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Konsens der Mächtigen wird nicht genügen

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Im Schicksalsjahr 1994 entscheidet Österreich über seine und Europas Zukunft. Letztlich handelt es sich um eine Glaubensfrage.

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Im Schicksalsjahr 1994 entscheidet Österreich über seine und Europas Zukunft. Letztlich handelt es sich um eine Glaubensfrage.

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Weggabelung für Österreich: wird es die breiten, nicht schlaglöcherfreie Integrationsstraße gemeinsam mit anderen gehen? Oder wählt es den Weg der Eigenbrötlerei? Natürlich ist der Integrationsweg vorgezeichnet, natürlich steht die Hauptrichtung bereits fest. Der Zwölfer-Club hat diese Straße errichtet. Für Österreich und die anderen EU-Beitrittskandidaten - Finnland, Schweden, Norwegen - gibt's maximal kleine Modifikationsmöglichkeiten, Randgestaltungen. Aber ohne Beitritt gibt's nicht einmal das.

In verblüffender Einigkeit, sogar von den perfektionistischen Deutschen bestaunt, bekannten vergangene Woche Wirtschaftskammerpräsident Maderthaner, der Generalsekretär der Industriellenvereinigung Ceska, Gewerkschaftsboß Verzet-nitsch, Arbeiterkammerchef Vogler, der Vizepräsident der Landwirtschaftskammern Kletzmayr sowie an der Spitze Bundespräsident Klestil und Außenminister Mock mit einem Dutzend Topmanagern bei einem Österreich-Tag in Bonn ihr tiefsitzendes Interesse an einem Mitmischen in der EU hier und jetzt.

Da schlich sich kein kritischer Mißton ein. Den deutschen Freunden wurde signalisiert: hier steht der kleinere Bruder, der es ernst meint, der auf seine Gemeinschaftsrechte pocht, der Mitnaschen will am Wirtschaftskuchen, der dafür auch manches Opfer zu bringen bereit ist.

Vergebens versuchte der Vizepräsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Jörg Mittelsten Scheid, die österreichischen Argumente auf bloßen Schein oder auf versteckte Probleme hin abzuklopfen. Wir sind wirtschaftlich stark, haben ein bestens funktionierendes sozialpartnerschaftliches System, von dem Brüssel noch lernen sollte, verstehen es, das uns gegebene Land mit höchsten Umweltbestimmungen zu schützen und können gegebenenfalls als verständiger Dolmetsch der osteuropäischen Staaten der EU .in ihrer weiteren Entwicklung dienen: so der Konsens der Mächtigen, an dem niemand rütteln ließ.

Die einzige Sorge, die Österreichs Politiker, Gewerkschafter und Wirtschaftstreibende beherrscht, ist die Ungewißheit über das Verhalten der Österreicher beim anstehenden EU-Referendum, voraussichtlich im Juni. Zwei Denkschulen stehen da einander gegenüber: die eine meint, jetzt zähle nur mehr der rasche Abschluß, nicht das Detailergebnis; die andere setzt auf eine klare Sprache mit dem EU-Zentrum, um für Österreich noch möglichst viel herauszuschlagen. Bundespräsident Kle-stil präsentierte sich in Deutschland als Vertreter beider Meinungen: nach außen drängte er auf Verhand-lungsabschluß; gegenüber Österreich bedeutete er Geduld, das Ergebnis, nicht der Beitrittstermin sei wichtig.

Intern können Vertreter der Wirtschaft längerem Zögern jedoch nichts mehr abgewinnen. Sie bezeichnen die Brüsseler Gespräche als „Ritual”, bei dem ohnehin schon feststehe, was herauszukommen habe. Es gehe nur mehr darum, „Ergebnisse” politisch möglichst gut zu verkaufen. Kritiker betonen, daß es bei der Regionalförderung genauso gelaufen sei. Überzeugte EU-Werber sagen, wer dem „Club” beitreten wolle, der müsse auch dessen Spielregeln annehmen. Bei der Transitfrage bahnt sich eine derartige Annahme der Spielregeln an. Ceska mahnte in Bonn zwar „pacta sunt servanda” ein; aber Bundespräsident Klestil erklärte, daß es nach Verwirklichung des Binnenmarktes „keinen Transit mehr geben” werde. Das gleiche forderte die EG-Kommission schon 1991.

Kein Wunder, daß die EU-Befürworter in Argumentationsnotstand geraten. Zumal sie auch einsehen müssen - Mader -thaner gab dies unumwunden zu —, daß die EU-Werbung nicht so recht greift. Wirtschaftliche Argumente überzeugen nicht ganz (der Schock der EU-Strafzölle gegen Grundig und GM wird sich auswirken, die Verhandlungsbrocken Transit, Landwirtschaft und Zweitwohnsitze stehen erst bevor), vom sicherheitspolitischen Ziel ist die EU weit entfernt. Bleiben nur emotional-politische Glaubensgründe für den EU-Beitritt. Österreich muß sich in erster Linie nicht die Frage stellen, was uns die EU bringt, sondern was alles nicht möglich sein wird, wenn es sich 1994 den Integrationsweg selbst verbaut.

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