ich arbeite nun schon sehr lange in der EU - habe ich nie festgestellt, dass es diese Frontstellung gibt. Es waren immer Große mit Kleinen zusammen und umgekehrt, aber es gab nie diesen Gegensatz, wie er jetzt zu Tage getreten ist.

Die Furche: Sie vertreten Luxemburg, ein kleines Land. Auf welcher Seite stehen Sie in diesem Konflikt?

Santer: Wir wussten immer, dass wir das kleinste EU-Land sind. Und wir wissen auch, wie groß unsere Partner sind. Deswegen versuchen wir stets, die Probleme so zu gestalten, dass es zu einem Ausgleich kommt. Auch diesmal haben wir Benelux-Länder einen Vorschlag gemacht, der für die Weiterentwicklung der Geschicke nützlich war.

Die Furche: Ein anderes kleines Land, Österreich, kritisiert nach wie vor dieses Benelux-Kompromissmodell, die Unterteilung in EU-Kommissare mit und ohne Stimmrecht.

Santer: Unser Ziel war es, dass wir die wichtige Stellung der Kommission erhalten. Die Kommission muss das Herzstück bleiben. Alle Mitgliedsstaaten sind daran interessiert, ein Gesicht in der Kommission zu haben. Mit unserem Vorschlag, der übernommen wurde, ist das sichergestellt. Ein Rotationsverfahren wird die gerechte Aufteilung in Kommissare mit und ohne Stimmrecht garantieren. Auch die großen Länder werden nicht immer einen stimmberechtigten Kommissar haben.

Die Furche: Ein anderer Streitpunkt: das Misstrauen gegenüber dem für mindestens zweieinhalb Jahre bestellten Ratspräsidenten.

Santer: Die Rolle dieses Präsidenten ist begrenzt. Der neue Ratspräsident hat nicht mehr Befugnisse als der jetzige rotierende Präsident. Die großen Mitgliedsstaaten wollten einen starken Präsidenten einsetzen, der die Union wirklich führt und nach außen vertritt. Der Kommissionspräsident käme da ins Hintertreffen. Das haben wir vereitelt, und ich hoffe, dass das auch in der Regierungskonferenz so gesehen wird.

Die Furche: Sollte es in allen Mitgliedsstaaten ein Referendum über den neuen Verfassungsvertrag geben?

Santer: Ein europaweites Referendum ist angebracht, aber die Umsetzung dieses Gedankens ist schwierig. Es gibt kein einheitliches Recht für die Abhaltung eines Referendums in der EU. Die Umsetzung hängt deswegen von den Mitgliedsstaaten ab. Und ich weiß nicht, ob die Zeit jetzt schon reif ist, um ein Referendum an einem Tag in ganz Europa abzuhalten. Würde es trotzdem gelingen - es wäre zu schön, um wahr zu sein.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Durch alle EU-Institutionen marschiert

Jacques Santer kennt alle EU-Institutionen aus eigener Anschauung: Als früherer Regierungschef Luxemburgs weiß er von der Arbeit des Rates. Als Kommissionspräsident war er der oberste "Hüter der Verträge". Und in seiner jetzigen Funktion als Europaabgeordneter ist ihm auch das EU-Parlament vertraut. Ideale Voraussetzungen, um im Konvent für das Gleichgewicht der Institutionen einzutreten.

Santer gilt als Verfechter eines sozialen Europas; seine geistige Heimat sieht der 66-Jährige in der christlichen Soziallehre. 1995 wurde Santer an die Spitze der EU-Kommission berufen. Der Kompromisskandidat kam schnell unter Handlungs- und Zeitdruck. Wegweisende Entscheidungen für die Zukunft der Union standen an: die Einführung des Euro und die EU-Erweiterung. Diese Aufgaben meisterte die Kommission solide, wie selbst harte Kritiker Santer zugestehen.

In Krisen machte Santer aber eine eher unglückliche Figur. So griff der Kommissionspräsident erst durch, als das EU-Parlament gegen die Verharmlosung der Rinderseuche BSE Sturm lief. Nicht anders war es, als sich die Vorwürfe von Vetternwirtschaft und Korruption gegen Mitglieder seiner Behörde mehrten: Nur zögerlich, mehr reagierend als agierend ging Santer darauf ein. Im März 1999 musste Jacques Santer und mit ihm die gesamte Kommission zurücktreten.

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