Straßburg-Brüssel-Wien Spagat

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Im Gegensatz zu ihrem Ansehen in der Europäischen Union haben Österreichs EU-Abgeordnete zu Hause keinen guten Stand - weder im Volk noch bei ihren Parteien.

Das Leben von Europaabgeordneten spielt sich im Dreieck zwischen Brüssel (Ausschüsse des EU-Parlaments), Straßburg (Tagungsort) und ihrer Heimat ab, wo sie sich um ihre Partei und ihre Wähler kümmern sollen. Der frühere FPÖ-Europaabgeordnete Hans Kronberger schreibt in seinem Buch "Brüssel Frontal - So geht's zu in der EU", dass Europaabgeordnete einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit allerdings in einem "Niemandsland" absitzen: auf Flughäfen und in Flugzeugen. Kronberger nennt deswegen die EU-Mandatare "Zwitterwesen": Sie sollen für "Europa" da sein und zugleich für ihre Wähler; und obwohl sie für diese der direkte Draht nach Brüssel sind, verbringen sie die meiste Zeit weit weg von ihnen. Das Fliegen ist das traurige Markenzeichen der Europaparlamentarier und besagt: "Sie hängen buchstäblich in der Luft."

Zurück am Boden der Realität: ein Abend in der vergangenen Woche; im Saal der Bezirksvorstehung Döbling in Wien warten 53 Besucherinnen und Besucher auf den Vortrag des Europaabgeordneten Othmar Karas. 19:15 Uhr - mit der akademischen Viertelstunde Verspätung begrüßt der Bezirksvorsteher die Gäste; Herr Abgeordneter Karas habe gerade angerufen, heißt es, er sei bereits am Flughafen gelandet.

Der rührige Organisator dieser EU-Stadtgespräche übernimmt das Vorprogramm als eine Art EU-Einpeitscher: "Wir waren alle in der Schule", sagt er, "was haben wir dort gelernt? Alle 30 Jahre gibt es einen Krieg in Europa!" Das ist vorbei, seit es die EU gibt, findet die Argumentation sehr schnell ihr Ziel. Die Zuhörerschaft, Durchschnittsalter gute 60, nickt. Weiter geht's: "Wenn wir nicht in der EU wären und keinen Euro hätten, ginge es uns wie Island - die sind pleite!" Wieder Nicken, nicht so überzeugt wie beim Thema Frieden - das Misstrauen gegen den "Teuro" ist selbst in der Krise nicht vergessen.

"Der Euro macht in der Krise keinen Zappler"

19:30 Uhr - Das Handy läutet: "Wo sind Sie denn?", fragt der Pausenfüller flehend in das Telefon, um postwendend dem wartenden Publikum mitzuteilen, dass der Herr Abgeordnete schon den Donaukanal erreicht habe. "Mit der U-Bahn wär' er schneller", raunzt einer.

Ein paar Tage vorher präsentiert EU-Abgeordneter Herbert Bösch in der Vertretung des Europäischen Parlaments in Wien seine Reden zu EU-Themen. Bösch ist pünktlich, dafür lässt bei ihm das Publikum auf sich warten. Der Vorarlberger Abgeordnete macht aus der Not eine Tugend und aus den am Buffet stehenden Köchen und Kellnern seine Zuhörer. Auch Bösch argumentiert mit der Standhaftigkeit der EU in der Krise, denn "der Euro macht keinen Zappler".

Herbert Bösch und Othmar Karas teilen dasselbe europäische Schicksal in der österreichischen Politik: In Brüssel zu erfolgreich, um in Wien noch etwas zu gelten. Bösch sitzt seit dem österreichischen EU-Beitritt 1995 im Europaparlament. Wenn er dieses Mal wiedergewählt wird, wäre er der längstdienende österreichische EU-Abgeordnete überhaupt. Doch mit dem 7. Platz auf der SPÖ-Liste ist sein Wiedereinzug ins EU-Parlament eher unwahrscheinlich.

Warum ein Zittermandat für den Abgeordneten, der sich als Initiator der EU-Anti-Korruptionsbehörde Olaf einen tollen europäischen Ruf erarbeitet hat und als Vorsitzender im EU-Haushaltskontrollausschuss einen prestige- und einflussreichen Posten im EU-Getriebe besetzt? "Ich habe für meine Kritik am EU-Schwenk der SPÖ und ihrem Kniefall vor der Krone relativ primitiv die Rechnung präsentiert bekommen", antwortet Bösch im FURCHE-Gespräch und kritisiert weiter: "Wenn die SPÖ von vornherein auf die Besetzung des österreichischen EU-Kommissars verzichtet, wie will sie dann ein soziales Europa aufbauen?"

EU-Sparlampenpflicht heizt Diskussion an

19:45 Uhr im Saal der Bezirksvorstehung Döbling: Karas ist noch am Weg, aber das Publikum hat sich auch ohne den EU-Spezialisten in das brennendste EU-Thema der jüngeren Zeit verbissen: die EU-Sparlampenpflicht. Der Organisator ist vorbereitet, zieht mehrere "beim Metro" gekaufte billige Modelle aus dem Sack, die Diskussion über eine "sinnvolle, aber schlecht verkaufte Maßnahme", über Gesundheitsgefährdung durch Quecksilber in den Energiesparlampen, über EU-Normungswut usw. gewinnt an Schwung - in der Not wird das Europa der Bürgerinnen und Bürger Wirklichkeit …

20:07 Uhr - Othmar Karas trifft ein, die Europahymne wird angestimmt, das Zwitterwesen Europaabgeordneter ist wieder einmal zu Hause gelandet. Karas wohnt in Döbling, der Auftritt ist ein Heimspiel. Im 19. Wiener Gemeindebezirk, eine Hochburg der Volkspartei, ist Karas der Liebling. Im Gegensatz zu seinem Standing in der VP-Parteizentrale, wo Karas als fleißiger, aber spröder Über-Europäer verschrien ist und man ihm deshalb einen anderen, weniger europäischen ÖVP-Spitzenkandidaten für den EU-Wahlkampf vor die Nase gesetzt hat. "Ich bin ein überzeugter Europäer", sagt Karas, "aber das geht nicht auf Kosten von Österreich oder Döbling." Im Gegenteil, so Karas, "allein reißt du der Welt keinen Haxn aus", erklärt er die Bedeutung von EU-Netzwerken.

Von Montag Nachmittag bis Donnerstag Abend (Verspätung inklusive!) als Vizepräsident der Europäischen Volkspartei und Mitglied im Wirtschafts- und Währungsausschuss in Brüssel oder Straßburg im Einsatz; von Freitag bis Montag Mittag Österreich-Termine (Familie inklusive) - so beschreibt Karas seinen europäisch-österreichischen Wochenrhythmus. Und der Ex-Nationalratsabgeordnete rechnet nicht ohne Stolz vor, dass im österreichischen Parlament 89 Prozent der von der Regierung beschlossenen Gesetzesvorhaben durchgewunken werden; das Europaparlament hingegen 91 Prozent der europäischen Gesetze zuerst einmal ablehnt oder verändert beschließt.

Herbert Bösch zieht mit einer anderen Rechnung denselben Schluss: "Österreich stellt in der EU 1,7 Prozent der Bevölkerung; aber einem Karas, einem Voggenhuber oder mir haben in Brüssel mehr zugehört als 1,7 Prozent - so schlecht, wie man hierzulande oft tut, waren wir nicht, so schlecht werden wir auch in Zukunft nicht sein." - Wenn man sie lässt. Oder, wie es Karas vor seinem Döblinger Publikum formuliert: "Vergesst mich am 7. Juni bitte nicht!"

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