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Der Weg zur Wirtschaftsunion

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Die nächste wichtige Aufgabe ist für die Gemeinschaft und ihre Organe die Weiterentwicklung der Zollunion zur Wirtschaftsunion. Sie ist darum so dringlich, weil die Übergangszeit bis zum 1. Jänner 1970 weiter Gleichgewichtsstörungen und Wettbewerbsverzerrungen befürchten läßt. Daneben müssen die Grundlinien der Gemeinschaftspolitik festgelegt, die aus den europäischen Verträgen hervorgegangenen Organe zusammengelegt und die Gemeinschaft als solche regional erweitert werden. Die Schwierigkeiten des letzten Punktes, die Aufnahme nämlich Englands und der anderen beitrittswilligen Länder, sind nur zu bekannt. Es wird sich »licht verhindern lassen, daß aus Gründen der politischen Bereitschaft der Partnerländer, in diesem besonderen Falle also Frankreichs, wie wegen der Arbeitsüberlastung der Brüsseler Kommission diese Aufgaben nicht mit der gleichen Intensität behandelt und gelöst werden können. Hier Prioritäten zu setzen, war unter anderen auch der Bund Deutscher Industrie, der Verband der deutschen gewerblichen Wirtschaft, in seftiem Memorandum „Schwerpunkte der künftigen Arbeit in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ vom 22. Auguist 1967 bemüht.

Die Brüsseler Kommission hat die angestrebte Wirtschaftsunion definiert als die Gesamtheit der Maßnahmen, die nötig sind, um im Gebiet der EWG binnenmarktähnliche Verhältnisse zu schaffen. Das bedeutet im einzelnen neben der endgültigen Herstellung des freien Verkehrs der industriellen und landwirtschaftlichen Erzeugnisse Freizügigkeit der Arbeitskräfte, Niederlassungsfreiheit und freie»i Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie eine gemeinsame Verkehrspolitik, die nach Auffassung der deutschen Industriellen die Vertragsfreiheit bei der Vereinbarung der Verkehrsentgelte garantieren und keine objektiven Zulassungsbedingungen für Verkehrsteilnehmer vorsehen sollte. Der Wettbewerb müßte innerhalb des Gemeinsamen Marktes vor Verfälschungen geschützt werden. Bereits in der Übergangsphase seien die nationalen Wettbewerbspolitike»! stärker als bisher einander angeglichen. Hier denken die Industriellen an eine Förderung der Unternehmenskooperation. Daß die Wirtschaftsunion ohne Koordinierung der Konjunktur-, Währungsund Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten unvollständig wäre, bedarf kaum der Begründung. Lösungsansätze sind auf allen genan»iten Gebieten vorhanden, doch ist man von dem Bestehen binnenmarktähnlicher Verhältnisse noch weit entfernt. Für die Festlegung der Grundlinien einer Gemeinschaftspolitik räumt die Brüsseler Kommission der Industrie-, Energie-, For- schungs- und Regionalpolitik eindeutig den Vorrang ein. In der Industriepolitik erwartet die deutsche Unternehmerschaft ei»i einheitliches Ge- sellschafts- und Steuerrecht, die Präzisierung der Kartellpolitik und die Verbesserung der Unternehmensfinanzierung. An der Energiepolitik interessiert sie besonders ein die Gesamtheit der Energiewirtschaft umfassendes Energiekonzept. Eine kontinuierliche, störungsfrei gewähr leistete und preisgünstige Energieversorgung ist für die Energie verbrauchende Industrie besonders bedeutsam.

Liberale Handelspolitik

In der Handelspolitik muß Einvernehmen der Mitgliedstaaten über die Schutzmaß»iahmen für bestimmte Wirtschaftszweige, über die Haltung gegenüber Niedrigpreis-, Entwick- lungs- und Staatshandelsländern und über die künftige Assoziierungspolitik erreicht werden. Eine liberale Einfuhrpolitik vor allem gegenüber den westlichen Industrie- und den Entwicklungsländern liegt da im deutschen Interesse. Erwünscht ist die Harmonisierung mit der Agrar-, der Sozial- und der mittelfristigen Wirtschaftspolitik. Eine Gesamtkonzeption sollte aber nicht Vollzugsverbindlichkeiten für die private Wirtschaft durch kurz- oder mittelfristige Entscheidiftigen mit sich bringen, vielmehr die Unantastbarkeit der unternehmerischen Entscheidung gewahrt bleiben. Am Ziel der wirtschaftlichen Integration Europas ist festzuhalten. Diese Entwicklung wird allerdings — teilweise sogar unter einem gewissen Sachzwang — Konsequenzen haben wie die Aufgabe nationaler, souveräner Zuständigkeiten bei einem gleichzeitigen Funk-

tions- und Initiativezuwachs für die Gemeinschaftsinistiiitutionen, die Brüsseler Kommissicfn und das Europaparlament. Die Fusion der drei europäischen Exekutiven weist bereits in diese Richtung. Mit Ausdehnung der Gemeinschaftskompetenz auf die Außen- und Verteidigungspolitik käme man dem Endziel der politischen Einigung Europas als volle Föderation mit gemeinsamer Verfassung näher. Die politische Union sei, so meinen die deutschen Industriellen, weiter als Fernziel im Auge zu behalten, doch ohne die politischen Realitäten, die zu vorsichtigem und pragmatischem Vorgehen zwingen, zu Unterschätzen. Als weit wichtiger sieht es die deutsche Industrie an, daß sich die EWG auch in ihrem Bestreben nach innerer Konsolidierung als politischer und wirtschaftlicher „harter Kern“ in Europa versteht, der zur Schaffung eines gesicherten Gleichgewichts der regionalen Erweiterung um allė bei- tritts- und assoziierungswilligen Staaten Westeuropas, die sich die Ziele der Gemeinschaft zu eigen machen wollen, bedarf. Diese Entwicklung ist unaufhaltsam. Ohne realistische Alternative ist sie politisch und wirtschaftlich die einzige Möglichkeit für eine Zukunft Europas zwischen de»i Großmächten.

„Die Industrie (der Mitgliedstaaten) kann in Zukunft nur dann weltweit konkurrenzfähig bleiben und zu einem optimalen Wirtschaftswachstum in Europa beitragen“, heißt es in einem Bericht des Deutschen Industrie-Institut in Köln: „Die Schaffung des Binnenmarkts in der EWG“, „wenn sie für ihre unternehmerischen Entscheidungen sicher, verläßlich und rechtzeitig klare Vorstellungen von der künftigen Entwicklung der Gemeinschaft erhält. Erst die Gewißheit, daß und in welchen Etappen der größere europäische Markt zu einem gesicherten Investitionsraum mit binnenmarktähnlichem Charakter ausgebaut wird, gibt den Unternehmen die Möglichkeit, langfristig zu disponieren, die Vorteile dės erweiterten Marktes voll zu nutzen und die Arbeitsteilung so zu intensivieren, wie es die moderne Produktionstechnik erfordert.“

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