Zeigt es den EU-Spöttern!

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In Brüssel nimmt der EU-Konvent seine Arbeit auf. Er wird entscheiden, wie das EU-Projekt weiter geht.

Nichts Schlechtes, das nicht auch etwas Gutes zur Folge hat. Die EU-Regierungskonferenz in Nizza im Dezember 2000 hätte die Institutionen der Europäischen Union erweiterungstauglich machen sollen. Geboten wurde an der CoÆte d'Azur hingegen das Schreckensbild nationalstaatlicher Eitelkeiten und Egoismen. Herausgekommen ist, gelinde gesagt, ein Murks. Um diesen auszubessern, wurde der Post-Nizza-Prozess geschaffen. Und der wichtigste Teil davon - das ist jetzt das Gute nach dem vielen Schlechten - ist der in diesen Tagen zum ersten Mal tagende EU-Konvent.

Der Auftrag der EU-Staats- und Regierungschefs an dieses Gremium zeugt nicht gerade von Bescheidenheit: Ein Konzept für Europa soll der Konvent erstellen, "das für die Zukunft der Welt richtungsweisend sein kann". Psychiater, Psychologen müsste man befragen, um genau zu erfahren, welcher Gemütszustand hinter so übertriebener, so schwülstiger, so völlig realitätsfremder Rede wohl stecken mag. Überreaktion, Kompensierung - in diese Richtung würde der Seelendeuter Urteil wohl gehen. Und es ist ja tatsächlich so: Nizza hat die EU-Vorderen geschockt. In den Verhandlungen, in denen es immer wieder auf der Kippe stand, es um hopp oder dropp gegangen ist, sei vielen von ihnen die Zerbrechlichkeit des EU-Gebildes bewusst geworden, haben die erschöpften Verhandler nach den nächtlichen Sitzungen in Nizza einbekannt. Der nächste Schock kam, als die Iren den Nizza-Vertrag ablehnten, was de facto eine Verschiebung der Erweiterung bedeutet. Post-Nizza ist demnach ein Post-Trauma-Prozess, und der Konvent ist die Therapie. Im positivsten Fall eine Massentherapie, die nicht nur die 105 Konventsmitglieder umfasst, sondern alle Europäer mit einschließt.

Die erste Wahnvorstellung, die der Konvent rasch beseitigen muss, ist die, dass das Zusammenwachsen Europas ein für alle Zeiten festgeschriebener, unumkehrbarer Vorgang ist, vielleicht sogar noch mit der Euphorie garniert, dass der Euro seine Benutzer automatisch zu Europäern macht. Europa ist ein Willensakt, das macht schon die Geographie des Kontinents deutlich, die keine eindeutigen Grenzziehungen zulässt. Die Europäische Union ist ausschließlich eine Frage des Willens. Nicht eine Frage des guten Willens, sondern eine Frage vernünftigen, aus jahrhundertelangen Fehlern lernenden Willens. Fehlt dieses Wollen, ist Schluss mit der Europäischen Union. Und was dann? Wie lautet die Alternative jener, die zu Recht kritisieren, aber völlig überzogen und kurzsichtig "Vergesst Europa!" fordern? Sollen dann die Bossis und Finis und Haiders die Baumeister werden, erneut ein Europa bestehend aus lauter Mauern errichten?

Das zweite Missverständnis, mit dem der EU-Konvent aufräumen muss, ist der ständige Vergleich mit den Vereinigten Staaten. Was soll dieses Gerede von der Etablierung der EU als zweiter Supermacht, gepaart mit der Forderung, endlich auch militärisch jene Stärke zu erreichen, die die Union wirtschaftlich schon hat? Ein Weltpolizist reicht vollauf. Dass es die Vereinigten Staaten und nicht die Vereinten Nationen sind, ist schlimm. Europa muss fähig sein, Konflikte im eigenen Haus nicht nur, aber auch mit militärischen Mitteln zu lösen und Hilfestellung bei internationalen Krisen zur Verfügung zu stellen - nicht mehr, nicht weniger. Wenn sich Europa etwas von den Vereinigten Staaten abschauen soll, dann ist es ihr Selbstverständnis. Nicht mit der Einheitswährung, nicht mit dem Credo über Nationalstaaten oder Vaterländer beginnt die amerikanische Verfassung: "Wir, das Volk" setzt hier den Anfang, und so sollte es auch auf dieser Seite des Atlantiks sein.

Doch auch wenn jetzt Bürgernähe garantiert wird, die Konventsmitglieder sich bemühen, so viel an Kontakt mit den Menschen herzustellen wie nur möglich und ein toller Internetauftritt den Rest besorgen soll - es wird mit dem Konvent trotzdem kein EU-Bewusstseinsschub einhergehen. Aufpassen muss das Gremium viel mehr, dass nicht im Vorfeld die Erwartungen ins Unerfüllbare hoch geschraubt werden und zum Schluss dann wieder nur Frustration und die Fortsetzung der EU-Lamentiererei übrig bleibt.

Bescheidenheit in den Erwartungen spricht nicht gegen Maßlosigkeit in den Forderungen an den Konvent. Er soll die beste aller möglichen Europäischen Unionen entwerfen. Dass die Umsetzung in kleinen Schritten erfolgt und bislang auch so Erfolg gehabt hat, ist man sowieso gewohnt. Wie sieht sie aber aus, diese beste aller möglichen Unionen? Staatenbund? Bundesstaat? Oder gestelzter gefragt: Intergouvernmentalismus versus Supranationalität? Entscheidend wird sein, dass der Konvent sich nicht in Debatten über die Definition der EU verheddert und statt dessen ihrer Funktionalität seine vorrangige Beachtung schenkt. Europa muss - nach der Erweiterung mehr als jetzt schon - funktionieren. Wenn die Institutionen dazu fehlen, gewinnt immer der Größere, und das Scheitern des Miteinanders ist vorprogrammiert.

Soll der Konvent aber nun den Rat, die Kommission oder das Parlament stärken? Der Konvent soll, wie es sich für eine Demokratie gehört, die Macht zwischen Legislative, Exekutive und Judikative verteilen und die besondere Funktion der EU-Kommission als Mittlerin und Koordinatorin zwischen den Institutionen hervorheben. Bevorzugungen und Ausnahmen muss der Konvent einen Riegel vorschieben. Das wäre demokratisch. Das täte der Union gut. Das wäre ein schönes Ergebnis dieser EU-Therapie.

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