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Unehrliche Anwälte, starke Enttäuschung

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Sind unsere Nachbarn in der EU wirklich willkommen? Die Anpassungsprobleme sind riesig. Der Osten reagiert enttäuscht.

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Sind unsere Nachbarn in der EU wirklich willkommen? Die Anpassungsprobleme sind riesig. Der Osten reagiert enttäuscht.

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DIEFURCHE: Welche Probleme ergeben sich fiir die EU aus einer Ostererwei-terung, daß sie sich so reserviert dem Drängen der Osteuropäer verhält' Mangott: Für die EU ergeben sich Probleme der Effizienz und der Kosten. Das hängt mit der jetzigen Ausgabenstruktur des gemeinschaftlichen Haushaltes der Union zusammen. Über 80 Prozent des Haushaltes werden für die gemeinsame Argrarpolitik ausgegeben und für Maßnahmen im Bereich der Strukturpolitik. Aber alle assoziierten Partner sind kostenintensiv genau in diesen Bereichen, erstens aufgrund eines relativ hohen Landwirtschaftsanteils an der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung, zum zweiten aufgrund eines deutlich niedrigeren Pro-Kopf-Einkommens in bezug auf den Durchschnitt der EU. Das heißt, es würden an diese Staaten hohe Summen aus dem Gemeinschaftshaushalt gehen müssen im Bereich der gemeinsamen Argrarpolitik, im Bereich der Strukturpolitik. Abzuwarten wird sein, was die letzte Reform der Agrarpolitik der EU für Konsequenzen mit sich bringt für die Budgetreform. Man kann auch nicht abschätzen, inwieweit sich diese auf die gemeinsame Agrarpolitik kostensenkend auswirken wird. Man weiß auch nicht, wie die wirtschaftliche Dynamik in den assoziierten Staaten sein wird, man weiß auch nicht genau, welche Restrukturierungen sich' hier ergeben. Man kann aber nur argumentieren, daß eine Erweiterung der Union im Jahr 2000 um die Staaten Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowakische Republik und Slowenien bei der jetzigen Struktur der Gemeinschaftsausgaben einen jährlichen Ausgabenzuwachs von 18 bis 20 Milliarden ECU pro Jahr ergeben würde. Um es plastischer zu machen: Das würde bedeuten, daß sich die Ausgaben der EU gemessen am Gemeinschaftshaushalt um etwa 25 bis 28 Prozent erhöhen würden. Es ist eine Frage, wie man das finanziert. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man senkt die Ausgaben im Bereich dieser Politiken, dagegen gibt es massiven Widerstand von den Bevölkerungsgruppen in den Staaten innerhalb der EU, die jetzt profitiert haben von diesem Ausgabensystem, Bauern, arme Staaten und Regionen, vor allem von den Mittelmeerländern. Oder Sie erhöhen beträchtlich die Beiträge der Mitgliedstaaten an den Gemeinschaftshaushalt. Aber das würde sicherlich auf den Widerstand der Nettobeitragszahler stoßen.

DIEFURCHE: Welche Standpunkte zur Osterweiterung gibt es in der EU? Mangott: Es gibt sicherlich die Nachbarstaaten Deutschland und

Österreich, zum Teil auch Finnland, die ein Interesse an einer Erweiterung haben, es gibt andere Staaten, die dieses Interesse nicht so stark oder überhaupt nicht teilen. Wie vor allem die Mittelmeeranrainerstaaten oder auch andere periphere Staaten in der Union wie Irland. Diese Staaten sehen keine Probleme oder keine negativen Konsequenzen für sich, wenn diese Region sich instabil weiterentwickeln wird, weil sie geographisch so weit davon entfernt sind. Sie haben auch kein großes wirtschaftliches Interesse, weil die handelschaffenden Faktoren für diese Staaten äußerst gering sind oder sich sogar negative Konsequenzen wirtschaftlicher Art für diese Staaten aus einem Beitritt der osteuropäischen Staaten zur Union ergeben würden, weil viele osteuropäische Staaten genau in jenen Wirtschaftsbranchen komparative Vorteile aufweisen wie eben diese Staaten auch. Vor allem im Agrar- und Textilbereich. Aber das illustriert nur, daß die Frage einer

Osterweiterung eines immensen politischen Handlungsprozesses bedarf, eines Abtauschs, einer Abklärung von wechselseitigen Interessen, die durchaus auch kosteninduziert sein können. Es können die Mittelmeeranrainerstaaten auch damit argumentieren, daß Zahlungen, die von Seiten der EU nach Osteuropa gehen, in nennenswertem Ausmaß in den mediterranen Raum gehen. Das heißt, sie sind daran interessiert, daß die EU auch ein Programm für die nordafrikanischen Staaten, die Ma-ghrebstaaten, ausarbeitet. Hier einen Abtausch der Interessen vorzunehmen, wird ein Problem geben für die Kosten der Kohäsion und die Effizienz. Die jetzige institutionelle Strukturpolitik ist nicht geschaffen für 20 oder 25 oder noch mehr Staaten. Das heißt, es bedarf eines institutionellen Umbaus, der die Effizienz der EU erhöht. Andererseits gibt es hier Widerstände vor allem von kleinen Staaten wie Österreich, daß die Steigerung der Effizienz der EU nicht auf Kosten des Mitwirkungsrechtes kleinerer Staaten geht. Und das ist etwas, worum es bei der Regierungskonferenz 1996/997 gehen wird. Das sind die prioritären Probleme: Kosten, Kohäsion und Effizienz der EU.

DIEFURCHE: Wer hat dann überhaupt noch ein Interesse an der EU-Osterweiterung? mangott: Es ist sicherlich ein deutsches Interesse, daß die EU sich so schnell wie es geht nach Osteuropa erweitert. Diese Interessen muß man aber abwägen mit den entstehenden Kosten und mit den Interessen der anderen Mitgliedstaaten. Hier muß man sagen, daß es etwas gab wie eine verantwortungslose Art der Rhetorik, das heißt, man hat schnell zu häufig und unehrlich in den Hauptstädten Osteuropas bei einem Besuch davon gesprochen, daß man sich als Anwalt der Staaten versteht, oder daß man mit voller Sympathie und warmen Herzens den Beitritt dieser Staaten zur EU befürwortet, ohne aber ganz klar zu sagen oder ganz klar nur darüber Bescheid zu wissen, was das an Kosten bedeutet, an politischen und an finanziellen Kosten. Aufgrund der enttäuschten Erwartungen kann es durchaus Abwehrreaktionen geben - wie etwa in Polen (siehe Seite 5) oder in der Slowakei. Man muß darüber sprechen, welche Möglichkeiten es gibt und welchen Schwierigkeiten man begegnet. Man muß klar sagen, welche Probleme zur Lösung einer bestimmten Zeit und bestimmter politischer Anstrengung bedürfen. Und das kann nicht über Nacht geschehen.

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